Am 1. Februar 2016 kam der 19-jährige Murat Daşkan in Seyhan bei Adana ums Leben. Er hatte an einem Protest im Stadtteil Dağlıoğlu gegen die Belagerung kurdischer Städte durch das türkische Militär teilgenommen. Als die Polizei anrückte und Tränengas und Gummigeschosse auf die Demonstranten abfeuerte, suchten die größtenteils jugendlichen Beteiligten Schutz in den Seitenstraßen. Einer der Polizeipanzer nahm die Verfolgung einer Gruppe auf und trieb Daşkan in eine Sackgasse. Die tödliche Kugel, die ihn dort im Rücken traf und, nachdem sie die Lungenarterie zerfetzt hatte, im Brustbereich wieder austrat, stammte aus einer Polizeiwaffe. Genauer gesagt von einem Maschinengewehr. Zwar wurde Daşkan noch in ein Krankenhaus gebracht, Ärzte konnten sein Leben aber nicht mehr retten.
Erst knapp vier Jahre später, am 16. Januar 2020, wurde vor dem 1. Schwurgericht zu Adana der Prozess wegen fahrlässiger Tötung gegen den Täter eröffnet. Heute fiel im Gerichtssaal der Freispruch für den abwesenden Angeklagten – aus Mangel an Beweisen, wie es in der juristischen Terminologie heißt. Trotz belastenden Zeugenaussagen, unter anderem von seinen Kollegen, die sich ebenfalls im Panzerwagen aufhielten, einem ballistischen Gutachten, das den Polizisten als sicheren Mörder von Murat Daşkan identifizierte, glaubte ihm das Gericht seine Version von der Mär, er habe nur „in die Luft feuern wollen, um die bewaffneten Demonstranten abzuschrecken“.
„Die Polizei ist in das Gebiet mit gepanzerten Fahrzeugen eingedrungen, und eröffnete das Feuer wahllos auf Menschen. Sie hat die Jugendlichen regelrecht gejagt und in eine Sackgasse gedrängt, wo einer von ihnen erschossen wurde.“ Aussage eines Zeugen | Foto von der Beerdigung Murat Daşkans
Der Mord an Murat Daşkan bleibt vorerst – und wohl für immer – ungesühnt. Es ist nur einer von vielen Morden an Kurdinnen und Kurden, deren Täter von der türkischen Justiz geschützt werden. In der Türkei wurde eine Kultur der Straflosigkeit verfestigt. Diese Praxis hat sich zu einer Art Tradition etabliert.