Für demokratischen Konföderalismus weltweit!

Am 53. Tag des Sitzstreiks in Strasbourg erreichte eine Grußbotschaft von Richard Pestemer die Aktivist*innen vor dem CPT. Richard Pestemer ist Ortsbürgermeister der kleinen selbständigen Kommune Neunkirchen (164 EW) im Hunsrück in Rheinland-Pfalz.

Mit seiner Grußbotschaft drückt Richard Pestemer seine Verbundenheit mit der kurdischen Bewegung und seinen Respekt für Abdullah Öcalan aus und fordert ein sofortiges Ende der Isolationshaft Öcalans. „In diesem Sinne ist die sofortige Beendigung der Isolationshaft von Abdullah Öcalan elementar wichtig, um unsere alle nationalen, ethnischen und religiösen Grenzen sprengende emanzipatorische Bewegung voranbringen zu können“, so der Ortsbürgermeister.

Wir dokumentieren seine Grußbotschaft in ganzer Länge:

Schluss mit der Isolationshaft von Abdullah Öcalan! Demokratischer Konföderalismus weltweit!

Liebe kurdische Freundinnen und Freunde, liebe Freunde und Freundinnen und Unterstützerinnen und Unterstützer aus vielen Nationen für den weltweiten Kampf für den demokratischen Konföderalismus, die ihr euch in Strasbourg für die sofortige Aufhebung der Isolationshaft Abdullah Öcalans einsetzt.

Als Ortsbürgermeister der kleinen selbständigen Kommune Neunkirchen (164 EW) im Hunsrück in Rheinland-Pfalz verfolge ich seit Jahren, wie sich in Rojava/Nordsyrien – vergleichbar mit der zapatistischen Bewegung in Mexiko – scheinbar isoliert in einem geografischen Umfeld von Gewalt, Terror und autokratischen Regimen verschiedenster Einfärbung eine unglaublich urdemokratische Bewegung des demokratischen Konföderalismus entwickelt hat.

Eine Bewegung, der es gelang –was weltweit Erstaunen auslöste – in Kobanê die Terrorbanden des „Islamischen Staates” erstmalig zu stoppen und entscheidend zurückzudrängen. Eine Bewegung, die die kurdische Frage eben nicht mit der Schaffung eines machtvollen Nationalstaates lösen will, sondern, im Gegenteil, mit der Fortentwicklung der Demokratie basierend auf den unmittelbaren kommunalen Selbstverwaltungsstrukturen, der Gleichberechtigung von Religionen und Ethnien und vor allem mit der Förderung der Teilnahme von Frauen an allen gesellschaftlichen Bereichen.

Ich konnte es anfänglich nicht glauben, dass ausgerechnet Abdullah Öcalan als ehemaliger „Befreiungsnationalist” sich ernsthaft mit den Theorien von Murray Bookchin, einem US-amerikanischen Öko-Anarchisten und dem späteren Begründer des „libertären Kommunalismus” auseinandergesetzt hat.

Aber, und das sage ich als ehemaliger Alt-68iger, der später zum Maoisten und schließlich zum GRÜNEN mutierte, wurde nicht endlich ein Ausweg gefunden aus unserer ideologischen Isolation mit unserer dogmatischen Fixierung auf die Machtfrage. Ja, wenn wir die Macht im Nationalstaat in unseren Händen halten, ja dann ist der Weg zum Sozialismus/Kommunismus nur noch eine Frage der Zeit?

Was für ein tragischer Irrtum, wenn wir sehen, welchen Weg die Staaten eingeschlagen haben, die nach der revolutionären Machteroberung für das Volk den Sozialismus, den Kommunismus erkämpfen wollten!

Die bahnbrechende Erkenntnis ist doch die: Alles entscheidend ist letztendlich, dass die Menschen gleich welcher Ethnie, gleich in welchem kulturellem Umfeld, gleich welchen Geschlechts oder Religionszugehörigkeit nur dort, wo sie unmittelbar leben, nämlich in ihren Kommunen, ihr Leben sichern und menschenwürdig und kulturell gehaltvoll organisieren können. Und dies ist nur unabhängig von jeglicher globalen zentralistischen und nationalistischen, oft somit faschistischen Herrschaft möglich.

Diese Bewegung des demokratischen Konföderalismus, die uns den Ausweg aus der die Linken beherrschenden Isolation ermöglicht, wird von allen Mächtigen auf dieser Welt zutiefst gefürchtet. Denn es bedeutet ja, dass sämtliche zentralistische Machtaneignung überwunden wird, dass demokratisch selbstverwaltete Kommunen sich weltweit alle Grenzen überschreitend zusammenschließen können.

Müssen nicht alle machtgeilen Herrschenden – wir könnten da von A bis Z jede Menge illustre Namen darunter E wie Erdoğan oder M wie Merkel auflisten – die gemeinsam trotz aller äußerlich erscheinenden Widersprüche daran interessiert sind, dass mit Abdullah Öcalan die Symbolfigur des „Demokratischen Konföderalismus” weiterhin in Isolationshaft eingesperrt bleibt.

Erdoğan und Merkel haben diesen Deal unter sich ausgemacht: Abdullah Öcalan und der demokratische Konföderalismus sind schlimmer noch als der IS, sie sind die eigentliche Bedrohung für uns beide.

Man stelle sich vor, dass im demokratisch kaschierten Sultanat Türkei und in den Ländern der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie, sich wie in Rojava unmittelbare basisdemokratische-kommunale Bewegungen erfolgreich durchsetzen würden. Könnt Ihr Euch das vorstellen? Ich kann Euch mitteilen, dass wir in unserer kleinen abgelegenen Hunsrückgemeinde in Rheinland-Pfalz in ganz bescheidenen und unvollkommen kleinen Schritten versuchen, praktisch diesen Weg zu gehen. Dies wird als unerhört und subversiv empfunden: Ihr als kleines Dorf wollt eigenständig die nachhaltige und ökologisch verantwortliche Nutzung der gemeindlichen Ländereien, des Gemeindewaldes im Sinne des Gemeinwohls bestimmen?

Wir werden da, was nicht verwundert, von den zentralen Institutionen bis hin zur Landesregierung von Rheinland-Pfalz erbittert bekämpft.

Aber nur der Wille und das Bewusstsein, dass es Freiheit nur geben kann, wenn wir unmittelbar, da wo wir leben, Demokratie praktizieren können, führt uns heraus aus der jeglicher Bevormundung, aus der provinziellen und nationalistischen Enge.

Dies ist eine derart revolutionäre Kraft, die da aus Rojava weltweit ausstrahlt, die trotz aller autoritären und faschistischen Bedrohungen und Verführungen einen mehrheitsfähigen Ausweg aufzeigt.

In diesem Sinne ist die sofortige Beendigung der Isolationshaft von Abdullah Öcalan elementar wichtig, um unsere alle nationalen, ethnischen und religiösen Grenzen sprengende emanzipatorische Bewegung voranbringen zu können.

Ich wünschen uns allen daher einen erfolgreichen Verlauf unserer gemeinsamen Aktion in Strasbourg.