Erinnern heißt Kämpfen

Im Hamburg hat eine Veranstaltung in Erinnerung an Alina Sánchez (Lêgerîn Çiya) und weitere Internationalist*innen, die im Frühjahr in Rojava ums Leben gekommen sind, stattgefunden.

Im Rahmen des monatlichen Cafés der Kampagne TATORT Kurdistan im Centro Sociale in Hamburg wurde den Internationalist*innen gedacht, die in diesem Frühling in Rojava gefallen sind. 40 Menschen fanden sich ein, um gemeinsam anhand von Briefen, Erzählungen, Videos und Bildern an Alina Sánchez (Lêgerîn Çiya), Anna Campbell (Helîn Qereçox), Haukur Hilmarsson (Şahin Hosseini) und Olivier François Le Clainche (Kendal Breizh) zu erinnern.

„Jetzt bin ich voller Freude“

Nach einer Gedenkminute für die im Kampf Gefallenen wurde der Abend mit einem Zitat der Internationalistin Andrea Wolf eingeleitet, mit dem sie ihre Gefühle vor dem Aufbruch nach Kurdistan im Jahre 1995 beschrieb: „Der Glaube an eine andere Gesellschaft, eine freie, solidarische Gesellschaft, das Vertrauen in den Kampf gegen Kapitalismus und Faschismus, das sind Erbe, Gegenwart und Zukunft des Internationalismus.“

Für eine freie Zukunft Teil der Revolution in Rojava sein

Im Eingangsreferat wurde auf der Veranstaltung darauf hingewiesen, dass Rojava die Möglichkeit bietet, Internationalismus zu leben und zu entwickeln. Menschen von allen Kontinenten kommen dorthin, um für eine solidarische gesellschaftliche Zukunft zu kämpfen. Die Revolution ist auch ihre Revolution; eine Revolution gegen Unrecht und Ausbeutung, gegen Patriarchat, Gewalt und Bevormundung. Dieser Revolution widmeten die Internationalist*innen ihr Leben.

Erinnern heißt kämpfen

Weiter hieß es auf der Veranstaltung: „Lêgerîn, Helîn, Kendal und Şahin sind einige der vielen, die dieses Frühjahr in Rojava ums Leben kamen. Ihren Weg weiterzugehen, an sie zu erinnern und ihrer zu gedenken, das ist die Verantwortung, die auf allen liegt. Die Wertschätzung, die durch das Gedenken den Menschen entgegengebracht wird, dient als Inspiration, als Kraft, als Antrieb, als Quelle der Freude.“

Den einleitenden Sätzen folgte eine kurze Ansprache einer Vertreterin der kurdischen Frauenbewegung. Anschließend wurden die gefallenen Internationalist*innen von verschiedenen Referent*innen vorgestellt. Zwischen den einzelnen Beiträgen wurden in Saz-Begleitung Lieder von einem Freund gesungen. Der Raum war mit farbigen Stoffen und Fahnen verschönert, Kerzen und Blumen schmückten die Fotos der Gefallenen.

Alina: Über Hamburg nach Kurdistan

An der Veranstaltung nahmen viele Menschen teil, die Alina Sánchez persönlich kannten, da sie sich wiederholt über längere Zeit in Hamburg aufhielt. Es wurde davon erzählt, wie Alina zur kurdischen Bewegung gekommen ist: Ein Freund brachte sie vor acht Jahren zum TATORT Kurdistan Café. Dort wurde ihr Feuer entfacht und kurze Zeit später reiste sie das erste Mal nach Kurdistan. Nach ein paar Monaten kam sie nochmal nach Hamburg, sie sprach inzwischen fließend Kurdisch. Ihr war nahegelegt worden, erst ihr Medizinstudium zu beenden, so ging sie zunächst zurück nach Kuba, schloss ihr Studium ab und fing gleichzeitig an, in Lateinamerika die Ideen Abdullah Öcalans, den demokratischen Konföderalismus und die Revolution in Kurdistan bekannt zu machen. Sie hat viel dazu beigetragen, die Kämpfe der Völker Lateinamerikas der kurdischen Bewegung und umgekehrt näher zu bringen und Kontakte aufzubauen. 2013 ging sie nach Rojava, um dort die Gesundheitsversorgung mit aufzubauen. Am 17. März starb sie in Hesekê bei einem Verkehrsunfall. Die zahlreichen Anekdoten, Bilder und Interviews, die am Abend geteilt wurden, zeugten von Alinas Suche nach Freiheit und Menschlichkeit. Sie war ständig auf der Suche; ihre Neugier brachte sie dazu, unentwegt Fragen zu stellen und nie damit aufzuhören, wie sich ein Freund erinnerte.

Haukur Hilmarsson: Als isländischer Anarchist im Widerstand von Efrîn

Als ein weiteres Zeichen des Internationalismus zeugte die Anwesenheit eines Freundes von Haukur Hilmarsson (Şahin Hosseini) aus Island. Er ist nach Deutschland gereist, um der Aufklärung von Haukurs Tod nachzugehen. Haukur verlor sein Leben bei der Verteidigung Efrîns, als dort das türkische Militär und die verbündeten islamistischen Milizen einfielen. Die türkische Regierung verweigert nach wie vor die Auskunft über den Verbleib des Leichnams.

Der Freund berichtete von Haukurs Vergangenheit in Island: wie sich dieser 2006 anarchistischen Kreisen anschloss und seitdem gegen die kapitalistische Moderne kämpfte. Er beschrieb die Erfahrungen, die sie gemeinsam in Island gemacht haben, und wie entschlossen und energisch Haukur für seine Überzeugungen eintrat. Eine der vielen Erinnerungen erzählt, wie Haukur auf die Rollbahn des Flughafen rannte, um sich mit seinem bloßen Körper einem Flugzeug entgegenzustellen, mit dem Asylsuchende abgeschoben werden sollten. Mit seinem Einsatz erreichte er, dass der Mann aus dem Kongo zurück nach Reykjavík gebracht wurde und nun seitdem dort wohnt. Auch wurde ein sehr schöner Brief von Genossen aus Holland verlesen, die an seiner Seite in der isländischen Hochebene gegen die Zerstörung der Umwelt durch Industrie kämpften.

Kendal Breizh: Aus der Bretagne nach Rojava

An Kendal Breizh wurde durch Briefe von Genoss*innen aus der Bretagne erinnert. Auch wurden Videobotschaften gezeigt, die er aus Rojava nach Europa und die ganze Welt sendete. Darin beschreibt er, warum er sich der Revolution angeschlossen hatte. Er kämpfte in der YPG zunächst gegen den sogenannten Islamischen Staat und anschließend gegen die türkische Armee in Efrîn, wo er bei einem Luftangriff ums Leben kam.

Anna Campbell: Die Kultur der Dominanz überwinden

Helîn Qereçox, wie Anna Campbell genannt wurde, als sie nach Rojava kam, war eine britische Aktivistin und Internationalistin. Sie nahm als YPJ-Kämpferin am Widerstand von Efrîn teil. Auch von ihr wurden Videobotschaften und ein Gedenkvideo gezeigt. Anna wollte Teil der Frauenrevolution sein. Auf der Suche nach neuen Perspektiven verglich sie ihre Erfahrungen aus Kämpfen und Diskursen anarchistischer, antiautoritärer und queer-feministischer Organisierungen in England mit den neuen Eindrücken in Rojava und schloss daraus: „Rojava ist eine gute Schule. Wir lernen und bilden uns selbst weiter. Eine langfristige Perspektive, die beinhaltet, selbst eine militante Persönlichkeit zu entwickeln. Divers sein, ohne sich in endlose ideologische Grabenkämpfe zu verwickeln. Die Kultur der Dominanz überwinden, die Spuren von Patriarchat, kapitalistischer Lebensweise und Nationalstaat überwinden.“

Anna Campbell verlor am 15. März beim Artilleriebeschuss der türkischen Armee auf Verteidigungsstellungen in Efrîn zusammen mit drei weiteren Freundinnen ihr Leben.