Wenige Tage vor der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen in der Türkei hat sich gezeigt, dass die Kurd:innen erneut in einer Schlüsselposition sind. Ibrahim Akin, Ko-Sprecher der Grünen Linkspartei (YSP) und Abgeordneter aus Izmir, hat gegenüber ANF die Wahlen vom 14. Mai und die am Sonntag bevorstehende Stichwahl zwischen den Präsidentschaftskandidaten Recep Tayyip Erdoğan (AKP) und Kemal Kılıçdaroğlu (CHP) bewertet.
Akin stellte fest, dass die AKP/MHP mit allen Mitteln des Staates und der Bürokratie in die Wahlen vom 14. Mai gegangen sind und dass die Grüne Linkspartei, unter deren Banner die Demokratische Partei der Völker (HDP) aufgrund des gegen sie laufenden Verbotsverfahren zu den Parlamentswahlen angetreten ist, von der Justiz und staatlichen Kräften unter Druck gesetzt wurde. Insbesondere in Kurdistan sei die Sicherheit der Wahlen und der Wahlurnen nicht gewährleistet worden.
Zur Bewertung der Wahlergebnisse vom 14. Mai sagte Akın, dass sich die Repressionskeule in den kurdischen Provinzen stark bemerkbar gemacht habe: „Trotz des Drucks haben sich unsere Wählerinnen und Wähler für ihren Willen eingesetzt, und die Grüne Linkspartei wurde die erste Partei in der Region mit deutlich mehr Stimmen als die anderen. Unsere Partei wurde auch die drittgrößte Partei in der Türkei, was die Anzahl der Abgeordneten betrifft, die sie im ganzen Land gewonnen hat.“
Dennoch habe die Grüne Linkspartei ihre Ziele nicht erreicht, räumte Akin ein. Es sei zu einem Stimmenverlust gekommen, wofür es verschiedene Gründe gebe. Nach der Stichwahl am Sonntag sollen diese Gründe in einem Prozess der Kritik und Selbstkritik mit den Parteivorständen und Bündniskomponenten analysiert und bearbeitet werden.
Zu der Zusammensetzung des Parlaments erklärte Akin: „Wenn wir uns die parlamentarische Arithmetik ansehen, die sich nach den Parlamentswahlen herauskristallisiert hat, sehen wir, dass es erhebliche Schwierigkeiten geben kann, eine demokratische, partizipatorische, egalitäre und ökologische Verfassung zu schaffen. Wir alle haben jetzt größere Aufgaben beim Aufbau einer demokratischen Ordnung im zweiten Jahrhundert der Republik. Als Bündnis für Arbeit und Freiheit hatten wir bei den Präsidentschaftswahlen eine strategische Entscheidung getroffen, um das Ein-Mann-Regime von Erdoğan zurückzudrängen. Diese Entscheidung haben wir erfüllt. Auch die Wählerinnen und Wähler der Grüne Linkspartei haben diese strategische Entscheidung angenommen und sich zu eigen gemacht. Durch diese Entscheidung hat Erdoğan nicht in der ersten Runde gewonnen. Der Wille der Wählerinnen und Wähler der Grünen Linkspartei war entscheidend dafür, dass Erdoğan nicht im ersten Wahlgang gewählt werden konnte."
„Lasst uns den Diktator am 28. Mai stürzen“
Auch bei der Stichwahl am 28. Mai werde die Grüne Linkspartei an ihren Grundsätzen zur Verteidigung von Demokratie und Freiheit festhalten, so der Parteisprecher Akin: „Natürlich sind Wahlen nicht das einzige Mittel, um einen Kampf für Demokratie und Freiheit zu führen, aber wenn wir die Wahlen nicht zu einem Prozess machen können, in dem dieser Kampf geführt werden kann, werden weder die Wahlurne noch die abgegebenen Stimmen irgendeine Bedeutung haben. Seit Beginn dieses Wahlprozesses haben wir immer die Prinzipien betont, anstatt über Namen zu diskutieren, und wir sind immer noch an demselben Punkt. Entweder wir stehen zur Idee der Demokratie, des Friedens, der Geschwisterlichkeit, der Gleichheit und der Gerechtigkeit, oder wir sind dagegen. Das heutige Ein-Mann-Regime ist das Regime, das eine Front gegen Demokratie und Frieden errichtet hat.“
Akin betonte, dass die Wahlen am 28. Mai wichtig für die Schaffung von Recht und Gerechtigkeit seien. Die Wählerinnen und Wähler müssten ein weiteres Mal an die Urnen gehen, um die faschistische Regierung loszuwerden und den Diktator zu stürzen: „Wir dürfen nicht zulassen, dass der Faschismus gewinnt. Wir werden zur Wahl gehen und das Ergebnis bestimmen. Wir haben es schon einmal geschafft, wir werden es wieder schaffen. Am 14. Mai haben wir den Faschismus gestoppt, indem wir Erdoğan im ersten Wahlgang aufgehalten haben. Am 28. Mai werden wir für die Niederlage des Faschismus stimmen. Wir wissen, dass sich mit einer Wahl nicht alles ändern wird. Aber damit sich viele Dinge ändern können, müssen sich erst einige Dinge ändern. Am 28. Mai werden wir wählen, um den einen Mann zu stürzen, als ersten Schritt, um viele Dinge zu ändern. Wir rufen dazu auf, zur Wahlurne zu gehen, um sich gegen diejenigen zu stellen, die die Zukunft des Landes vermarkten, gegen die Mentalität, die die Gesellschaft spaltet und gegeneinander aufhetzt, und um den einen Mann und seine profitorientierten Partner zu vertreiben. Wir fordern unser Volk auf, an die Urnen zu gehen und seine Stimme abzugeben, um den einen Mann zu stürzen. Zuerst werden wir den Faschismus der Regierung stoppen und dann werden wir unseren Kampf für Demokratie mit einem stärkeren Atem fortsetzen."