Die am Mittwoch in Istanbul festgenommene Vorsitzende des türkischen Ärzteverbands (TTB), Şebnem Korur Fincancı, wird heute nach vierstündiger Anhörung bei der Generalstaatsanwaltschaft Ankara dem Haftrichter vorgeführt. In Solidarität mit der mehrfach ausgezeichneten Forensikerin und Menschenrechtsaktivistin versammelten sich zahlreiche Menschen vor dem Gerichtsgebäude. Dort stießen sie auf Polizeiabsperrungen. Die protestierenden Menschen wurden mehrfach von der Polizei attackiert und geschlagen. Journalist:innen wurden am Filmen gehindert.
Mitglieder der Gewerkschaft der Angestellten des öffentlichen Dienstes (KESK), der Gewerkschaft der Angestellten des Gesundheits- und Sozialwesens (SES) und Studierende wurden über den Boden geschleift und von der Polizei festgenommen. Bei den Festgenommenen handelt es sich unter anderem um Döne Gevher vom Gewerkschaftsverband KESK, Selma Güngör vom Ärzteverband, Gönül Adıbelli, Generalsekretärin der SES, und Helin Çakır, Mitglied der Kommission der Medizinstudierenden (TÖK). Der Protest vor dem Gerichtsgebäude geht weiter.
Terrorverfahren gegen preisgekrönte Menschenrechtsaktivistin
Gegen Fincancı, Trägerin des Hessischen Friedenspreises 2018, ist ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, nachdem sie angesichts der Symptome, die sterbende Guerillakämpfer:innen auf Videos zeigten, von Hinweisen auf den Einsatz von Nervenkampfstoffen gesprochen und eine Untersuchung eingefordert hatte. Sie wird beschuldigt, Propaganda für eine „Terrororganisation“ betrieben und gegen den berüchtigten Artikel 301 verstoßen zu haben. Der sogenannte Türkentum-Paragraf regelt die „Beleidigung der türkischen Nation, des Staates der Republik Türkei und der Institutionen und Organe des Staates“.
Festnahmen am Vortag in Istanbul
Bereits am Mittwochabend war in mehreren Städten in der Türkei die sofortige Freilassung von Şebnem Korur Fincancı gefordert worden. Kundgebungen in Istanbul wurden von der Polizei angegriffen, es kam zu Dutzenden Festnahmen.