In einem gemeinsamen Appell haben führende deutsche Menschenrechts- und Friedensorganisationen die Bundesregierung aufgefordert, sich gegen die aggressive und antidemokratische Politik des türkischen Staatspräsidenten Erdoğan zu stellen. Die Türkei als Mitglied des Europarats, der Nato und Beitrittskandidatin der Europäischen Union habe sich in den letzten Jahren mit rasanter Geschwindigkeit zu einem autokratischen Unrechtsstaat entwickelt, heißt es in dem von Dr. Gisela Penteker, der Türkeibeauftragen der Deutschen Sektion der Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges / Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW), dem Dialog-Kreis „Die Zeit ist reif für eine politische Lösung im Konflikt zwischen Türken und Kurden“, dem Komitee für Grundrechte und Demokratie und dem Netzwerk Friedenskooperative unterzeichnet wurde.
Türkische Gefängnisse überfüllt mit politischen Gefangenen
Weiter heißt es: „Das Parlament, die Regierung und die Justiz agieren unter dem Diktat Erdogans, das Land wird per Dekret regiert. Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind faktisch abgeschafft. Aller Kritik an Erdogan und seiner Regierung wird mit Härte begegnet. Die türkischen Gefängnisse sind überfüllt mit politischen Gefangenen, kritischen Journalisten, Intellektuellen und Wissenschaftlern aller politischen Couleur”.
In dem Aufruf machen die Unterzeichner*innen darauf aufmerksam, dass die türkische Regierung seit Beendigung des Friedensprozesses mit der PKK im Jahre 2015 einen Vernichtungskrieg gegen das kurdische Volk, sowohl im Inland als auch jenseits ihrer Grenzen, in Syrien und im Irak führt. „Nach der Besetzung von Afrin in Nordsyrien und der Vertreibung der dortigen kurdischen Bevölkerung plant sie seit Wochen, die anderen kurdisch besiedelten Gebiete in Syrien anzugreifen und zu besetzen. Außerdem bombardiert die türkische Luftwaffe tagtäglich Ortschaften in Irakisch-Kurdistan, terrorisiert die Zivilbevölkerung und begeht Massaker. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages bezeichnet die Türkei als eine Besatzungsmacht in Afrin und in Nordsyrien”, heißt es außerdem.
Politik Erdoğans hat negative Auswirkungen auf Sicherheit und Stabilität Europas
Die aggressive Politik Erdoğans im Inland und im benachbarten Ausland habe auch negative Auswirkungen auf die Sicherheit und Stabilität Europas. Auch deshalb müsse die Fortsetzung dieser Politik dringend unterbunden werden, fordern die Unterzeichnenden. Konkret richtet der Appell folgende Forderungen an die Bundesregierung:
-sich gegen die antidemokratischen und rechtswidrigen Machenschaften des Erdogan-Regimes zu stellen,
-die Augen vor den völkerrechtswidrigen Operationen des türkischen Militärs gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei, im Irak und in Syrien nicht zu verschließen,
-sich gemeinsam mit den Mitgliedsstaaten der EU für eine internationale Initiative zur Lösung der Kurden-Frage einzusetzen,
-sämtliche Rüstungsexporte an die Türkei einzustellen und die Hermesbürgschaften auszusetzen,
-und den Rückzug der türkischen Besatzungstruppen aus Afrin öffentlich zu fordern und sich gegen eine neue Invasion der kurdischen Gebiete in Syrien zu positionieren.
Die Hungerstreik-Aktionen der Kurd*innen
Weiter heißt es: „ Am 15. Februar jährt sich die Verschleppung des Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistan (PKK), Abdullah Öcalan, in die Türkei. Vor 20 Jahren wurde er durch eine drei Kontinente umfassende Verfolgungsjagd schließlich aus Kenia in die Türkei entführt. Der zu lebenslange Haft verurteilte Öcalan sitzt seitdem auf einem Inselgefängnis (Imrali) in Isolationshaft. 17 Jahre lang war er als einzelner Gefangener in diesem Hochsicherheitsgefängnis. Vor vier Jahren wurden drei weitere Gefangene auf die Insel verlegt.
Alle vier Gefangene befinden sich seit vier Jahren in totaler Isolationshaft. Sie dürfen keine Rechtsanwälte und Familienangehörige empfangen und mit ihnen kommunizieren. Auch Gefangene und Geiseln haben jedoch international anerkannte Rechte. Isolationshaft wird international geächtet und gehört zu den schlimmsten Foltermethoden.
Am 7. November 2018 begann die bei den letzten Wahlen am 24. Juni 2018 gewählte und sich bis zum 25. Januar 2019 in Haft befindende Abgeordnete der HDP, Leyla Güven, einen unbefristeten Hungerstreik, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Zustände in den Gefängnissen und die seit Jahren andauernde Isolationshaft von Öcalan zu lenken sowie die türkische Regierung zur Rückkehr zum von Erdogan vor vier Jahren gekündigten Friedensprozess mit der PKK zu bewegen.
In den darauffolgenden Wochen haben sich Hunderte kurdische Gefangene in der Türkei und ebenso viele Zivilisten in Europa und anderswo dem Hungerstreik angeschlossen. Viele der Hungerstreikenden haben eine kritische Phase erreicht, und Menschenleben sind akut gefährdet.
Daher rufen wir die Bundesregierung dringend dazu auf, ihren Einfluss auf Erdogan geltend zu machen, um ein Ende der Isolationshaft und eine menschenwürdige Behandlung der Gefangenen zu erreichen sowie den Verlust von Menschenleben zu unterbinden. Außerdem sollte die Bundesregierung den Europarat und das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher Behandlung (Committee for the Prevention of Torture, CPT) auffordern, eine Delegation zu Imrali-Gefängnis zu entsenden. Des Weiteren könnte sie die EU-Troika veranlassen, diesbezüglich Gespräche mit der türkischen Regierung zu führen. Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages sollten die in einem unbefristeten Hungerstreik befindende Abgeordnete Leyla Güven besuchen und so deeskalierende Signale an hier in Deutschland lebende Kurd*innen senden.
Wir, die Unterzeichner*innen dieses Appells, möchten die Bundesregierung, die politischen Akteure, Friedens- und Menschenrechtsorganisationen sowie die demokratische Öffentlichkeit einladen, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und entsprechend dieses Appells zu handeln sowie Menschenleben zu schützen!”