„Anschuldigung der Schließung aramäischer Schulen ist falsch“

Im ANF-Gespräch hat sich Mohammed Salih Ebdo, Ko-Vorsitzender des Bildungsrats im Kanton Cizîrê (Demokratische Föderation Nordsyrien), über die Vorwürfe türkischer Medien bezüglich der Diskriminierung der Suryoye in Nordsyrien geäußert.

Mohammed Salih Ebdo, der Ko-Vorsitzende des Bildungsrats der Demokratisch-Autonomen Selbstverwaltung des Kantons Cizîrê, hat sich gegenüber ANF zu den Vorwürfen türkischer Medien hinsichtlich der Diskriminierung der Bevölkerung der Suryoye in Nordsyrien geäußert. Ebdo gab an, dass im vergangenen Monat die Arbeit von 14 Privatschulen gestoppt wurde, da ihre Aktivitäten den auf dem Gesellschaftsvertrag von Rojava aufgebauten Gesetzen widersprächen. Dabei handelt es sich laut Ebdo nicht um christliche oder Schulen der Suryoye, sondern um Orte, die von regimenahen Personen eingerichtet worden seien, um den antidemokratischen, monistischen Lehrplan des Regimes durchzusetzen.

Es ist bekannt, dass im vergangenen Monat einige Privatschulen aufgrund von Entscheidungen der Demokratisch-Autonomen Selbstverwaltung ihre Arbeit einstellen mussten. Gibt es für diese Maßnahme eine juristische Grundlage?

Ja. Der Legislativrat hat im Jahr 2016 mit der Zustimmung aller gesellschaftlichen Gruppen ein entsprechendes Gesetz verabschiedet, das im Einklang mit dem Gesellschaftsvertrag steht. Dieses Gesetz umfasst mehrere Paragraphen. Ein Paragraph besagt, dass alle Privatschulen über eine Genehmigung der Bildungsverwaltung verfügen müssen. Privatschulen, die keine Genehmigung erhalten, müssen laut Gesetz innerhalb von zwei Monaten geschlossen werden. Der zweite Paragraph des besagten Gesetzes lautet: „Keiner Privatschule wird der Lehrplan der Demokratischen Selbstverwaltung vorgeschrieben. Privatschulen müssen weder den Lehrplan der Demokratischen Selbstverwaltung, noch den des Baath-Regimes verwenden. Alle Privatschulen sollen ihre eigenen Lehrpläne entwerfen und auf deren Grundlage den Unterricht gestalten. Die Verwendung von Lehrplänen des Regimes ist nicht vorgesehen.“

Wurden diese Beschlüsse auch umgesetzt?

Nach der Verabschiedung dieses Beschlusses haben zahlreiche Schulen ihre Pforten geschlossen und keine Genehmigung beantragt. Einige Schulen mit aramäischen, assyrischen und armenischen Namen blieben bestehen. Mit ihnen haben wir ausführliche Gespräche geführt und sind Bündnisse eingegangen. Leider sind sie ihren Verpflichtungen im Rahmen dieser Bündnisse nicht gerecht geworden. Die assyrische Partei in Syrien, ‚Assyrische Einheit‘, und ihre Institutionen sind Teil der Demokratischen Selbstverwaltung und auch Teil der erwähnten Bündnisse. 

Zahlreiche arabische und kurdische Parteien sind auch Teil der Demokratischen Selbstverwaltung. Das erwähnte Gesetz wurde mit der Zustimmung all dieser Parteien und Vertreterinnen und Vertreter der Völker verabschiedet. Einige christliche Kirchen stellten sich jedoch gegen das Gesetz. Sie weigerten sich, Unterricht anzubieten, der nicht auf dem Lehrplan des syrischen Regimes basiert. Daraufhin führten wir zwei Jahre lang Gespräche mit ihnen. Als wir jedoch erkennen mussten, dass sie nicht auf unsere Vorschläge eingehen und ihre Lehrpläne nicht ändern würden, schlossen wir die Schulen vorübergehend auf Grundlage der bestehenden Gesetze.

Um wie viele Schulen handelt es sich?

Auf Grundlage eines Gerichtsbeschlusses schlossen wir vorübergehend 14 Privatschulen, die auf die Fortführung des Regime-Lehrplanes bestanden. Dabei handelt es sich um jeweils eine Schule in Serêkaniyê, Dirbesiyê und Dêrîk, vier in Hesekê und sechs weitere Schulen in Qamişlo. Bei diesen Schulen handelt es sich nicht um Bildungseinrichtungen der Suryoye im eigentlichen Sinne, denn sie bieten keinen muttersprachlichen Sprachunterricht an. Ihre Lehrpläne entsprechen den Regime-Lehrplänen. Die Schulen selbst wurden nur im Namen einiger weniger Suryoye ins Leben gerufen. Für sie sind diese Schulen eine Art Handelsplatz. Sie nutzen sie, um Geld zu verdienen. Die Schülerinnen und Schüler werden gegen Geld unterrichtet. In der Demokratischen Selbstverwaltung ist kostenpflichtige Bildung jedoch nicht vorgesehen und existiert daher nicht.

Warum entschied man sich für die Abschaffung der Regime-Lehrpläne?

Der Hauptgrund dafür liegt darin, dass der Regime-Lehrplan sehr einseitige und homogene Ansätze verfolgt. Es werden nur die Ideen und Konzepte des Baath-Regimes berücksichtigt. Andere Gesellschaftsgruppen und Ideen werden ignoriert und nicht akzeptiert. Es gilt die Losung: „Ein Land, eine Sprache, eine Flagge“. Alles, was sich außerhalb der Ideenwelt des Baath-Regimes bewegt, wird nicht akzeptiert.

Unser Gesellschaftsvertrag basiert jedoch auf genau gegensätzlichen Prinzipien. Im Rahmen des Gesellschaftsvertrages haben wir drei offizielle Sprachen in Syrien anerkannt: Arabisch, Kurdisch und Assyrisch. Als Demokratische Selbstverwaltung berücksichtigen wir daher alle drei Sprachen. Gemäß unserer Gesetze erhalten Kurdinnen und Kurden auf Kurdisch, Araberinnen und Araber auf Arabisch und Suryoye Unterricht auf Assyrisch. Dies gilt natürlich für alle Schulen unter der Leitung der Demokratischen Selbstverwaltung. Für Privatschulen gilt laut Gesetz, dass sie ihre eigenen Lehrpläne erstellen und diese nicht den Regime-Lehrplänen entsprechen dürfen. Denn die Lehrpläne des Regimes entsprechen eins zu eins der Mentalität des Baath-Regimes. Sie sind nicht demokratisch. Das Baath-Regime erkennt keine andere Wahrheit als die eigene an. Anderweitige Ideen und Konzepte gelten schlichtweg als falsch.

Was genau wollen Sie also? Führt es zu Problemen oder zu Gefahren für die verschiedenen Völker in der Region, wenn die Lehrpläne des Regimes verwendet werden?

Wir fordern ja nicht, dass die Lehrpläne der Privatschulen den Lehrplänen der Demokratischen Selbstverwaltung entsprechen. Unser einziger Wunsch ist, dass die Lehrpläne demokratisch geprägt sind. Denn der Regime-Lehrplan fördert eine Mentalität der Feindschaft. Er versucht, die Völker gegeneinander aufzubringen. Durch den Lehrplan des Regimes wird verhindert, dass Kurdinnen und Kurden, Armenierinnen und Armenier, Aramäerinnen und Aramäer, Assyrerinnen und Assyrer oder Turkmeninnen und Turkmenen in ihren eigenen Muttersprachen unterrichtet werden. Das Regime möchte, dass Arabisch die einzige Unterrichtssprache ist.

Nur der einseitige und homogene Ansatz des Regimes soll also zum Bildungsprogramm werden. Das ist aber ein Ansatz, der die Völker gegeneinander aufbringt und in Konflikte miteinander verwickelt. Ziel ihres Lehrplanes ist es, dass es niemandem ermöglicht wird, das Baath-Regime abzulehnen. Genauso wie alle Schülerinnen und Schüler in der Türkei jeden Morgen vor Beginn des Unterrichts eine nationalistische Losung aufsagen müssen, soll das laut Regime-Lehrplan auch in syrischen Schulen geschehen. Jeden Morgen werden die Schülerinnen und Schüler an diesen Schulen gezwungen, dem Baath-Regime und Bashar al-Assad die Treue zu schwören.

Seit gestern wird in syrischen und türkischen Medien berichtet, dass die Demokratisch-Autonome Selbstverwaltung einige Schulen beschlagnahmt habe und sich Christinnen und Christen in Qamişlo dagegen erhoben hätten. Wissen Sie mehr darüber?

Im Verlauf des letzten Monats haben wir einige Schulen in Qamislo, die gemäß des Regime-Lehrplans unterrichten, vorübergehend geschlossen. Doch die gestrigen Ereignisse haben damit nichts zu tun. Zudem finden keine Proteste der christlichen Bevölkerung gegen die Demokratische Selbstverwaltung statt. Vertreterinnen und Vertreter der Assyrischen Einheitspartei und der Kulturvereinigung der Suryoye besuchten gestern einige der betroffenen Schulen und sprachen mit den dortigen Verantwortlichen. Mit der Unterstützung einiger demokratischer Kreise forderte die Kulturvereinigung, dass an den Schulen der Suryoye in ihrer Muttersprache unterrichtet werden solle. Wir respektieren das Recht jedes Volkes, den Unterricht in der jeweils eigenen Muttersprache durchzuführen und unterstützen daher das Anliegen.

In der Demokratischen Selbstverwaltung werden die Kinder der arabischen, kurdischen und assyrisch-aramäischen Bevölkerung in ihrer jeweiligen Muttersprache unterrichtet. Alle drei Sprachen sind zudem als offizielle Amtssprachen anerkannt. Leider haben gestern einige Parteien und Gruppierungen, die Beziehungen zum Geheimdienst des Baath-Regimes unterhalten, die besagte Demonstration durchgeführt. Sie haben sich dabei letztendlich gegen ihr natürliches Recht gewandt, in ihrer Muttersprache unterrichtet zu werden. Während der Demonstration wurden Parolen gerufen wie etwa: „Mit unserem Leben und unserem Blut stehen wir an deiner Seite, Bashar al-Assad“. Sie sprachen zudem davon, keinen Lehrplan außer dem Regime-Lehrplan akzeptieren zu wollen. Die Veranstalter dieser Demonstration vertreten nicht alle Suryoye-Angehörigen oder Christinnen und Christen. Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes in Zivil haben für diese Unruhen gesorgt. Diese Personen erhalten ihre Aufträge vom syrischen Regime. Wir müssen noch einmal betonen, dass dahinter die Absicht liegt, Konflikte innerhalb der aramäischen Gemeinschaft herbeizuführen. Doch bei der Demonstration waren Regime-nahe arabische Gruppierungen vertreten, die sich selbst als aramäisch ausgaben.