Amed: Zwangsverwalter schließt Hörbuchbibliothek

Eine von der Stadtverwaltung Diyarbakır als muttersprachliche Bezugsquelle ins Leben gerufene Bibliothek für körperlich beeinträchtige Kinder wurde vom staatlichen Zwangsverwalter geschlossen.

Eine von der Stadtverwaltung Diyarbakır als muttersprachliche Bezugsquelle ins Leben gerufene Bibliothek für körperlich beeinträchtige Kinder ist vom staatlichen Zwangsverwalter geschlossen worden. Die Mitarbeiter*innen der Abteilung wurden entlassen. Der Zugang zu den Audioaufzeichnungen auf der Internetseite wurde blockiert.

Der Fachbereich für Soziale Dienste der Stadtverwaltung von Diyarbakır (Amed) hatte im Rahmen der Behindertenhilfe im Jahre 2014 (damals noch unter Federführung der gewählten Bürgermeister*innen) eine Hörbuchbibliothek für körperlich beeinträchtigte Kinder gegründet. Diese wurde durch den vom türkischen Staat eingesetzten Zwangsverwalter geschlossen.

Das Abrufen der Internetpräsenz der Bibliothek, um Kindern mit Behinderung den Zugang zu Quellen in ihrer Muttersprache zu ermöglichen, wurde ebenfalls blockiert.

Kollektives Projekt

Das Projekt war initiiert worden von der derzeit inhaftierten Ko-Oberbürgermeisterin von Amed Gültan Kışanak, der ehemaligen Leiterin der Abteilung für Soziales Semra Kıratlı, der abgesetzten Leiterin der Behindertenhilfe Kezban Demir, dem ehemaligen Verantwortlichen der Hörbuchbibliothek Mustafa Demir, dem per Dekret geschlossenen Kulturzentrum Dicle Fırat sowie dem vor kurzem verstorbenen Dichter Seyda Mustafa Gazi.

Für all unsere Kinder…

Mustafa Demir, ehemaliger Verantwortlicher der Hörbuchbibliothek, der durch den staatlich eingesetzten Zwangsverwalter entlassen wurde, sagt über das Projekt: „Zu Beginn untersuchten wir bereits bestehende Bibliotheken. Uns wurde klar, dass eine solche Bibliothek nicht nur den Bedarf von körperlich beeinträchtigten Kindern abdecken sollte, sondern das Bedürfnis aller Kinder, die Bildung in ihrer Muttersprache benötigen. Mit diesem Ziel begannen wir unsere Arbeit.“

Gemeinsam mit Pädagogen wurden Quellen recherchiert und ein Archiv angelegt. Unterstützung, damit die Hörbücher verständlich und lesbar sind, kam von den mittlerweile vom Zwangsverwalter entlassenen Schauspieler*innen des Stadttheaters von Diyarbakır, den Lehrer*innen von Zarokistan (muttersprachliche Vorschule in Amed) und Personen, die sich mit der kurdischen Literatur befassen.

Geschichten in drei kurdischen Dialekten gelesen

Demir erwähnt, dass sie im Sümerpark ein Tonstudio aufstellten, in dem die Hörbücher in den kurdischen Dialekten Kurmancî, Dimilkî und Soranî aufgezeichnet wurden. Damit der Zugang zu den Geschichten für alle Menschen erreichbar ist, wurden die Hörbücher auf der Internetpräsenz der Stadtverwaltung von Diyarbakır zur Verfügung gestellt.

Internetpräsenz der Hörbuchbibliothek wurde blockiert

Was der Audiobibliothek widerfahren ist, nachdem der Zwangsverwalter eingesetzt wurde, erklärt Demir folgendermaßen: „Nachdem der türkische Staat die Zwangsverwalter einsetzte, wurden Institutionen, die dem sozialen und kulturellen Bereich dienten, geschlossen und die Angestellten entweder entlassen oder an andere Bereiche versetzt. Im Zuge des kulturellen Genozids hat die Hörbuchbibliothek auch ihren Anteil abbekommen. Der Zugang zur Hörbuchbibliothek, die mit großer Mühe für Kinder sowohl mit als auch ohne Beeinträchtigungen realisiert wurde, ist blockiert worden.“

Trotz Entlassung arbeitet Mustafa Demir weiterhin an der Hörbuchbibliothek und bereitet die alten Aufzeichnungen neu auf. Außerdem komponierte er einen Filmsoundstrack und andere musikalische Projekte.

MA