Im Auslieferungsverfahren gegen den Internationalisten Ecevit Piroğlu aus Serbien in die Türkei soll am Mittwoch das endgültige Urteil des Belgrader Berufungsgerichts fallen. Die vom Bündnis demokratischer Kräfte in Europa (ADGB) getragene Kampagne Freedom for Ecevit Piroğlu nahm die bevorstehende Entscheidung zum Anlass, ihre Forderung nach umgehender Freilassung des alevitischen Kurden und die Anerkennung seines Rechts auf Asyl wegen politischer Verfolgung in der Türkei zu bekräftigen. Hierfür kamen Mitglieder verschiedener ADGB-Verbände am Montag im schweizerischen Zürich sowie in der französischen Hauptstadt Paris vor den Botschaften Serbiens zusammen.
In einer öffentlich verlesenen Stellungnahme wurde die serbische Justiz ermahnt, sich nicht zur „Gehilfin“ des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan zu machen und es abzulehnen, als Instrument für dessen „transnationale Repression“ zu dienen. Ein Sprecher in Zürich forderte: „Ecevit Piroğlu muss am Mittwoch freigelassen werden. Die Anstrengungen, die das türkische Regime bereits seit Monaten unternimmt, um seine Auslieferung zu erwirken, sind ein weiterer Versuch, die Opposition und vor allem linke sozialistische Kräfte, die als Staatsfeinde gelten, zu schwächen. Darauf darf die serbische Justiz nicht eingehen.“ Außerdem wurde davor gewarnt, dass Piroğlu in Serbien möglicherweise Opfer einer völkerrechtswidrigen Verschleppung durch den türkischen Geheimdienst MIT werden könnte. Darauf deute „emsiger diplomatischer Reiseverkehr“ mit Ausgangspunkt Ankara hin, der schon länger beobachtet werde.
Zum Abschluss der Kundgebungen wurde sowohl in Zürich als auch in Paris auf eine Protestveranstaltung am heutigen Dienstag in Düsseldorf aufmerksam gemacht. Die Aktion findet ab 12 Uhr vor dem serbischen Konsulat (Klosterstraße 79) statt.
Wer ist Ecevit Piroğlu?
Ecevit Piroğlu wurde 1974 in der zentralanatolischen Stadt Kırşehir geboren, ursprünglich stammt er aus Ezirgan (tr. Erzincan). Politisiert in der Studierendenbewegung der neunziger Jahre, war er später für einige Zeit Vorstandsmitglied des international bekannten Menschenrechtsvereins IHD, der seit Jahrzehnten Folterungen in Haft, Polizeigewalt auf Demonstrationen und das „Verschwindenlassen“ linker und kurdischstämmiger Menschen in der Türkei anprangert. Aufgrund seines politischen Wirkens war Piroğlu mehrfach im Gefängnis.
Als aktiver Teilnehmer am Gezi-Aufstand 2013 und Geschäftsführer der Sozialistischen Demokratie-Partei (SDP) wurde er von der Regierung verstärkt ins Visier genommen. Im Juni 2013 fand eine staatliche „Racheoperation“ gegen die SDP aufgrund ihres federführenden Einsatzes bei Gezi statt, die Zentrale in Istanbul wurde von paramilitärischen Spezialeinheiten der Polizei überfallen. Piroğlu befand sich unter den 74 Personen, die damals brutal festgenommen wurden. Viele der damaligen Betroffenen wurden später im sogenannten „Revolutionäres Hauptquartier“-Verfahren („Devrimci Karargah”) zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.
Angesichts der Verhaftungen und massiven Verfolgung ihrer Führungskräfte war die SDP 2015 gezwungen, sich aufzulösen. Noch im selben Jahr entschied Piroğlu die Türkei zu verlassen, um einer jahrzehntelangen Gefängnisstrafe zu entgehen. Er ging nach Nordsyrien und schloss sich dem Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) an. Im Juni 2021 reiste er nach Serbien, um politisches Asyl zu beantragen, und wurde noch am Belgrader Flughafen verhaftet. Grund dafür ist das Interpol-System, das die Türkei systematisch als Instrument zur Bestrafung ihrer politischen Gegner im Ausland missbraucht. Ankara führt Piroğlu in seiner „Roten Liste“ der meistgesuchten „Terroristen“, auf ihn ist ein Kopfgeld von zehn Millionen TL (aktuell rund 500.000 Euro) ausgesetzt.
Im Oktober 2022 hob das Berufungsgericht in Belgrad die Entscheidung einer unteren Instanz auf, Ecevit Piroğlu an die Türkei auszuliefern. Der Aktivist befindet sich weiter in Haft – ein Verstoß gegen die Richtlinien des UN-Ausschusses gegen Folter, serbisches Recht und frühere Gerichtsurteile. Auch sein Asylantrag wurde bislang nicht positiv beantwortet, obwohl ihm in der Türkei mindestens dreißig Jahre Gefängnis drohen.