Düsseldorf: „Es läuft ein Krieg gegen die kurdische Existenz“

Tausende Menschen haben sich in Düsseldorf an der bundesweiten „Defend Kurdistan“-Demonstration gegen den türkischen Angriffskrieg in Südkurdistan beteiligt. Kritik richtete sich neben der PDK gegen den „Westen“, der als mitverantwortlich angesehen wird.

Tausende Menschen haben sich in Düsseldorf an diesem Sonnabend an der bundesweiten „Defend Kurdistan“-Demonstration gegen den türkischen Angriffskrieg in Südkurdistan beteiligt. Die Polizei sprach von 4.500 Teilnehmenden, das Organisationskomitee von rund doppelt so vielen. Die Protestierenden hatten sich am Vormittag vor dem DGB-Haus zunächst zu einer Auftaktkundgebung versammelt. Auf der Ladefläche eines LKW sprachen mehrere Redner:innen zu der Menge, darunter Vertreter:innen von KON-MED, KCDK-E, PJAK, der Yaresan-Plattform, der Ezidischen Koordination in Europa und der Linkspartei. Geschlossen richtete sich die Kritik an die sogenannte „westliche Wertegemeinschaft“, die den Angriffskrieg des türkischen Nato-Partners in Südkurdistan duldet und mitverantwortlich angesehen wird. Insbesondere die Unterstützung des türkischen Regimes durch die Bundesregierung wurde angeprangert. Anschließend zog die Demonstration über die Steinstraße und Königsallee vor den Landtag.


Eine gute Stunde dauerte der Marsch nach Start bis zum NRW-Landesparlament. Menschen jeden Alters waren beteiligt, viele teilten sich in verschiedene Blöcke auf. Kunstschaffende der kurdischen Kulturbewegung TEV-ÇAND etwa, Mitglieder der Jugendstrukturen und Aktive der türkischen Linken. Zahlreiche Menschen trugen gelbe Plakate mit der Aufschrift „Defend Kurdistan“, auf einigen Schildern war auch die Forderung „Keine deutschen Panzer für Erdoğans Kriege“ zu lesen. Die Parole, die am häufigsten skandiert wurde, lautete: „Erdoğan, Terrorist“.

Karamus: „Die Mär vom Selbstverteidigungsrecht gegen die PKK“

Vor dem Landtag mündete der Demonstrationszug in eine abschließende Kundgebung. Hier traten prominente Persönlichkeiten der kurdischen Politik und Diplomatie auf die Bühne. Ahmet Karamus, Ko-Vorsitzender des Nationalkongress Kurdistan (KNK), sprach davon, dass sich der am 17. April begonnene Angriffskrieg gegen alle Kurdinnen und Kurden und ihre Errungenschaften richte. „Die Mär vom Selbstverteidigungsrecht gegen die PKK kennen wir. Es ist erstunken und erlogen: Das Ziel ist die Zerstörung aller kurdischen Errungenschaften; die Rojava-Revolution, der Status der Kurdistan-Region Irak und die Strukturen im ezidischen Şengal miteingeschlossen. Das Ziel ist die Vernichtung der kurdischen Existenz. Die Gelegenheit für diesen vom Boden und aus der Luft geführten Krieg mit Nato-Mitteln, Chemiewaffen und Unterstützung lokaler Kollaborateure schien günstig für das Erdoğan-Regime, weil die Welt auf die Ukraine schaut. Unser Aufruf als KNK an die Demokratische Partei Kurdistans [PDK], das Regionalparlament und Barzanî lautet: Ankara, Antalya und Istanbul – Orte, mit denen ihr den Schulterschluss mit Erdoğan demonstriert habt, werden als Schauplätze eurer Schamlosigkeit in die Geschichte eingehen. Jemand, der dem Besatzer Kurdistans die Hand reicht, kann kein Repräsentant des kurdischen Volkes sein. Wir betrachten diese Kollaboration und den Verrat als Niederträchtigkeit, die sich gegen das Blut der Gefallenen und den Willen unseres Volkes richtet.“


Ilham Ehmed: „Es geht um das Dasein des kurdischen Volkes“

Auch die kurdische Spitzenpolitikerin und Exekutivausschussvorsitzende des Demokratischen Syrienrats (MSD), Ilham Ehmed, war heute in Düsseldorf. Sie wurde mit der Parole „Bijî Berxwedana Efrînê“ (Es lebe der Widerstand von Efrîn) begrüßt. Ehmed bezeichnete die Phase, die die kurdische Gesellschaft derzeit durchlebt, als historisch. „Für das kurdische Volk geht es um Sein oder Nichtsein“, so die Politikerin. „Die kurdische Befreiungsbewegung hat in den letzten Jahrzehnten große Möglichkeiten für die Freiheit der Kurdinnen und Kurden und aller anderen Völker im Nahen Osten erkämpft. Heute ist der Tag, ein Leben nach diesen Maßen der Freiheit zu erschaffen. Gelingt uns das nicht, werden wir uns der kollektiven Vernichtung nicht entziehen können. Deshalb dürfen wir uns diesen Moment, an dem die Freiheit näher ist als je zuvor, nicht entgehen lassen. Der türkische Staat, dessen Grundlage die Mentalität des Genozids ist, weiß nur zu gut, dass die Befreiung des kurdischen Volkes sein Ende bedeutet. Deshalb kanalisiert er alle Mittel, die er von der Nato und der westlichen Staatengemeinschaft zur Verfügung gestellt bekommen, gegen unsere Freiheitsbewegung und das kurdische Volk.“


Türkei hat seit ihrer Gründung kurdische Autonomiebestrebungen zerschlagen

Dass das türkische Regime Selbstschutzgründe gegen die „Terroristen“ in den Medya-Verteidigungsgebieten – so nennt die PKK das schwer zu durchdringende Bergland im türkisch-irakischen Grenzgebiet, das der Guerilla seit den 80er Jahren als befreites Gebiet dient – geltend macht, um einen Angriffskrieg zu legitimieren, spreche für die antikurdische Mentalität in Ankara, führte Ilham Ehmed weiter aus. „Die türkische Republik hat seit ihrer Gründung die Autonomiebestrebungen der Kurdinnen und Kurden und aller anderen unterdrückten Gesellschaften blutig niederschlagen. Man denke an Seyîd Riza in Dersim oder Şêx Saîd in Agirî. Das kurdische Volk wird nicht erst seit der PKK zum Ziel von Vernichtungsfeldzügen des türkischen Staates. Und auch heute ist nicht die Existenz der PKK ist der Grund, dass der türkische Staat das kurdische Volk angreift, sondern der Umstand, dass der türkische Staat die Kurdinnen und Kurden angreift, ist der Grund der Existenz der PKK. Wir befinden uns inmitten eines Vernichtungskrieges. Es geht um die Existenz der gesamten kurdischen Gesellschaft, nicht um das Dasein der PKK im Süden. Das sollten sich alle klar machen. Alle kurdischen Kräfte Parteien, vor allem jene in Südkurdistan, sowie die Gesellschaft in der Diaspora sind aufgerufen, den Moment der Freiheit nicht zu verpassen. Wenn wir heute verlieren, werden wir nicht mehr aufstehen können.“

Nach weiteren Redebeiträgen und Musik endete die Veranstaltung am späten Nachmittag.