EGMR weist Öcalan-Klage ab
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Klage von Abdullah Öcalan wegen Folter im Isolationsgefängnis Imrali als nicht ausreichend belegt abgewiesen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat die Klage von Abdullah Öcalan wegen Folter im Isolationsgefängnis Imrali als nicht ausreichend belegt abgewiesen.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat nach acht Jahren Untersuchung den Antrag Abdullah Öcalans, der sich auf einen physischen Angriff und Todesdrohungen vor zehn Jahren bezieht, zurückgewiesen.
CPT legitimiert das Imrali-System
Das EGMR wies in seinem Urteil (Beschwerdenummer 12261/10) auf einen Bericht des Komitees zur Verhütung von Folter (CPT) hin, in dem es hieß, Öcalan werde nicht gefoltert. Das CPT hatte in seinem Bericht vom Januar 2010 die Haftbedingungen des kurdischen Vordenkers als „generell akzeptabel“ bezeichnet.
Die Geschichte des Verfahrens
Das Verfahren beschäftigte sich mit einer Zellendurchsuchung bei Abdullah Öcalan im Jahr 2008 und die gegen Öcalan gerichteten Angriffe und Todesdrohungen. Im Oktober 2008 hatten sich 236 Gefangene wegen Folter und Todesdrohungen gegenüber Öcalan an die Staatsanwaltschaft in Bursa gewandt.
Die Anwält*innen Öcalans hatten in einer Presseerklärung am 18. Oktober 2008 folgendes berichtet: „Unter dem Vorwand von Zellendurchsuchungen wurde die Zelle Öcalans vollständig verwüstet. Er wurde in ein Nebenzimmer gebracht. Als er Widerspruch dagegen erhob, wurde ihm gesagt: ‚Halt den Mund, du darfst nicht sprechen. Du hast nicht das Recht, auch nur ein Wort zu sagen‘. Dann wurden ihm von zwei Beamten die Arme nach hinten gerissen, er wurde gebeugt und zu Boden gedrückt. Das ist eine Foltermethode. Öcalan sagte dazu: ‚Mich umzubringen wäre besser als mich so zu behandeln‘, daraufhin erwiderte einer der Beamten: ‚Das kommt auch noch‘ und stieß damit eine direkte Todesdrohung aus.“
Nach dem Angriff fanden tagelang Protestaktionen statt. Daraufhin wurde gegen die beiden Angreifer ein Disziplinarverfahren eingeleitet, das allerdings ohne Ergebnis eingestellt wurde. Einen entsprechenden Antrag wies das Gericht von Yalova im Juli 2009 zurück. In der Türkei gibt es keine gerichtliche Instanz, die die Bedingungen in Imrali juristisch verfolgt.
Am 2. März wurde in der beim EGMR eingereichten Klage darauf hingewiesen, dass das in der Europäischen Menschenrechtskonvention in Artikel 2 verankerte Recht auf Leben verletzt wurde. Außerdem sind die Artikel 3, 6, 13 und 14 ebenfalls verletzt worden, die das Verbot von Folter, das Recht auf ein faires Verfahren, das Recht auf eine wirksame Klage und das Verbot von Diskriminierung regeln.
Die Straßburger Richter sahen für Folter gegen Öcalan keine Anhaltspunkte. Öcalan sei am Tag der Durchsuchung und danach von Ärzten untersucht worden, die keinerlei Verletzungen oder psychische Belastung bei ihm festgestellt hätten, hieß es in der Begründung. Daher sei nicht belegbar, ob und wann Öcalan misshandelt wurde, resümierte das Gericht. Ein Verstoß der Türkei gegen das Folterverbot läge nicht vor.
EGMR und CPT Hand in Hand
Das Schweigen der westlichen Mächte und internationaler Organisationen zu den Bedingungen auf Imrali hat sich mit der EGMR-Entscheidung einmal mehr bestätigt. Im März veröffentlichte das zum Europarat gehörige CPT statt eines Berichts über die aktuellen Bedingungen auf Imrali einen auf zwei Jahre alten Beobachtungen basierenden Report. Der CPT-Bericht beruht auf einen Besuch im April 2016 und bringt sorgen zur Sprache, dass Öcalan und die anderen Gefangenen keine Verbindungen nach draußen herstellen könnten und sich diese Situation kontinuierlich verschlechtere. Das CPT hatte gefordert, dass die türkischen Verantwortlichen Maßnahmen ergreifen, um Anwalts- und Familienbesuche bei Öcalan zu ermöglichen. Keine der Empfehlungen im Bericht wurde von Seiten der türkischen Regierung erfüllt.
Die Berichte des Antifolterkomitees legitimieren einerseits die Isolationshaft und die unmenschlichen Bedingungen auf Imrali, während andererseits die Entscheidungen des EGMR zum internationalen Schweigen beitragen. Die letzte Entscheidung des EGMR fällt in eine Zeit, in der sich der Faschismus in der Türkei institutionalisiert hat und die Beziehungen zwischen dem türkischen Staatspräsidenten Erdogan und Europa dabei sind, sich zu stabilisieren.
Im März 2014 wies der EGMR den 2007 von den Anwält*innen Öcalans eingereichten Zusatz zur Akte zurück, in dem es hieß „man will Öcalan durch Vergiftung langsam töten.“ Die Entscheidung fiel auf der Basis von medizinischen Berichten, welche die türkische Regierung selbst beim CPT eingereicht hatte. Die Klage dazu war im Jahr 2003 eingereicht worden. Der EGMR hatte 2009 zur genannten Entscheidung erklärt, die Haftbedingungen Öcalans entsprächen den Bedingungen der Europäischen Menschenrechtskonvention. Wie Isolationshaft den Menschenrechten entsprechen kann, bleibt das Geheimnis des Gerichts.
Isolationshaft wird Legitimität verliehen
Die Entscheidung des EGMR und die Veröffentlichung des CPT-Berichts fallen in eine Zeit, in der Öcalans Isolation so scharf ist wie nie zuvor. Öcalan kann seit 2011 keinen Anwaltsbesuch mehr empfangen, seit April 2015 ist er vollständig von der Außenwelt abgeschnitten. Vor wenigen Tagen wurde seiner Familie mitgeteilt, dass Öcalan aufgrund einer Disziplinarstrafe keinen Besuch empfangen dürfe. Auf welcher Grundlage die Disziplinarstrafe verhängt wurde, wissen weder die Anwält*innen noch die Familie des kurdischen Volksrepräsentanten.