Istanbul: Tränengas und Gummigeschosse bei Pirsûs-Gedenken

Nach Riha und Ankara wurde auch in Istanbul eine Gedenkveranstaltung für die Toten des IS-Attentats von Pirsûs (Suruç) von der Polizei angegriffen. Mehr als 20 Personen wurden festgenommen, darunter auch Rechtsanwält*innen.

In Istanbul sind mehr als 20 Menschen bei einer Kundgebung anlässlich des fünften Jahrestags des IS-Attentats von Pirsûs (türk. Suruç) festgenommen worden. Unter ihnen befinden sich auch mindestens drei Rechtsanwält*innen. Zuvor waren bereits Gedenkveranstaltungen am Tatort des Anschlags am 20. Juli 2015 – dem Kulturzentrum Amara in Pirsûs in der nordkurdischen Provinz Riha (Urfa), und in Ankara von der Polizei angegriffen worden. Auch dort kam es zu mehreren Festnahmen.

Der Anschlag vor fünf Jahren ereignete sich, als sich auf Aufruf der Föderation Sozialistischer Jugendvereine (SGDF) 300 junge Menschen am Kulturzentrum Amara versammelten, um vor ihrer Abreise nach Kobanê eine Pressekonferenz abzuhalten. Die geplante Fahrt nach Nordsyrien sollte ein Akt der Solidarität sein. Die Jugendlichen wollten Kinderspielzeug und humanitäre Hilfsgüter in die vom IS zerstörte Stadt bringen.

In Istanbul hatte vor der Kundgebung im Stadtteil Kadiköy noch ein öffentliches Gedenken stattgefunden, an dem unter anderem auch die HDP-Vorsitzende Pervin Buldan, die Ko-Vorsitzenden des HDK Idil Uğurlu und Sedat Şenoğlu sowie die Istanbuler Vorsitzende der CHP, Canan Kaftancıoğlu, teilnahmen. Im Anschluss daran wollten Jugendorganisationen nach einer Presseerklärung vor dem Opernhaus Süreyya eine Demonstration zum nahegelegenen Mehmet-Ayvalıtaş-Park durchführen. Schon auf der Polonya Caddesi versperrte die Polizei den Zugang zum Platz vor der Oper mit Gittern ab, die von den Beteiligten durchbrochen wurden. Daraufhin wurden die Aktivist*innen mit Tränengas und Gummigeschossen angegriffen. Mindestens drei Personen wurden hier festgenommen.

Offensichtliches Ziel der Polizei war die Unterbrechung des Demonstrationsflusses, die Zerstreuung der Demonstrant*innen in Seitenstraßen und die Auflösung. Die Beteiligten sammelten sich jedoch und liefen unter Parolen wie „Die Jugend verlangt Rechenschaft für Suruç“ und „Kämpfend werden wir siegen“ Richtung Hafenkai und Moda, um von dort aus zur Zweigstelle der Bildungsgewerkschaft Eğitim-Sen zu gelangen. Auf dem Weg dorthin kam es erneut zu massiver Polizeigewalt: mehr als 20 Personen wurden festgenommen. Einige wurden getreten und geschlagen und über den Boden geschleift.

Trotz der gewalttätigen Übergriffe der Polizei gelang es mehreren Personen, das Büro von Eğitim-Sen zu erreichen. Im Namen des Studierendenverbands „Öğrenci Faaliyetleri“ verlas Betül Topkaya eine Erklärung, in der sie auf die Straflosigkeit des Anschlags von Pirsûs hinwies, die seit nunmehr fünf Jahren anhält. Alev Özkiraz, Ko-Vorsitzende der SGDF, sagte: „Mit Angriffen auf Gedenken soll wohl unsere Wut eingedämmt werden, damit wir nachgeben. Unser Widerstand ist ungebrochen. Den Kampf um Gerechtigkeit für unsere 33 Traumreisenden werden wir auch weiterhin auf die Straße tragen. So lange, bis dieses Verbrechen gesühnt ist.“ Die Festgenommenen werden in der Polizeiwache Vatan festgehalten. Bei zwei der ebenfalls gewaltsam in Gewahrsam genommenen Anwält*innen handelt es sich um Ezgi Önalan und Gökhan Soysal.