Der Ko-Vorsitzende der Partei Die Linke, Jan van Aken, hat in einem Interview die Notwendigkeit betont, das negative Bild der Linken zu verändern und die Bedeutung einer klassenkämpferischen, freiheitlichen Politik hervorgehoben. Auch äußerte er sich zu wichtigen außenpolitischen Themen wie dem Konflikt in Gaza und der Situation in Syrien und formulierte eine Vision für eine starke, vereinte Linke, die sich für soziale Gerechtigkeit und die Rechte aller arbeitenden Menschen einsetzt. Das Interview führte Gözde Güler für die Tageszeitung Yeni Özgür Politika.
Die Einschätzungen über die Zukunft der Partei Die Linke sind oft negativ und pessimistisch. Glauben Sie, als neuer Ko-Vorsitzender, dass es möglich sein wird, dieses negative und pessimistische Bild umzukehren?
Ja, klar. Ich war in den letzten Wochen viel unterwegs, habe viele Kreisverbände meiner Partei besucht und dort unzählige Gespräche geführt. Das hat mir Mut gemacht. Ich sehe eine kraftvolle und begeisterungsfähige Partei mit tausenden Neumitgliedern, die mit uns etwas verändern wollen. Derzeit führen wir Haustürgespräche mit Menschen in ganz Deutschland. Wir hören zu und zeigen so gleichzeitig, dass es uns gibt. Wir wollen uns nicht klein machen, sondern selbstbewusst auftreten und der Welt zeigen, warum es eine starke Linke braucht. Wir konzentrieren uns wieder mehr auf unsere Kernthemen, etwa hohe Mieten und die Teuerung. Niemand braucht Milliardär:innen, die sich in die Politik einkaufen und mit dem Geld, das sie uns geklaut haben, nur Unsinn machen. Deshalb wollen wir deren Reichtum abschöpfen und für uns alle nutzbar machen. Ich will Milliardär:innen abschaffen.
Ist Ihre Partei bereit für die nächsten Wahlen?
Ja, wir sind bereit. Wir gehen geschlossen und geeint in diese Wahl. Wenn wir glaubhaft, laut und entschlossen auftreten, dann kommt der Wahlerfolg zurück. Es braucht im deutschen Parlament, dem Bundestag, eine Partei, die sich mit den Reichen anlegt. Das machen nur wir.
Jan van Aken ist promovierter Biologe. Von 2004 bis 2006 arbeitete er als Biowaffeninspekteur für die UN, zwischen 2009 und 2017 war er Mitglied des Deutschen Bundestages. Er zählt zu den bekanntesten Friedensaktivist:innen Deutschlands und gilt als Freund des kurdischen Volkes. Mehrfach bereiste er Kurdistan, darunter auch Rojava. Das 2018 aufgenommene Bild zeigt ihn in Kobanê. In die Region war er im Rahmen einer Delegation gereist, um sich ein Bild der humanitären Lage nach der türkisch-dschihadistischen Besatzung von Efrîn zu machen © privat
Es gibt die Kritik, dass Die Linke nicht mehr die Partei der Arbeiter:innenklasse sei, sondern sich an eine gebildete und elitäre Gruppe wende. Was glauben Sie, hat die Arbeiter:innenklasse ihren revolutionären Charakter verloren? Ist die Zeit der klassenbasierten Politik vorbei? Und ist es überhaupt möglich, Identitätspolitik und klassenbasierte Politik gemeinsam zu betreiben?
Diese Arbeiter:innenklasse ist doch längst keine einheitliche Gruppe mehr. Es gibt die klassischen Arbeiter:innen in den Fabriken, aber eben auch die Millionen, die für wenig Geld in Pflegeheimen schuften oder Pakete ausfahren. Auch sie sind Teil der Arbeitsklasse. Wir wollen möglichst alle ansprechen und erreichen. Wir wollen eine Klassenpolitik auf der Höhe der Zeit. Denn dieses Land braucht eine klassenkämpferische Linke, die die Rechte der sozial Benachteiligten knallhart verteidigt. Unsere Linke ist aber auch eine freiheitliche Linke. Eine Partei des Friedens und der Menschenrechte. Egal, woher wir kommen, wen wir lieben, was wir essen und wie wir reden, alle sollten ein gutes Leben haben können. Wir vertreten die Interessen aller arbeitenden Menschen, unabhängig von ihrem Pass oder woher ihre Eltern kommen.
Eine andere Kritik ist, dass Die Linke aufgrund der unterschiedlichen Fraktionen innerhalb der Partei keine klare Position in der Außenpolitik einnehmen kann. Der Krieg in Gaza habe zu Spaltungen innerhalb der Partei geführt. Wie positioniert sich Die Linke zur Situation in Gaza?
Wir sind eine Friedenspartei. Da gibt es in der Linken keine zwei Meinungen. Wir lehnen Krieg und Aufrüstung ab und hofieren keine Kriegstreiber:innen. So ist es. Wir stehen an der Seite der Unterdrückten – egal wo. Das gilt für die Menschen in Palästina ebenso wie für die Menschen in Kurdistan. Das Unrecht der Besatzung der palästinensischen Gebiete ist niemals eine Rechtfertigung für den menschenverachtenden Terror der Hamas – und genauso rechtfertigt der 7. Oktober nicht die Völkerrechtsverbrechen der israelischen Armee in Gaza. Wenn die Eskalation in Gaza weitergeht und Israel möglicherweise Teile von Gaza besetzen wird, wird die Region nicht zur Ruhe kommen. Israel und die Palästinenser:innen müssen jetzt in Verhandlungen über eine Zweistaatenlösung eintreten. Die Bundesregierung muss Druck machen und aufhören, die rechtsextreme Regierung von Benjamin Netanyahu zu unterstützen.
Die noch regierende Ampel hatte sich auf den Sieg der Demokraten in den USA verlassen. Doch Trump gewann und in Deutschland werden bald Neuwahlen stattfinden. Wie sieht Ihre Prognose für die Beziehung zwischen Deutschland und den USA aus?
Wir haben es demnächst mit einem komisch-gefährlichen Typen zu tun, der sich für den cleversten Dealmaker aller Zeiten hält. Deutschland wird sich mit seinen europäischen Nachbar:innen zusammenraufen müssen, um endlich unabhängig zu werden von den Launen der USA. Strategische Autonomie heißt für mich auch, dass Europa sich auf eine friedliche Außenpolitik verständigt und sich nicht auf ein Wettrüsten mit vermeintlichen und realen Konkurrent:innen einlässt. Die Menschheit steht mit dem Klimawandel und all seinen Folgen vor einer existenziellen Herausforderung. Wir sollten unsere Milliarden lieber in Armutsbekämpfung und Klimaschutz investieren, anstatt in neue Waffen.
Zu Syrien: Das Assad-Regime wurde gestürzt, die Karten im Land werden neu gemischt. Wie beurteilen Sie die Lage in Syrien und insbesondere die der Kurd:innen im Norden, die eingekesselt sind zwischen HTS, SNA und der Türkei?
Als Linke stehe ich an der Seite aller Syrer:innen, die sich jetzt für ein freies Syrien einsetzen. Als Partei Die Linke unterstützen wir alle Bestrebungen für ein souveränes Syrien, in dem alle Bevölkerungsgruppen zusammenleben und ein demokratisches Gemeinwesen aufbauen. Dazu gehören in unverzichtbarer Weise auch die syrischen Kurd:innen, die nicht nur den IS besiegten, sondern auch ein demokratisches Gemeinwesen in Nordostsyrien aufbauten. Es ist völliger Wahnwitz, dass selbst jetzt, wo Assad gestürzt ist, und ein gesellschaftlicher Frieden möglich wäre, die von der Türkei munitionierten Milizen weiter gegen kurdische Gebiete vorrücken und offenbar erneut Kriegsverbrechen begehen. Die Bundesregierung sollte Erdogan jetzt mit harten Sanktionen drohen, wenn er nicht sofort seine marodierenden Söldner zurückholt und die Besetzung syrischer Gebiete aufgibt. Darüber hinaus könnte Außenministerin Annalena Baerbock in ihren letzten Amtstagen tatsächlich noch ein politisches Zeichen setzen und jetzt nicht nur offensiv die Demokratische Selbstverwaltung in Nord- und Ostsyrien (AANES) mit humanitärer Hilfe unterstützen, sondern sich auch innerhalb der Europäischen Union für eine Anerkennung der Autonomieverwaltung in dem neuen Syrien nach der Diktatur einsetzen. Es ist unfassbar, dass Baerbock jetzt die Entwaffnung der Kurd:innen gefordert hat – obwohl sie gerade völkerrechtswidrig angegriffen werden. Das wäre so, als ob sie die Entwaffnung der Ukraine fordern würde. Absurd und schlimm!
Plan für dieses Jahr: Besuch in Qamişlo, Kobanê und Damaskus
Die Linke ist die einzige Partei im deutschen Bundestag, die Erdogan offen kritisiert und die sich gegen Waffenexporte in die Türkei ausspricht. Gerade erst hat der Parteivorstand der Linken die geplante Lieferung von Kampfflugzeugen des Typs Eurofighter in die Türkei verurteilt. SPD, Grüne und CDU schauen gerne weg, wenn es um Menschenrechte in Kurdistan geht. Der Weg zu demokratischen Verhältnissen in Syrien wird weder leicht noch widerspruchsfrei sein. Das ist auch kein Wunder, wenn ich allein an die deutsche Nachkriegsgeschichte nach dem Nazifaschismus denke. Ich kann daher alle, die schnelle Ergebnisse wollen, nur zur Demut aufrufen. Die Menschen in Syrien brauchen keine guten politischen Ratschläge aus Europa, sondern vor allem materielle Hilfe für den Wiederaufbau. Und die Zivilgesellschaft, ob in Damaskus, Aleppo oder in den kurdischen Gebieten, braucht jetzt vor allem die Solidarität der Linken in Europa und in Deutschland. In Syrien hat die Assad-Diktatur 54 Jahre geherrscht, also mehr als die Hälfte der Zeit, seit es die Republik Syrien als modernen unabhängigen Staat gibt. Aber jetzt gibt es die Chance für einen gesellschaftlichen Neuanfang, auch und gerade mit den Kurd:innen in Syrien. Ich hoffe, dass dieser Prozess gelingt, und wir werden ihn mit unseren Möglichkeiten als Partei Die Linke unterstützen. Nach einer erfolgreichen Bundestagswahl habe ich mir bereits am letzten Sonntag, dem Tag des Sturzes von Assad, eine Notiz in meinem Reisekalender des nächsten Jahres gemacht: Ein Besuch der Autonomieverwaltung in Qamişlo und Kobanê und danach zusammen ins freie Damaskus.
Hinweis: Das Interview mit Jan van Aken wurde im Dezember 2024 geführt, eine türkischsprachige Übersetzung kann auf der Webseite von Yeni Özgür Politika nachgelesen werden. Titelfoto © Die Linke