Aslı Erdoğan: Das Schweigen tötet uns alle

Die Forderung des Hungerstreiks gegen die Isolation Abdullah Öcalan ist in politischer, rechtlicher und humanistischer Hinsicht legitim, erklärt die Schriftstellerin Aslı Erdoğan.

Während der Hungerstreik gegen die Isolation des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan andauert, rufen Künstler und Intellektuelle die türkische Regierung zum Handeln auf. Zu ihnen gehört auch die Istanbuler Schriftstellerin Aslı Erdoğan, die nach dem versuchten Militärputsch 2016 verhaftet wurde und mehrere Monate im Gefängnis verbrachte.

Eine ihrer damaligen Zellengenossinnen war Zozan Çiçek, die jetzt im Todesfasten ist. „Sie ist noch sehr jung“, erklärt Aslı Erdoğan, „Daher reagiere ich emotional auf den Hungerstreik und das Todesfasten. Ich kenne die Bedingungen im Gefängnis. Als ich in Haft war, waren die Bedingungen sogar noch etwas besser.“ Sie könne sich nur zu gut vorstellen, wie mit den Hungerstreikenden im Gefängnis umgegangen werde.

Legitime Forderungen

„Die Forderung der Hungerstreikenden und Todesfastenden ist in juristischer, humanistischer und politischer Hinsicht absolut richtig. Der Staat wird aufgefordert, sich an die eigenen Gesetze zu halten. Die Forderung beinhaltet eine Konsequenz, die für alle Gutes bedeutet. Sie ist gleichzeitig sehr einfach zu erfüllen. Es ist furchterregend, dass darauf mit absolutem Schweigen geantwortet wird. Der Staat zeigt, dass er mit Demokratie, Recht, Gewissen und Menschlichkeit nichts mehr zu schaffen hat. Und das ist es, was Angst macht“, so die Schriftstellerin

Keine Achtung vor dem Leben

Zu den Polizeiangriffen auf Mütter hungerstreikender Gefangener in der Türkei in der letzten Zeit erklärt Aslı Erdoğan: „Die Gewalt gegen die Mütter und die Behandlung, der sie ausgesetzt sind, zeigen, dass in der Türkei alle ethischen Schwellen überschritten sind. Es gibt keinen Respekt mehr vor Toten. Es gibt keinen Respekt gegenüber Müttern. Kurz gesagt gibt es keine Achtung vor dem Menschenleben mehr. Dass die breiten Massen und die Intellektuellen diese Situation nicht erkennen und dazu schweigen, ist für mich unbegreiflich. Ich nehme an, dass das Tabu, mit dem der Name Öcalan belegt ist, den Menschen Angst macht und sie lieber nichts damit zu tun haben wollen. Wie interessiert sind all diese Kreise daran zu vergessen, dass Öcalan wie jeder Mensch humanitäre und in der Verfassung verankerte Rechte hat? Oder vielleicht sind alle nur mit dem Unrecht der Neuwahlen in Istanbul beschäftigt, ich weiß es nicht. Aber dieses Schweigen wird uns alle töten.“