„Alles ist auf einen Angriff auf Rojava ausgerichtet“

Der außenpolitische Sprecher der HDP-Fraktion, Hişyar Özsoy, sieht den gesamten Staatsapparat der Türkei auf einen Angriff auf Rojava ausgerichtet.

Nach der Entscheidung der USA, alle Soldaten aus Syrien abzuziehen, droht eine Besatzung Nord- und Ostsyriens durch die Türkei. Als außenpolitischer Sprecher der Demokratischen Partei der Völker (HDP) hat sich Hişyar Özsoy gegenüber ANF zu dem Thema geäußert. Özsoy stellt fest, dass es zwei Dimensionen in dieser Entwicklung gibt. Zum einen verweist der türkische Präsident und AKP-Chef Tayyip Erdoğan auf das Beispiel Efrîn, sichert sich so die Unterstützung nationalistischer Wellen in der Türkei und will damit einen Sieg erringen, erklärt Özsoy.

Zum anderen setzt Erdoğan auf eine Militärinvasion, weil er hinsichtlich einer politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Stabilität in der Türkei nicht das geringste Versprechen machen kann. „Erdoğan will mit seinem Kriegsgetrommel nationalistische Kreise konsolidieren und damit in die Kommunalwahlen im März gehen. Dabei handelt es sich um eine konjunkturelle Dimension, aber darüber hinaus folgt der türkische Staat einer Logik, die nicht nur auf Erdoğan zurückgeht. Erdoğan ist in den vergangenen zwei bis drei Jahren verschiedene Bündnisse innerhalb des Staates, in der Bürokratie, beim Militär, in der Justiz und mit politischen Parteien eingegangen. Die MHP sehen wir. Dieses breite Bündnis verfolgt die Politik, alle Errungenschaften der Kurden in Syrien zunichte zu machen. Dafür gibt es Pläne und Vorbereitungen. Inwieweit die Machtaufteilung regionaler und globaler Kräfte das zulassen, wissen wir nicht. Bisher ist es nicht geschehen.“

Syrien-Invasion nicht nur Wahlkampfthema

Die Syrien-Invasion sei keinesfalls nur als Wahlkampfhilfe zu verstehen, sagt Özsoy. „Natürlich erwartet Erdoğan, dass sich diese Frage auf die Kommunalwahlen auswirkt. Es geht jedoch um eine Staatspolitik, der ein sehr breiter Konsens zugrunde liegt. Das Timing hat etwas mit den Wahlen zu tun, aber die Absicht und die Logik dahinter sind zeitlos. Auch nach den Wahlen wird jede Gelegenheit genutzt werden, um alle kurdischen Gewinne zu zerstören.“ Diese Absicht werde daher auch ständig auf internationaler Ebene und in der Türkei thematisiert, so Özsoy.

Das Ziel ist nicht der Sturz Assads

In der Türkei gebe es nationalistische und sogar faschistische Kreise, die die kurdischen Errungenschaften in Syrien als das größte Problem der Türkei betrachteten, erklärte Özsoy weiter. „Im Mittleren Osten findet eine Neuordnung statt. Innerhalb dieser neuen Ordnung hat sich der türkische Staat die falschen Partner ausgesucht. Er hat alle Banden und Lumpen zusammengesammelt, die es in Syrien gibt. Die Türkei verfolgt in Syrien nicht mehr den Sturz Assads. Alle türkischen Investitionen richten sich auf den Sturz von Rojava. Der türkische Staat wird wie in Efrîn versuchen, diese Banden bei einem Angriff auf Nordsyrien einzusetzen. Kurzfristig betrachtet es Erdoğan vielleicht als etwas, das ihm bei den Wahlen nützen wird, aber damit werden Wut und Hass in den kurdisch-türkischen Beziehungen geschürt.“

Der gesamte Staatsapparat hat sich in eine Kriegsmaschine verwandelt

Momentan begehe die Türkei Grenzverletzungen, so Özsoy, und die Kurdinnen und Kurden im Iran, in der Türkei, in Syrien und im Irak fühlten sich geschlossen angegriffen. „Für die Kurden laufen die Angriffe auf eine Besatzung hinaus. Der türkische Staat will das Territorium eines anderen Landes angreifen, ohne Beschluss des UN-Sicherheitsrats, einseitig und ohne dass es einen Angriff von der anderen Seite gegeben hätte. Als HDP sprechen wir uns auf allen Ebenen dagegen aus.“

Wie sich eine mögliche Invasion in Rojava auf den Straßen Nordkurdistans auswirken wird, ist nach Ansicht des außenpolitischen Sprechers der HDP noch unklar: „In den letzten zwei Jahren sind alle festgenommen worden, die gegen etwas protestiert haben. Leyla Güven ist beispielsweise wegen ihrer Kritik an der Invasion in Efrîn verhaftet worden. Oppositionelle Reflexe der in der Türkei lebenden Kurden werden sofort unterdrückt. Wir befinden uns nicht in einem demokratischen Land, in dem man offen protestieren kann. Wir haben es mit einem Staatsapparat zu tun, der sich in eine Kriegsmaschine verwandelt hat. Trotzdem wird es Proteste geben, weil die Kurden es nicht stillschweigend hinnehmen können. Außerdem ist es in der Geschichte immer so gewesen, dass die Kurden in schlimmen Zeiten näher aneinanderrücken. Das ist in Halabja so gewesen, Kobanê hat alle Kurden vereint und auch im Fall von Efrîn haben alle dasselbe empfunden. Das Zusammengehörigkeitsgefühl wächst in solchen Momenten.“