Fall Zozan G.: Drohszenario für alle politisch aktiven Mütter

Der fünffachen Mutter Zozan G. droht der Sorgerechtsentzug, weil sie sich in der kurdischen Bewegung engagiert. An dem Fall aus Oberhausen wird deutlich, wie tiefgreifend in Deutschland der Abbau demokratischer Grundrechte voranschreitet.

Welches Ausmaß die Kriminalisierung von Kurdinnen und Kurden durch deutsche Repressionsbehörden mittlerweile erreicht hat, lässt sich dieser Tage an einem Sorgerechtsprozess gegen die Oberhausener Aktivistin Zozan G. verdeutlichen. Die Strafverfolgungsbehörden werfen der alleinerziehenden, berufstätigen Mutter vor, ihre Kinder zu indoktrinieren und ihre Nähe zur PKK-nahen Unterstützerszene zu fördern. Hintergrund der Vorwürfe ist die Teilnahme von Zozan G. und ihrer 13-jährigen Tochter L. an Demonstrationen der kurdischen Bevölkerung in Deutschland im vergangenen Jahr, um einen Hungerstreik politischer Gefangener gegen die jahrelange Isolationshaft des PKK-Gründers Abdullah Öcalan zu unterstützen und für eine politische Lösung des Konfliktes einzutreten. Weitere Demonstrationen, an denen die Aktivistin und ihre minderjährige Tochter teilnahmen, richteten sich gegen den völkerrechtswidrigen Angriff der Türkei auf Rojava (Nordsyrien). Daraus konstruierte der polizeiliche Staatsschutz Düsseldorf nach einer Personalienfeststellung während einer Demonstration am Landtag den Vorwurf der Kindswohlgefährdung. Nun droht Zozan G. der Entzug des Sorgerechts für ihre fünf Kinder.

Ulla Jelpke: Eltern von FFF-Kindern könnten auch bestraft werden

„Sollte hier tatsächlich einer politisch engagierten Mutter das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen werden, weil sich eine Tochter politisch engagiert, wäre das nach meiner Kenntnis ein bislang einzigartiger Präzedenzfall, der damit weit über die kurdische Bewegung hinaus Bedeutung erlangen würde. Nach dieser Logik könnten dann zukünftig auch Eltern mit Kindesentzug bestraft werden, weil sich ihre Kinder an der Klimaschutzbewegung Fridays for Future beteiligen und dabei die Schule schwänzen“, erklärte Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, gegenüber der Tageszeitung Yeni Özgür Politika. Allerdings seien die Hürden für einen Sorgerechtsentzug hoch angelegt, da in Deutschland die Familie unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes und im Vordergrund das Kindeswohl steht. Als Strafe oder Druckmittel für politisches Wohlverhalten der Eltern dürfe ein Sorgerechts- bzw. Kindesentzug nicht benutzt werden. „Ich bin von daher zuversichtlich, dass das Gericht diesen absurden und geradezu verfassungswidrigen Antrag des Jugendamtes, hinter dem offensichtlich der Staatsschutz steht, mit aller Entschiedenheit zurückweist“, so Jelpke.

Niema Movassat: Politisch aktive Frau soll mundtot gemacht werden

Auch für den linken Abgeordneten Niema Movassat klingt das ganze Verfahren absurd. „Selbst das Jugendamt sieht keine Kindeswohlgefährdung. Dennoch wird das Verfahren vor dem Familiengericht geführt. Offensichtlich geht es darum, eine politisch aktive Frau, die sich für Solidarität mit Rojava einsetzt, mundtot zu machen.“ Dass hierbei die Kinder als Vorwand genutzt werden, sei schwer erträglich, sagte Movassat. Die wirkliche Kindeswohlgefährdung liege eher in diesem Gerichtsverfahren. „Im Übrigen haben auch Kinder und Jugendliche die Grundrechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Die Teilnahme einer Jugendlichen an einer Demo kann kein Grund sein, einer Mutter Kindeswohlgefährdung zu unterstellen“, so der Politiker.

Die Hamburger Ethnologin und Buchautorin Anja Flach macht darauf aufmerksam, wie tiefgreifend in Deutschland der Abbau demokratischer Grundrechte voranschreitet. „Sollte der Staatsschutz damit durchkommen, würde es bedeuten, dass jede Frau, die sich politisch betätigt, fürchten muss, dass ihr die Kinder weggenommen werden. Eine solche Art der Repression hat sich noch nicht einmal das Erdogan-Regime einfallen lassen“, warnt Flach. Für sie sei schockierend, dass deutsche Gerichte in der Verfolgung von politisch aktiven Kurd*innen solche Mittel anwenden.

Drohszenario für alle politisch aktiven Mütter

„Wir alle wissen, dass der Staatschutz hier in Deutschland sogar schon Menschen in den Tod getrieben hat.“ Anja Flach erinnert an den 23-jährigen Kurden Eser Altinok, der Anfang 1998 in einem Militärkrankenhaus in Koblenz ums Leben kam. Altinok hatte dem Bundeskriminalamt als Kronzeuge gedient und war in Prozessen in Berlin, München und Stuttgart als solcher aufgetreten. Aus Reue, weil er vom Staatsschutz dazu gezwungen wurde, gegen die eigenen Genossen auszusagen, verbrannte er sich selbst.

„Ich bin selbst Mutter. Was wir im Fall von Zozan sehen, ist, dass hier mit Kindeswohl argumentiert wird, in Wirklichkeit aber den Kindern von Zozan geschadet wird“, sagte Flach. Beim Sorgerechtsprozess am Amtsgericht Oberhausen wurden alle fünf Kinder der Aktivistin, sogar das jüngste mit gerade einmal drei Jahren und ihr sechsjähriger Sohn, der aufgrund von einem Hörfehler entwicklungsverzögert ist, von der zuständigen Richterin befragt. Und das obwohl sogar das Jugendamt sich gegen ein solches Verhör ausgesprochen hat. Den Kindern gehe es damit gar nicht gut, sie hätten Ängste, ihrer Mutter weggenommen zu werden, erklärte Anja Flach.

PKK-Verbot öffnet Tür und Tor für Willkür

„Es ist widerlich, wie der Staatschutz hier in der Bundesrepublik Kurd*innen, die sich für ihre demokratischen Rechte einsetzen, verfolgt. Das PKK-Verbot muss weg, denn es öffnet Tür und Tor für solche Willkür. Erdogan ist ein Faschist. Sich für eine Alternative zum türkischen Faschimus einzusetzen ist legitim, der Staatsschutz macht sich zum Handlanger der Erdogan-Politik“, so die Hamburgerin.

Anja Flach ist zudem Mitglied der Kampagne „Gemeinsam Kämpfen für Demokratische Autonomie und Selbstbestimmung“. Die Initiative erklärt sich solidarisch mit Zozan G. und allen Müttern, die für ein besseres Leben für sich und ihre Kinder kämpfen.

Titelfoto: Hinrich Schultze | http://www.dokumentarfoto.de/