Das andere Gesicht der Efrîn-Invasion

Während man für die eine Seite sagen kann, es gibt keinen Krieg, es gibt nur Kriegsverbrechen, kann man für die andere sagen, es gibt es nur eine legitime Verteidigung gegen eine Invasion.

Nun hat der fünfte Tag des Besetzungsversuchs von Efrîn begonnen … Das einzige, was die Türkei in den Händen hat ist eine Riesenlüge, ein Fiasko und eine Auswahl an Dummheiten.

Mit gekauften Schreibern, Schlagzeilen und Desinformation wird über das Nachrichtennetz eine „Operation“ durchgeführt.

Mit Hilfe von Richtern und Staatsanwälten, die ihren Verstand, ihr Gewissen und ihre ganze Identität verkauft haben, sorgen sie für „Gerechtigkeit“, in dem sie jede und jeden einschüchtern, ihnen die Türen einschlagen, sie ins Gefängnis werfen oder zumindest damit bedrohen.

Während man für die eine Seite sagen kann, es gibt keinen Krieg, es gibt nur Kriegsverbrechen, kann man für die andere sagen, es gibt es nur eine legitime Verteidigung gegen eine Invasion.

Dass die kolonialistischen Invasoren das als „Krieg" bezeichnen, steht auf einem anderen Blatt. In Wahrheit geht es hier um „Vernichtung“.

Aber für wen gilt das? Für das Volk von Efrîn? Für das ganze kurdische Volk?

Nein, Erdoğan beschäftigt sich derzeit mit der Zerstörung der türkischen Gesellschaft und ihrer demokratischen Komponenten. Erdoğan, der bereits die türkische Rechte in der MHP liquidiert, meint noch weiter gehen zu müssen, um die Opposition und die öffentliche Meinung zum Schweigen zu bringen.

Er braucht ein Klima, in dem jemand, nur weil er sich nicht distanziert hat, locker zum Angriffsziel gemacht werden kann; oder weil er eine Nachricht versandt hat, kann er einfach so vor aller Augen gelyncht werden. Für ihn war die Schaffung einer Bewusstlosigkeit notwendig, in der ganz offen gesagt werden kann, „jeder der gegen die Operation etwas sagt, jeder der seine Stimme erhebt, sei es als Journalist oder Abgeordneter, erschießt ihn!“

Man musste dafür sorgen, dass Zeitungen wie BirGün auf ein unterirdisches Niveau herabsinken und Nachrichten verbreiten unter dem Titel „Wie erfolgreich die Operation ist“.

Zum Beispiel brauchten sie eine Masse, die erklären, dass die Menschen, die Nein zum Krieg sagen, Verbrecher seien und die diese in Beschimpfungen und Beleidigungen zu ersticken wünschen.

Man zielte darauf ab, eine solche Psychologie zu schaffen.

Die Geschichte des Krieges hat eine unerschütterliche Regel gezeigt. Krieg wird nicht nur durch die sichtbaren Parteien geführt. Es gibt immer auch ein anderes Ziel. Die Herrschenden, die anderen Völkern den Krieg erklären, beziehen ihre eigene öffentliche Position. Heute dient jede Kugel, die auf die Kurden abgefeuert wird dazu, die versteckte Unterdrückung der Gesellschaft zu vertiefen und diese vergessen machen zu lassen. Eine Partei, gegen die sich der Krieg richtet, ist also auch die demokratische türkische Öffentlichkeit.

Jede Kugel, die im Osten abgeschossen wird, explodiert früher oder später im Westen.

Ich möchte dahinter blicken, was im Licht dieser vier Tage vertuscht wurde, was sich hinter der Bühne, auf der die Bevölkerung mit Kriegsgetöse betäubt wird, abspielt und was dies für die gesellschaftliche Realität bedeutet.

Ich möchte einige aktuelle Punkte dazu herausstellen.

Erstens,

geht darum, der wirksamsten und nahezu einzigen festen Stellung im politischen Widerstand, der Demokratischen Partei der Völker (HDP) und dem Demokratischen Kongress der Völker (HDK) einen schweren Schlag zuzufügen. Es geht darum sie zu vernichten.

Seit Beginn des Angriffs auf Efrîn hat es Razzien in HDP-Gebäuden gegeben. Die HDP-Führung wurde systematisch festgenommen und mehrheitlich verhaftet. Sind dies Zufälle? Natürlich nicht. Der Efrîn-Invasionsplan dreht sich nicht nur um einen Ort, seine wichtigsten Ziele liegen im Inneren des Landes.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Verhinderung des kurz bevorstehenden HDP-Kongresses. Man will versuchen, den Kongress zu verhindern. In diesem Sinne wurden in Windeseile gegen die Verantwortlichen für die Organisierung des Kongresses, Nadir Yildirim und Ayhan Bilgen, Ermittlungen eingeleitet. Auf skandalöse Weise wurde der Prozess gegen Yildirim, der für den 6. Februar angesetzt war, vorgezogen und schnell eine Entscheidung getroffen. Die Mitglieder des Parteirats wurden ebenfalls festgenommen und die Arbeit wird in allen Aspekten blockiert. Der Druck auf die HDP dauert an. Diese Methoden dienen dazu, die Gesellschaft aufzuhetzen, ihr organisatorisches Netzwerk zu zerstören und es öffentlich mit Schmutz zu bewerfen. Denn er weiß ganz genau, dass er, wenn er das nicht tut, seinen Monismus nicht durchzusetzen schafft.

Zweitens,

geht es darum, möglichen gesellschaftlichen Widerstand zu brechen und im Ansatz die Entstehung neuen Widerstands zu verhindern.

In diesem Zusammenhang steht das Thema der Uniformierung der Gefangenen auf der Tagesordnung. Diesen Punkt darf man nicht außer Acht lassen!

In den Gefängnissen gab es eine sehr heftige Reaktion der politischen Gefangenen gegenüber der Uniformierung und sie erklärten öffentlich, dass sie bei dieser Entwürdigung nicht mitmachen werden. Es handelt sich dabei um ein für den Staat sehr heikles Thema und er schickte die ersten Uniformen, noch bevor der Angriff auf Efrîn losging, ins Gefängnis von Diyarbakır. Das sollte eine historische Abrechnung werden. Gestern wurden sie ebenfalls an das Gefängnis von Silivri geschickt.

Es ist wahrscheinlich, dass der Zwang diese Kleidung zu tragen mitten in diesem Chaos kommen wird. Es geht nicht um „Draußen“, sondern darum den Widerstand „Drinnen“ [in den Gefängnissen] zu brechen. Weil der Staat die Kraft von Drinnen kennt, möchte der Staat nun die Gelegenheit nutzen, sich an dieses Gebiet anzupirschen. Die emotionale Abstumpfung, die heute geschaffen wird, ist ein Ambiente, nach dem sich Erdoğan seit vielen Jahren sehnt.

Drittens,

Die von der Nachrichtenagentur ANF verbreiteten Aussagen der MIT-Agenten sind von historischer Qualität. In diesen Veröffentlichungen und Geständnissen wird alles der Welt deutlich gemacht, warum dieser 40-jährige Kampf geführt wird, wie berechtigt er ist und wie niederträchtig und feige die Feinde der Kurden sind. Die Veröffentlichung der MIT-Dokumente und die historische Offensive der PKK müssen mit dem Versuch der Besetzung von Efrîn zusammengedacht werden. Es geht darum, das alles verschwinden zu lassen, es unsichtbar zu machen.

Binali Yildirim versammelte sofort alle Medienvertreter und spuckte Befehle aus – er gab ihnen eine Liste von Verboten. Er diktierte den Journalisten, welche Überschriften sie zu schreiben haben, worüber sie zu schreiben haben … Punkt für Punkt. Wenn wir diese Punkte lesen, können wir leicht erkennen, dass der Hauptteil der Forderungen sich um die MIT-Dokumente drehte. Ignoriert es, bringt euch nicht in Schwierigkeiten, es muss Operation heißen usw.

Viertens,

alle Dinge, die sich auf der Straße entwickeln könnten, wurden unter dem Vorwand des OHAL (Ausnahmezustands) im Voraus dauerhaft verboten. Alles ist unter Kontrolle. Die Reaktion der Polizei auf eine Presseerklärung der DBP-HDP und das was folgte, sucht auf der Welt seinesgleichen.

Der Faschismus, der in den letzten vier Tagen unter dem Vorwand des OHAL praktiziert wurde, kennt keine Grenzen, aber er wird sich entsprechend des Fortschreitens des Efrîn-Invasionsplans weiter steigern. Genauso wird nun die Durchsetzung von Gesetzespaketen und Punkten, die vom Parlament beschlossen werden, beschleunigt.

Es werden insbesondere in den unter Zwangsverwaltung gestellten Stadtverwaltungen in Kurdistan keine Möglichkeiten ausgelassen Profit und Korruption zu betreiben, denn man weiß, dass jetzt der beste Zeitpunkt dafür ist.

Fünftens,

jeder Krieg ist auch ein „Traum des Reichtums" für die Partei, die ihn verursacht.

Şeyh Bedreddin machte im 15. Jahrhundert eine Beobachtung. Er sagte: „Unterdrückung lässt die Macht wachsen, Macht lässt den Reichtum wachsen und Reichtum lässt die Unterdrückung wachsen.“

Das einzige Ziel hinter der steigenden, sprunghaft zunehmenden, dann wieder verringerten und dann wieder gesteigerten Repression und des Krieges, ist das Anwachsen des Reichtums der Monopole der Macht. Ein Grund warum Erdoğan und seine Generäle so sehr den Krieg wollen, ist, dass sie auf den Geschmack des Geldes in den Truhen gekommen sind.

Die Verbreitung von Lügen von früh bis spät, die falschen Aussagen über Tote, die Krokodilstränen, der Appell an religiöse Gefühle, der Chauvinismus und noch viel mehr! All das zeigt das Ausmaß des Profits, den man sich verspricht.

Man streitet sich über die Verteilung des Profits. Wenn es keinen Profit mehr gibt, dann geraten, wie in Azaz geschehen, die mörderischen FSA-Einheiten und die türkischen Besatzungstruppen aneinander, dann brechen binnen einer Minute die Allianzen auseinander.

Fazit:

Der Regenbogen der verschiedenen Identitäten in der Türkei und das Mosaik der Menschheit wird heute vom Machismus, Rassismus, Militarismus, Elitismus und den anderen Ismen zerstückelt. Um zu zerstückeln und zu spalten wird jede Art von Drohung benutzt. Wenn wir nicht den Glauben verlieren, dass die Menschheit mehr als das ist, gibt es nichts zu verlieren. Und wir haben dies wiederholt bewiesen.

Erdoğan hat diesen Krieg um sein oder nicht sein begonnen, um seinen schwankenden, jeden Tag mehr Wasser aufnehmenden Kahn zu retten, seine Wahlen für die Zukunft zu garantieren und die Stimmen um ihn herum, die jeden Tag über ihn und seine Partei neue Schlechtigkeit enthüllen, zu verbergen. Dem ist nichts hinzuzufügen, denn das ist jedem geläufig.

Auch wenn die Simulation weiterläuft, Medien-Moschee-Schule, dies und das, und die Lüge als Wahrheit verkauft wird, versucht wird, sogar noch die Kopie der Kopie der Wahrheit zu vernichten, und mit gefälschten Bildern auszutauschen, so sind sie dennoch erfolglos. Der türkische Staat ist erfolglos und zum Verlieren verurteilt.

Warum?

Warum er erfolglos ist können wir anhand der Aussagen im Rahmen der Sûr Akten in Amed gestern vor Gericht verstehen. Ömer Atalay, der inhaftiert ist und dessen Verteidigungsrede dutzende Male vom Vorsitzenden Richter unterbrochen wurde rief: „Es lebe der Widerstand von Efrîn. Nieder mit der Kurdenfeindschaft des türkischen Staates“ und verweigerte die Aussage. 

Dieser Ruf reicht bis zu Erdoğan.