Gergerlioğlu gewaltsam im Parlament festgenommen

Der HDP-Abgeordnete Ömer Faruk Gergerlioğlu ist im türkischen Parlament in Ankara gewaltsam festgenommen worden.

Der HDP-Abgeordnete Ömer Faruk Gergerlioğlu ist im türkischen Parlament in Ankara festgenommen worden. Ihm war am 17. März das Abgeordnetenmandat entzogen worden, seitdem hatte er im Parlament in einer „Gerechtigkeitswache“ ausgeharrt.

Die Festnahme erfolgte am frühen Morgen, Gergerlioğlu wurde gewaltsam aus dem Waschraum geholt und im Schlafanzug abgeführt. Dafür waren Hunderte Polizisten ins Parlamentsgebäude gekommen.

Als Grund für das entwürdigende Vorgehen wurde ein neues Ermittlungsverfahren genannt. Die Generalstaatsanwaltschaft Ankara wirft ihm vor, das Parlament nicht verlassen zu haben, sich weiterhin wie ein Abgeordneter zu verhalten, Presseerklärungen abgegeben und Liveauftritte in digitalen Netzwerken veröffentlicht zu haben und sich ohne Berechtigung in einem öffentlichen Gebäude aufzuhalten. Weiter wird in der Begründung für die Festnahme angeführt, Gergerlioğlu habe nach seinem Mandatsentzug beim Verlassen des Plenarsaals zusammen mit anderen Abgeordneten der HDP-Fraktion „Bijî Serok Apo“ gerufen.

Gergerlioğlu wurde auf die Polizeidirektion gebracht, andere HDP-Abgeordnete haben sich ebenfalls dorthin begeben.

Hintergrund der Verurteilung von Gergerlioğlu

Grundlage der Anklage gegen Gergerlioğlu war zunächst eine Friedensbotschaft. Der Politiker, der von Beruf eigentlich Arzt und Spezialist für Lungenkrankheiten ist, engagierte sich nach den einseitig von der türkischen Regierung beendeten Friedensverhandlungen mit der kurdischen Bewegung im Jahr 2015 für die Friedensplattform in Kocaeli. Bei den Social-Media-Konten der Initiative veröffentlichte Gergerlioğlu nahezu täglich Friedensbotschaften, so auch am 9. Oktober 2016. An diesem Tag postete er ein Foto, das eine gestellte Szene während einer Veranstaltung zum Weltfriedenstag 2015 zeigte: zu sehen sind mehrere Frauen und im Vordergrund zwei Särge. Im einen ein türkischer Soldat, im anderen ein PKK-Kämpfer, die durch entsprechende Fahnen auf den Särgen zu erkennen sind. Unter das Bild schrieb Gergerlioğlu: „Dieser Krieg erschöpft die Gesellschaft. Ein Kind geht zur Armee, ein anderes zur PKK, beide sterben. Wäre es nicht besser, die beiden würden nicht als Leichen nebeneinander liegen, sondern gleichberechtigt leben, Schulter an Schulter?“

Daraufhin geriet Gergerlioğlu auf den Radar rechter Journalisten und Politiker, die eine Hetzkampagne gegen ihn anzettelten. In derselben Woche wurde ein Verfahren gegen den Arzt eröffnet, anschließend folgte die Aussetzung seines Beamtenstatus, die in eine Entlassung per Notstandsdekret mündete. Im Verlauf des 2017 angestrengten Ermittlungsverfahrens tauchten schließlich weitere „Beweise“ gegen den 55-Jährigen auf: Die Staatsanwaltschaft überprüfte rückwirkend für ein halbes Jahr die Artikel Gergerlioğlus, die er damals für die Onlinezeitung T24 geschrieben hatte, und ließ unter anderem ein Zitat („Wenn der Staat einen Schritt auf uns zugehen würde, käme schon in einem Monat Frieden“) aus einer PKK-Erklärung mit in die Anklage einfließen. Obwohl es sich nachweislich nicht um eine Aussage des Politikers handelte, wurde sie dennoch als Terrorpropaganda gewertet. Ebenso eine Kolumne mit dem Titel „Frieden für Kolumbien – Warum geht das nicht auch in der Türkei?“. Im Januar 2019 wurde der Politiker zu zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil ist im Februar dieses Jahres vom Kassationsgerichtshof bestätigt worden.