Deutschlands bekanntester Friedensaktivist Claus Schreer ist tot. Der gebürtige Oberschlesier, der in den Fünfzigerjahren in Dachau aufwuchs und seit den Sechzigern die Münchner Ostermärsche organisierte, sei „völlig unerwartet“ in der vergangenen Nacht im Alter von 85 Jahren verstorben, teilte der Journalist Michael Backmund, langjähriger Freund von Schreer, am Donnerstag in München mit. In einem gemeinsamen Nachruf bringen Backmund sowie Schreers Lebensgefährtin Monika Ziehaus, die Künstlerin Petra Gerschner, der Musiker Konstantin Wecker und der Aktivist Azad Bingöl ihre Trauer zum Ausdruck:
Mein Claus ist tot. Claus ist tot. Claus Schreer ist tot
„Sein Tod ist für uns persönlich und politisch unendlich traurig. So, wie es für das ganze Leben von Claus und uns immer gewesen ist, sind das Persönliche und das Politische untrennbar miteinander verbunden. Weil es immer um uns, die konkreten Menschen und unsere gemeinsamen politischen Träume und Kämpfe geht.
Claus war für Monika seit Jahrzehnten geliebter Lebenspartner im wahrsten Sinne des Wortes. Für uns war Claus ein echter Freund und immer auch ein streitbarer und unbequemer Genosse und Weggefährte. Niemals Opportunist. Niemals eitel oder auf seinen eigenen persönlichen Vorteil bedacht. Konsequent, persönlich integer und politisch radikal. Ein Internationalist des Herzens und der Tat: Er wurde nicht nur für seine Reden und Texte u.a. in Solidarität mit der kurdischen Befreiungsbewegung und Abdullah Öcalan von deutschen Gerichten verurteilt, sondern stand auch in Kurdistan vor türkischen Soldaten und sah die deutschen Panzer im Einsatz.
Sein Tod ist gerade in diesen schrecklichen Zeiten des Krieges eine unendlich traurige Nachricht. Denn Claus hat fast sein ganzes Leben gegen alle imperialen Kriege gekämpft und sich immer und unermüdlich für eine friedlichere und gerechtere Welt für alle Menschen weltweit stark gemacht. Oft bis zur Erschöpfung, ohne Rücksicht auf die physischen Grenzen seines Körpers. Er ist dafür festgenommen, verhaftet, von der Polizei verprügelt und eingesperrt worden. Er hat die Fragen gestellt, die mensch sich stellen muss, auch wenn sie für die eigene Organisation oder alte Weggefährten unangenehm waren. Die verzweifelnde Entwicklung der herrschenden Verhältnisse wollte Claus nie unwidersprochen dulden, sondern die Option auf eine bessere Welt und eine gerechtere Gesellschaft wachhalten. So blieb er bis zuletzt politisch aktiv und konnte auch in hohem Alter das Leben lebendig genießen, tanzen und Musik hören, lesen und seine Liebsten in der Familie treffen.
Claus war einer der ganz wenigen, besonderen Menschen in den sozialen und politischen Bewegungen der letzten 70 Jahre, denen es immer um den Inhalt und die betroffenen Menschen gegangen ist. So wie seinem Freund und Weggefährten Martin Löwenberg (1925 – 2018). Kurz vor seinem 80. Geburtstag hat Claus einem Journalisten erklärt: „Revolution mit 80 macht Spaß!“
Bis zuletzt hat Claus Pläne gemacht, Aktionen vorbereitet, hat gelitten unter der Selbstzerstörung und dem Versagen der Linken, hat sich trotzdem und vor allem auf die Tage mit seinen Enkelkindern gefreut, auf seinen nächsten Urlaub mit Monika auf seiner Sehnsuchtsinsel Kreta (die einzig wirklichen Auszeiten von Telefon, Straße und Versammlungszimmern, die er und Monika sich seit Jahrzehnten gegönnt haben). Wir alle wollten uns bald treffen, um über diese schrecklichen Zeiten und das Versagen der Linken uns auszutauschen, auch um uns nicht dumm machen zu lassen von den herrschenden Verhältnissen. Und Claus hat sich gemeinsam mit uns auf die Utopia-2.0-Konzerte im November gefreut.
In der Nacht zum 24. August 2023 ist Claus völlig unerwartet verstorben. Seine geliebte Monika war bei ihm.
Claus ist tot (3. Juni 1938 – 24. August 2023). In unseren Erinnerungen, Diskussionen und Gedanken wird uns Claus weiter begleiten, wir werden im Gespräch bleiben.“