Über 600 Tote bei schweren Erdbeben in der Türkei und Syrien

Die Bilanz des Erdbebens in der Türkei und in Syrien wird immer dramatischer. Die Zahl der Todesopfer liegt mittlerweile bei über 600.

Nach zwei schweren Erdbeben im Südosten der Türkei und im Norden Syriens bergen Einsatzkräfte im Katastrophengebiet immer mehr Tote und Verletzte. Nach derzeitigen Angaben sind insgesamt mehr als 630 Menschen ums Leben gekommen. Allein in der Türkei starben nach offiziellen Angaben 284 Menschen, die meisten von ihnen in den kurdischen Provinzen. Mehr als 2.300 Menschen seien verletzt worden, sagte Vizepräsident Fuat Oktay. Demnach stürzten mehr als 1.700 Gebäude in dem Land ein, darunter auch mehrere Krankenhäuser in der Provinz Hatay. Tausende Menschen werden unter den Trümmern vermutet.

In Syrien gab es in den von der Regierung kontrollierten Gebieten, in der türkischen Besatzungszone um Efrîn sowie im dschihadistisch beherrschten Idlib mehr als 350 Tote sowie Hunderte Verletzte, wie aus Angaben des syrischen Gesundheitsministeriums und örtlicher Ersthelfer hervorging. Die Rettungs- und Bergungseinsätze wurden durch Schnee und Eis behindert. Besonders in Aleppo scheint es unzählige Todesopfer gegeben zu haben. Viele Menschen leben dort in einsturzgefährdeten Kriegsruinen und befinden sich auch ohne Erdbeben bereits in Lebensgefahr.

In der Autonomieregion Nord- und Ostsyriens meldeten die Behörden bislang acht Verletzte in Kobanê, Minbic und Şehba. In den kurdischen Stadtteilen Şêxmeqsûd und Eşrefiyê im nördlichen Aleppo sind mindestens sechs Menschen gestorben und elf weitere verletzt worden. In den selbstverwalteten Vierteln haben die Kommunen Sammelpunkte und Nothilfezentren eingerichtet. Aufgrund des Embargos durch das Damaszener Regime ist die Versorgung hier allerdings schwer. 

Şêxmeqsûd

Ein Erdbeben der Stärke 7,4 hatte am frühen Montagmorgen die Südosttürkei erschüttert. Das Epizentrum lag nach Angaben der Katastrophenschutzbehörde Afad in der Provinz Gurgum (tr. Maraş) nahe der syrischen Grenze. Ein weiteres Beben der Stärke 6,6 sei kurz darauf in der Provinz Dîlok (Gaziantep) gemessen worden. Das Geoforschungszentrum Potsdam hatte zuvor Beben der Stärken 7,4 und 7,9 gemeldet. In einer aktualisierten Einschätzung wurde die Stärke inzwischen mit 7,8 und 6,7 angegeben. Es kam zu 22 teils starken Nachbeben.

Die türkische Regierung hat die Alarmstufe vier ausgerufen und damit auch um internationale Hilfe gebeten. Griechenland, Italien, Deutschland, die USA und Israel haben bereits Hilfe zugesagt. Nach offiziellen Angaben lagen die Opferzahlen um 10.00 Uhr deutscher Zeit nach Provinzen aufgeschlüsselt, bei

  • 70 Toten, 200 Verletzten und 300 eingestürzten Gebäuden in Gurgum
  • 4 Toten, 7 Verletzten und 200 eingestürzten Gebäuden in Hatay
  • 20 Toten, 200 Verletzten und 83 eingestürzten Gebäuden in Osmaniye
  • 13 Toten, 22 Verletzten und 100 eingestürzten Gebäuden in Semsûr
  • 14 Toten, 226 Verletzten und 20 eingestürzten Gebäuden in Amed
  • 18 Toten, 200 Verletzten und 60 eingestürzten Gebäuden in Riha
  • 80 Toten, 600 Verletzten und 581 eingestürzten Gebäuden in Dîlok
  • 8 Toten, 200 Verletzten und 50 eingestürzten Gebäuden in Kilis
  • 10 Toten, 118 Verletzten und 16 eingestürzten Gebäuden in Adana
  • 47 Toten, 550 Verletzten und 300 eingestürzten Gebäuden in Meletî.


Bilder aus Amed (tr. Diyarbakir)

Der Herd des Bebens lag mit knapp 40 Kilometern nordwestlich der Industriestadt Dîlok im Grenzgebiet zu Syrien und ereignete sich in einer Tiefe zwischen zehn und 15 Kilometern in einem der am meisten gefährdeten seismischen Gebiete der Welt, der Levante. Die Erschütterungen wurden fast in der gesamten südöstlichen Türkei, in weiten Teilen von Syrien sowie auf Zypern, im Libanon, in Israel sowie im Westjordanland gespürt. Das letzte Mal, dass die Erde ähnlich schwer bebte, war im Juli 2021, als ein Erdbeben der Magnitude 8,2 die Alaska-Halbinsel erschütterte.

Der Landkreis Markaz (tr. Pazarcık) in der Provinz Gurgum

Fachleute gehen davon aus, dass die Opferzahlen vor allem in den kurdischen Provinzen im Laufe des Tages noch deutlich nach oben korrigiert werden. Viele zerstörte Dörfer und abgelegene Siedlungen haben noch immer keine Hilfe bekommen. Zudem häufen sich die Meldungen von einstürzenden Gebäuden auch nach Tagesanbruch. Die Beben hatten am frühen Montagmorgen noch in der Dunkelheit stattgefunden. Videos in sozialen Netzwerken zeigen nun aber, dass in mehreren Provinzen weiterhin Gebäude wie ein Kartenhaus zusammenbrechen.

KCK: AKP/MHP-Regime für hohe Opferzahlen verantwortlich

Die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) macht das AKP/MHP-Regime für die hohen Opferzahlen verantwortlich. Geld für die Sicherung gegen Erdbeben sei für die korrupte Kriegswirtschaft veruntreut worden, die tatsächliche Hilfe falle nur oberflächlich aus. Selbst aus dem verheerenden Erdbeben in Wan im Jahr 2011, bei dem weite Teile der Provinz zerstört worden waren und mehr als 600 Menschen getötet wurden, hat das Regime offensichtlich keine Konsequenzen gezogen – trotz diverser neuerer Beben in der Region. Noch heute müssen Betroffene in Containern und provisorischen Behausungen oder Zelten ausharren.

Eine der aktivsten Erdbebenregionen der Welt

Die Türkei liegt in einer der aktivsten Erdbebenregionen der Welt. Dort grenzen zwei der größten Kontinentalplatten aneinander: die afrikanische und die eurasische. Im Jahr 1999 war die Türkei von einer der schwersten Naturkatastrophen in ihrer Geschichte getroffen worden: Ein Beben der Stärke 7,4 in der Region um die Stadt Izmit im Nordwesten des Landes kostete mehr als 17.000 Menschen das Leben. Für die größte türkische Stadt Istanbul erwarten Fachleute in naher Zukunft ebenfalls ein starkes Beben und bemängeln, dass die Regierung kaum Maßnahmen unternimmt, um die Region erdbebensicher zu machen.