AKP missbraucht Kinder für Kriegspropaganda

Schon wieder wurde ein Theaterstück, in dem nationalistische und religiöse Propaganda zur Schau gestellt wird, mit Kindern aufgeführt - dieses Mal in der Schweiz und mit Unterstützung der türkischen Botschaft.

Die Schweizer Tageszeitung Blick veröffentlichte Bilder eines Theaterstücks, dessen Aufführung in der Stadt Uttwil des Kantons Thurgau stattfand. Kinder stellen zum wiederholten Mal entsetzliche Kriegsszenen auf der Bühne dar.

6-Jährige töten einander als ‚Spiel‘

Dem Bericht im Blick zufolge wurde der ‚Theaterabend‘ an der türkischen Schule Romanshorn am 25. März in St. Gallen vom Elternbeirat organisiert. Die türkische Botschaft in Bern wirkte im Hintergrund als Schirmherrin, diplomatische Ehrengäste aus Ankara saßen in der vordersten Reihe. Hunderte von Erwachsenen nahmen das Theaterstück, in welchem die 6-jährigen Kinder eine Szene aus der Schlacht von Gallipoli (Çanakkale) während des Ersten Weltkriegs nachstellten, mit ihren Handys auf.

Kriegspropaganda im Rahmen des ‚Unterrichts in heimatlicher Sprache und Kultur‘

Blick machte darauf aufmerksam, dass Kinder Gewehre halten, Parolen fürs türkische Vaterland schreien, sich tot stellen und mit der Nationalfahne zugedeckt werden und diese Glorifizierung des Märtyrertodes im Rahmen des Unterrichts in Heimatlicher Sprache und Kultur (HSK) geschehe. Es wird in dem Artikel darauf hingewiesen, dass die Lehrbeauftragten für den Unterricht meist direkt von Ankara entsandt werden und das türkische Erziehungsministerium den Lehrplan diktiert.

Nach Blick behauptet Alexander Kummer, Leiter des kantonalen Amts für Volksschule in St. Gallen, keine Kenntnis von diesen Vorgängen zu haben. Er soll einzig gesagt haben: „Der HSK-Unterricht ergänzt den Sprachunterricht in der Regelklasse, da sich die jeweiligen Lernprozesse wechselseitig positiv beeinflussen.“

„Wohl etwas zu weit gegangen, aber es ist doch nur ein historisches Ereignis“

Die Zeitung betonte, dass die türkische Botschaft nicht auf Anfragen reagiere. Schließlich äußerte sich Nazim Nacalkan, der St. Galler HSK-Kurse im Auftrag der türkischen Botschaft koordiniert.

Nacalkan soll eingeräumt haben, dass das militaristische Schauspiel wohl etwas zu weit ging, betonte aber gleichzeitig, dass die Kinder „nur“ ein historisches Ereignis nachgespielt hätten.

Bei dem erwähnten historischen Ereignis handelt es sich um die Schlacht von Gallipoli im Jahr 1915, ein blutiges Gefecht im Ersten Weltkrieg mit 300.000 Toten.

Blick hat den deutschen Türkei-Experten Ismail Küpeli nach seiner Meinung zu diesen Kriegsspielen gefragt. Küpeli hält sie für hochproblematisch: „Hier werden Kinder gezielt für nationalistische Propaganda instrumentalisiert.“ Erdogans Strategie sei klar: „Schon die Kleinsten sollen ideologisch geformt und auf Linie gebracht werden.“

Religionsministerium Diyanet organisierte in der Schweiz ähnliche Theaterstücke

Das Theaterstück in Uttwill stellt laut dem Bericht keinen Einzelfall dar. Mehrere Aufführungen, in denen Kinder für die AKP-Propaganda und Glorifizierung des Märtyrertodes für das Vaterland missbraucht wurden, sollen unter Anleitung der dem türkischen Religionsministerium unterstehenden Organisation Diyanet in verschiedenen Kantonen stattgefunden haben.

Parallelen in die Gegenwart: Krieg gegen Kurd*innen

Blick kritisierte harsch, dass das Bildungssystem für Kriegspropaganda der AKP missbraucht werde. Obwohl sich das Theaterstück um ein historisches Ereignis drehe, sollten in ihm Parallelen in die Gegenwart gezogen werden. So werde die Schlacht von Gallipoli in Verbindung mit dem Angriff auf den Kanton Efrîn in Rojava und dem Krieg gegen die Kurd*innen in Kurdistan allgemein gestellt.

Heimatunterricht als Sultanats-Fantasien

Blick sprach mit dem Migrationsexperten Thomas Kessler aus Basel, der erwähnte, dass Erdoğan wegen der anstehenden Wahlen lediglich an einer religiös-nationalen Mobilisierung der türkischen Bürger*innen im Ausland interessiert sei und nicht an deren Integration.

Kessler fügt hinzu, dass der Heimatunterricht ein Integrationsprojekt für den Brückenbau zwischen Ländern sein sollte, jetzt aber zur Propaganda von Sultanats-Fantasien missbraucht werde: „Sie fördern Parallelgesellschaften und spalten die türkische Gemeinschaft“.

Nach Kessler müssten der Kanton und die Schulbehörden den Vorfall sehr ernst nehmen und genaustens überprüfen.

Auch in Deutschland und Österreich wurden in den letzten Wochen die Aufführung ähnlicher Theaterstücke, in denen Kinder für Kriegspropaganda missbraucht werden, publik. Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (DITIB), die diese Theaterstücke organisierte, steht unter Verdacht, Spitzeltätigkeiten für die türkische Regierung durchzuführen. Erst vor wenigen Monaten wurde ein Video aus einer DITIB-Moschee in Herford publik gemacht, in dem kleine Jungen in Uniform zu sehen waren, die mit Spielzeugwaffen hantierten, militärische Kommandos riefen und salutierten.