Die Anwaltskammer und die Juristenvereinigung ÖHD in Amed (tr. Diyarbakir) haben einen umfassenden Bericht über die Massenfestnahmen vom 25. April in der Türkei veröffentlicht. Im Zuge des von der Generalstaatsanwaltschaft Diyarbakir geführten „Terrorverfahrens“ wurden im Vorfeld der Wahlen landesweit 191 Personen festgenommen, darunter 25 Anwältinnen und Anwälte. Die Kammer und die „Jurist:innen für Freiheit“ (ÖHD) machen auf die Rechtsverletzungen aufmerksam und fordern die sofortige Freilassung ihrer verhafteten Mitglieder.
Laut dem auf Türkisch und Englisch verfassten Bericht wurden vier Anwält:innen verhaftet, gegen 16 Anwält:innen wurden juristische Meldeauflagen verhängt. Die Anwaltskammer und der ÖHD weisen darauf hin, dass ihre Kolleginnen und Kollegen „für die Ausübung ihres Berufs kriminalisiert und sie ohne Beweise mit den Verbrechen gegen ihre Mandanten in Verbindung gebracht“ werden. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass die gezielte Verfolgung von Strafverteidiger:innen durch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen, „die jeder rechtlichen Grundlage entbehren und bedrohlich sind, einen wichtigen Mechanismus untergräbt, der das Recht auf ein faires Verfahren in der Türkei garantiert“. Privatwohnungen und Anwaltskanzleien seien ohne Angabe von Gründe durchsucht worden. Den Festgenommenen wurde pauschal für 24 Stunden der Zugang zu einem Rechtsbeistand verweigert.
In dem Bericht wird betont, dass die Justiz für politische Zwecke instrumentalisiert wurde: „In den letzten Jahren hat sich die Justiz in der Türkei mehr als je zuvor der politischen Führung unterworfen und hat sich zu einem Druckinstrument entwickelt. Aufgrund ihrer abhängigen und beeinflussbaren Struktur ist sie zu einem verlängerten Arm der politischen Macht geworden, die den Kampf für die Menschenrechte zurückdrängen will. Wie im EU-Fortschrittsbewertungsbericht 2021 festgestellt wird, hat es in den letzten Jahren einen Rückschritt in Bezug auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Unabhängigkeit der Justiz, Demokratie und Grundrechte gegeben, und es ist zu beobachten, dass die Justiz ihre bestehenden Unabhängigkeitsgrundlagen durch rechtliche und faktische Eingriffe der Exekutive und Legislative verloren hat und völlig offen für politische Einflüsse geworden ist." Die willkürliche Inhaftierung von Anwält:innen aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK).
In dem Bericht heißt es weiter, dass die Tatsache, dass der türkische Innenminister Süleyman Soylu das Filmmaterial der Operation, an der 3.500 Polizist:innen beteiligt waren, den Medien zur Verfügung gestellt hat, ein Indikator für „den Grad der politischen Einflussnahme auf die Justiz" sei.
Schlussfolgerungen und Empfehlungen
Im letzten Abschnitt des Berichts sind Schlussfolgerungen und Empfehlungen aufgeführt:
* Der besondere Schutz und die Unterstützung von Anwält:innen als Verteidiger:innen von Rechten wird durch internationale Konventionen und Instrumente garantiert.
* Es kann nicht hingenommen werden, dass Anwältinnen und Anwälte kriminalisiert, ins Visier genommen, administrativem oder gerichtlichem Druck ausgesetzt, festgenommen, verhaftet oder verurteilt werden und gerichtlichen Drohungen ausgesetzt sind, während sie ihre legitimen Tätigkeiten ausüben, die kein kriminelles Element beinhalten, und zwar unter Verletzung des nationalen und internationalen Rechts, nur weil sie die Entscheidungen und Handlungen von Behörden und damit verbundenen Dritten/Institutionen kritisieren.
* Rechtsverteidiger:innen, die aufgrund ihrer legitimen und legalen Tätigkeit inhaftiert sind, müssen freigelassen werden.
* Die juristische Praxis, gegen Anwältinnen und Anwälte ganz oder teilweise aufgrund ihrer Mandant:innen oder aufgrund ihrer Tätigkeiten im Rahmen ihrer anwaltlichen Tätigkeit zu ermitteln und sie zu verfolgen, muss aufgegeben werden.
* Die Praxis, Anwältinnen und Anwälte willkürlich und unrechtmäßig, insbesondere in Massenprozessen, in vager, zweideutiger und unvorhersehbarer Weise mit Straftaten wie der Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation zu belasten, muss beendet werden.