Laut Auswärtigem Amt sind in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag sieben Kinder, vier Frauen und ein Heranwachsender aus Nordostsyrien nach Deutschland zurückgeholt worden. Damit seien in mittlerweile sechs Rückholaktionen insgesamt 26 Frauen, 76 Kinder und ein Heranwachsender aus der Autonomieregion Nord- und Ostsyrien in die Bundesrepublik gebracht worden.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock bedankte sich bei der nordostsyrischen Autonomieverwaltung (AANES) für die Zusammenarbeit und erklärte: „Rund sechs Monate sind vergangen, seitdem wir zuletzt deutsche Kinder und Mütter aus Nordostsyrien nach Deutschland zurückholen konnten. Damals haben wir gesagt, dass nur noch wenige, besonders gelagerte Fälle offen sind. Heute Nacht konnten nun weitere sieben Kinder und vier Frauen aus dem Lager Roj in Nordostsyrien nach Deutschland zurückgeholt werden. Und wir konnten einen jungen heranwachsenden Mann zurückholen, der als damals Elfjähriger nach Syrien verbracht worden war. Ich bin erleichtert, dass mit dieser Aktion nun fast alle bekannten Fälle abgeschlossen werden konnten. Erleichtert bin ich vor allem, weil die Kinder keine Schuld für die fatalen Lebensentscheidungen ihrer Eltern trifft. Sie sind letztlich auch Opfer des IS. Wir dürfen sie daher nicht ohne Perspektive in den Lagern in Nordostsyrien zurücklassen. Die zurückgeholten Frauen und der junge Mann werden sich für ihre Taten verantworten müssen. Sie wurden umgehend nach Ankunft in Deutschland in Haft genommen. Unseren Ansprechpartnern vor Ort, insbesondere der kurdischen Selbstverwaltung in Nordostsyrien, gilt mein Dank. Sie haben uns in den vergangenen Monaten trotz widriger Umstände vor Ort bei der Vorbereitung und Durchführung dieser Aktion unterstützt. Und ich danke unseren amerikanischen Freunden für die logistische Unterstützung.“
Nach Angaben des Auswärtigen Amts sind Rückholungen von Kindern nur mit Zustimmung und gleichzeitiger Rückholung der Mütter möglich. Derzeit gebe es nur noch einen Fall, in dem die Zustimmung vorliegt, die Rückholung bisher aber nicht umgesetzt werden konnte. In weiteren Fällen wünschten die Mütter derzeit keine Rückholung.
Laut GBA drei Verhaftungen wegen IS-Mitgliedschaft
Die Bundesanwaltschaft berichtet unterdessen von drei Verhaftungen wegen mutmaßlicher Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) nach §§129a/b. Marcia M., Kristin L. und Cebrail Ö. seien am Mittwoch bei ihrer Einreise am Flughafen Frankfurt am Main festgenommen und heute dem Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof vorgeführt worden, der ihnen die Haftbefehle eröffnet und den Vollzug der Untersuchungshaft angeordnet habe. Marcia M. und Cebrail Ö. wurden laut GBA zu unterschiedlichen Gelegenheiten im Jahr 2017 und Kristin L. im Jahr 2019 festgenommen und befanden sich bis zu ihrer Rückkehr nach Deutschland in „kurdischen Lagern“. Zu den weiteren beiden IS-Rückkehrerinnen, die laut Baerbock „in Haft genommen“ wurden, liegen keine Informationen vor.
Marcia M.
Wie die Bundesanwaltschaft mitteilt, reiste Marcia M. im September 2015 gemeinsam mit ihrem Ehemann nach islamischem Ritus von Deutschland aus in die Türkei, um sich sodann nach Syrien zum IS zu begeben. Dort angekommen, schlossen sich die beiden dem IS als Mitglieder an. In der Folgezeit hielt sich das Paar zunächst in Mossul (Irak) auf, wo die Beschuldigte an einer ideologischen Schulung für weibliche IS-Angehörige teilnahm und im Umgang mit Waffen unterrichtet wurde. Im Februar 2016 kehrte Marcia M. mit ihrem Ehemann nach Syrien zurück. Hier führte die Beschuldigte den gemeinsamen Haushalt, was auch dazu diente, ihrem Mann die Teilnahme an Kampfeinsätzen zu ermöglichen. Zudem übernahm sie für ein Frauenbataillon des IS Fahrdienste und stellte Sprengstoffgürtel her. Für ihre Tätigkeiten erhielten die Eheleute eine monatliche Alimentation von der Vereinigung. Im Herbst 2016 planten in Syrien aufhältige IS-Mitglieder einen terroristischen Anschlag auf ein deutsches Musikfestival und rekrutierten dafür Kämpfer, die nach Deutschland geschleust werden sollten. Hierzu kam es letztlich nicht. Allerdings suchte Marcia M. vor dem Abbruch der Operation zwei „Glaubensschwestern“ aus, welche die Attentäter in der Bundesrepublik hätten heiraten und beherbergen sollen, um ihnen hier bis zur Begehung des Anschlags ein unauffälliges Leben zu ermöglichen.
Kristin L.
Kristin L. reiste laut Anklageschrift im März 2015 über die Türkei nach Syrien. Dort schloss sie sich dem IS an und heiratete wenige Wochen später nach islamischem Ritus ein IS-Mitglied. Damit dieser sich weiter für die Vereinigung betätigen konnte, kümmerte sich die Beschuldigte um den Haushalt und erzog die gemeinsame Tochter im Sinne der IS-Ideologie. Für ihre Dienste erhielt die Familie monatliche Zahlungen von der Organisation. Von Syrien aus bemühte sich Kristin L. zudem darum, andere Frauen in Deutschland zu einer Ausreise zum IS zu bewegen. Sie besaß zeitweilig ein Schnellfeuergewehr und eine Schrotflinte. Geld, das sie von der Familie ihres Ehemannes erhalten hatte, leitete sie teilweise an den IS weiter. Nachdem Kristin L. sich 2019 ergeben hatte und in einem kurdischen Lager untergebracht worden war, feuerte sie dort eine andere Insassin an, als diese eine vermeintliche „Abtrünnige“ körperlich misshandelte.
Cebrail Ö.
Im Juni 2013 nahm die Mutter des damals elfjährigen Cebrail Ö. diesen mit nach Syrien und schloss sich zusammen mit ihrem Lebensgefährten dem IS an. Fortan erzog sie Cebrail Ö. im Sinne der IS-Ideologie. Ab dem dafür von der Vereinigung vorgesehenen Alter wurde der Beschuldigte militärisch ausgebildet und in eine Kampfeinheit eingegliedert. Zwischen Anfang 2016 und Ende 2017 nahm er für den IS mehrmals aktiv an Kampfhandlungen teil. Von Oktober 2019 bis Ende 2021 war Cebrail Ö. in Syrien in einer Einrichtung zur Deradikalisierung männlicher Jugendlicher untergebracht. Auch dort trat er weiterhin als Mitglied des IS auf. Er führte eine größere Gruppe von Jugendlichen an, um die Ideologie der Vereinigung in der Einrichtung mittels Gewalt und Drohungen durchzusetzen. Bei einer Gelegenheit schlugen rund 20 Gruppenmitglieder auf Geheiß von Cebrail Ö. einen vermeintlich ungläubigen Jugendlichen zusammen. Einen anderen Jugendlichen schlug und trat der Beschuldigte selbst. Einen weiteren Mitinsassen hielt er durch Todesdrohungen davon ab, ihn bei der Lagerverwaltung anzuzeigen und brachte den Betroffenen dazu, seine Hilfstätigkeit in der Einrichtung vorübergehend aufzugeben.
Tausende IS-Mitglieder in Rojava interniert
Im Autonomiegebiet von Nord- und Ostsyrien sind weiterhin Tausende IS-Mitglieder interniert. Die Türkei greift das Gebiet täglich an und untergräbt damit den Kampf gegen den IS. Die Autonomieverwaltung (AANES) und die Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) fordern seit der Zerschlagung des IS-Kalifats im Frühjahr 2019 vergeblich eine Lösung unter internationaler Beteiligung, vor allem für die Kinder von IS-Eltern. Im berüchtigten Internierungslager Hol sind bei einer mehrwöchigen Operation gegen den IS in diesem Monat sechs Frauen aus IS-Gefangenschaft befreit worden, darunter die 2014 in Şengal verschleppten Ezidinnen Wefa Elî Ebbas und Sewsen Hesen Heyder.
Foto: Symbolbild aus Camp Hol