Öcalan-Konferenz an der Universität des Baskenlandes

Eine Konferenz an der Universität des Baskenlandes hat sich mit den Haftbedingungen von Abdullah Öcalan und der Frage beschäftigt, wie internationale Solidarität dazu beitragen könnte, den Weg zur Lösung der kurdischen Frage zu ebnen.

Eine Konferenz an der Universität des Baskenlandes (UPV/EHU) in Bilbo (es. Bilbao) hat sich am Donnerstag mit den Haftbedingungen des in der Türkei in politischer Geiselhaft sitzenden PKK-Begründers Abdullah Öcalan und der Frage beschäftigt, wie internationale Initiativen und insbesondere die baskische Kurdistan-Solidarität dazu beitragen könnten, die Isolation des 74-Jährigen zu durchbrechen und Wege zu finden, die kurdische Frage mit demokratischen und friedlichen Methoden zu lösen. Eingeladen zu der Konferenz, mit der nach Angaben der Veranstaltenden ein Beitrag zur globalen Kampagne „Freiheit für Abdullah Öcalan und eine politische Lösung für die kurdische Frage“ geleistet wurde, hatte der baskische Parteienverband Euskal Herria Bildu, dem unter anderem die Parteien Eusko Alkartasuna, Sortu und Alternatiba angehören.

Bilmez: Die Türkei ignoriert Grundrechte und Freiheiten

Esther Lopez, Sprecherin der kurdischen Freundschaftsgruppe von EH Bildu, moderierte die Konferenz. Das erste Wort erteilte sie dem aus Istanbul angereisten Rechtsanwalt Ibrahim Bilmez von der Kanzlei Asrin, die Öcalan seit seiner völkerrechtswidrigen Verschleppung im Jahr 1999 aus Kenia auf die Gefängnisinsel Imrali im Westen der Türkei juristisch vertritt. Bilmez zeichnete zunächst einen kurzen Umriss der Historie der Praxis auf der Insel Imrali, die juristisch gesehen ein „schwarzes Loch“ sei. Dort werde ein beispielloses Haftregime umgesetzt, das auf dem rechtswidrigen Vorgehen nicht nur der türkischen Justiz, sondern auch des internationalen Rechtssystems basiere.

Von links nach rechts: Pernando Barrena, Esther Lopez, Ibrahim Bilmez

„Es gibt diverse Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) hinsichtlich der Imrali-Isolation sowie Entscheidungen und Forderungen des Europarats und der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen. Doch die türkische Regierung setzt weder verbindliche Urteile um, noch hält sie sich an die Regeln der genannten Gremien. Die Türkei ignoriert konsequent sämtliche Entscheidungen und Verpflichtungen, die sich etwa aus der europäischen Menschenrechtskonvention oder der Mitgliedschaft im Europarat ergeben“, sagte Bilmez. Es sei zwar allgemein bekannt, dass das Land ohnehin schwere Defizite in Sachen Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte habe. Öcalan und seine drei Mitgefangenen auf Imrali gehörten allerdings zur Gruppe von Personen, für die eine funktionierende innerstaatliche Gerichtsbarkeit „in jedem Fall absolut nicht“ gegeben sei.

Bilmez meint: „Indem die Türkei die Urteile und Entscheidungen des EGMR, des Antifolterkomitees CPT und des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen nicht umsetzt, untergräbt sie den Einfluss der internationalen Rechtsmechanismen und macht sie praktisch funktionsunfähig. Imrali dient der türkischen Justiz und Politik im Grunde als eine Art Versuchslabor, in dem alle Arten von Rechtsbrüchen getestet werden. Die daraus gezogenen Schlussfolgerungen werden in die Staatspolitik integriert und gegen alle, insbesondere gegen die Opposition in der Türkei, angewendet. Wenn wir uns die lange Haftzeit von Herrn Öcalan und die Urteile des EGMR zum sogenannten Recht auf Hoffnung ansehen, wäre es ein Gebot des Völkerrechts und der Gerechtigkeit, dass Öcalan freikommt.“


Bilmez wies auch auf die politische Dimension der Imrali-Isolation hin: „Die Politik des Staates auf Imrali spiegelt sich in der Politik in der Türkei und des Nahen Ostens wider. Anstelle von Frieden und demokratischer Politik wird eine Sicherheitspolitik betrieben, die in jeder Hinsicht zu Polarisierung, Krise und Chaos führt. Diese Situation steht natürlich in engem Zusammenhang mit der kurdischen Frage, die regionale und globale Dimensionen hat, und mit der Tatsache, dass das Problem ungelöst bleibt. Mit der ausbleibenden Lösung vertieft sich auch der Zustand der absoluten Isolation. Solange das System der absoluten Isolation aufrechterhalten wird, kann weder die kurdische Frage gelöst noch eine demokratische Entwicklung erreicht werden. Die Imrali-Isolation bedeutet die Aufgabe von Recht und Demokratie in der Türkei. Das führt zu einem Dominoeffekt, der die materiellen und moralischen Werte der Gesellschaft und das gesamte soziale und politische Leben beschädigt. Für ein lebenswertes Land und eine lebenswerte Region muss die kurdische Frage gelöst und das System der Imrali-Isolation aufgehoben werden.“

Barrena: Westliche Doppelmoral

Als nächstes sprach der baskische Politiker Pernando Barrena, der Vertreter der Europa-Abteilung der EH Bildu in Brüssel ist. Barrena bezeichnete die Imrali-Isolation als Abschottung einer ganzen Gesellschaft und sagte: „Öcalans Isolationshaft steht symbolisch für das Schicksal aller Kurdinnen und Kurden. Er wird nicht nur eingesperrt, sondern seit 25 Jahren jeglicher Menschenrechte beraubt.“ Dabei sei Öcalan eine Schlüsselfigur für die Lösung der kurdischen Frage, betonte Barrena. Seine Freilassung könne einen dauerhaften Frieden in Kurdistan ermöglichen, da Öcalan der einzige Akteur mit einem Lösungsplan für die vielfältigen Probleme in Kurdistan gelte, die sich aus der staatlichen Kriegspolitik der Türkei ergeben würden. „Öcalan ist ein Architekt für Freiheit und Frieden und steht hinter der Idee einer gleichberechtigten Koexistenz aller Menschen. Seinem Paradigma des demokratischen Konföderalismus sind wir im Baskenland, das ebenfalls einen nationalen Befreiungskampf führt, tief verbunden. Frieden bietet die einzige Lösung und Öcalan ist für diesen Prozess unerlässlich. Ohne seine Partizipation kann aber kein Fortschritt auf dem Weg zu einer Lösung erzielt werden. Bevor Verhandlungen darüber beginnen können, muss der türkische Staat ihn zunächst freilassen“, forderte Barrena. Dafür brauche es aber Druck vom Europäischen Parlament, dem Europarat und den Vereinten Nationen, denen er hinsichtlich des Umgangs mit dem kurdischen Volk „Doppelmoral“ vorwarf. „Den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verurteilen und sanktionieren die Hüter der westlichen Werte – zu Recht. Doch die türkische Aggression gegen Kurdistan und Abdullah Öcalan wird von denselben Akteuren toleriert. Das ist an Scheinheiligkeit nur schwer zu überbieten.“

Uzun: Öcalans Paradigma ist Hoffnungsschimmer für alle Unterdrückten

Adem Uzun vom Nationalkongress Kurdistan (KNK) widmete sich dem von Abdullah Öcalan in Haft angestoßenen Paradigmenwechsel der PKK von einer nationalen Befreiungspartei hin zu einer radikaldemokratischen, multiethnischen und politisch offenen Basisbewegung. Diese Bewegung, die sich zur Grundlage die politische Philosophie des Demokratischen Konföderalismus nehme, finde weltweit Beachtung, da Öcalan damit vor die Befreiung der „eigenen Region“ das Ziel der tiefergehenden Demokratisierung und Emanzipation von Patriarchat, Herrschaft und Nation gestellt habe. „Der Demokratische Konföderalismus ist Wegweiser für den Aufbau einer Gesellschaft jenseits von Macht und Herrschaft, und zwar überall auf der Welt“, sagte Uzun.

„Das kapitalistische System, in dem wir leben, ist kein System, das die Rechte der Völker verteidigt“, erklärte Uzun und setzte seinen Beitrag mit dem Öcalan-Zitat „Das auf Nationalstaaten basierende System der Vereinten Nationen ist ineffizient geblieben. Mittlerweile sind Nationalstaaten zu ernsthaften Hindernissen für jegliche gesellschaftliche Entwicklung geworden. Der Demokratische Konföderalismus ist das Gegenparadigma des unterdrückten Volkes“ fort. Uzun sagte, dass eine Alternative zum Kapitalismus notwendig gewesen sei, die profunde Antworten auf die vom System der Nationalstaaten geschaffenen und die multiplen Krisen des 21. Jahrhunderts liefere. „Genau an diesem Punkt entwickelte Abdullah Öcalan den Demokratischen Konföderalismus. Es ist nicht nur der Gegenentwurf zum Konzept der Nationalstaaten. Es ist auch der Versuch, die gesellschaftliche Selbstorganisation zu forcieren. Von einem kurdischen ‚Versuch‘ kann aber nicht die Rede sein.“ Das von Abdullah Öcalan vorgelegte konföderale Modell gebe „den unterdrückten Völkern im Nahen Osten und in anderen Teilen der Welt Hoffnung“, so Uzun.

Den Abschluss seines Beitrags formulierte Uzun mit folgenden Worten: „Auf Imrali wird heute jegliches Recht ignoriert. Mit der Kampagne für die Freiheit Abdullah Öcalans und eine Lösung der kurdischen Frage soll und wird eine Botschaft an diejenigen gegeben, die sich nicht an das Völkerrecht halten. Die Aufhebung der Isolation und die Befreiung Öcalans ist unmittelbar mit der Lösung der kurdischen Frage und der sozialen Probleme verbunden. In diesem Sinne ist es für unser aller Zukunft von großer Bedeutung, sich die Ideen des kurdischen Vordenkers zu eigen zu machen und entsprechend zu handeln.“

Koldo Sáenz über die Rolle der Gewerkschaften in Zeiten von Kriegen

Das letzte Wort der Konferenz hatte Koldo Sáenz, Mitglied der Leitung des baskischen Gewerkschaftsverbandes LAB (Langile Abertzaleen Batzordeak), der zuständig ist für internationale Beziehungen und darüber hinaus auch der internationale Koordinator der „Plattform der Gewerkschaften staatenloser Nationen“ ist. Sáenz wies eingangs darauf hin, dass der Krieg in Kurdistan kaum von der Welt wahrgenommen werde und widmete sich anschließend der Frage, was Gewerkschaften gegen Krieg ausrichten könnten. Er betonte, dass Solidarität über Ländergrenzen hinweg von entscheidender Bedeutung sei, und appellierte an Gewerkschaften auf der ganzen Welt, in der Praxis zusammenzuarbeiten, um gemeinsame Ziele zu erreichen.

„Solidarität ist wesentlich, um gemeinsamen Interessen Gehör und Geltung zu verschaffen“, sagte Sáenz. In Gewerkschaften solidarisierten sich Werktätige und setzten sich ein für gute Arbeitsbedingungen auch über die Arbeitswelt hinaus ein. „Sie wurden gebildet, um durch Zusammenhalt eine wirksame Gegenmacht zu den Kapitalinteressen zu schaffen und um Ausbeutung und Unterdrückung zu überwinden. Gewerkschaftliche Solidarität schafft es, trotz aller individuellen und politischen Unterschieden eine gemeinsame Identität herzustellen und im Kollektiv zur Geltung zu bringen – nicht nur in der Arbeiterbewegung.“

Die internationale Solidarität und die Gewerkschaftsarbeit in einer Welt voller Kriege und globaler Herausforderungen sei daher von existenzieller Bedeutung, deshalb setze man sich auch im Baskenland seit Jahren für die Freilassung Abdullah Öcalans und eine demokratische Lösung für die kurdische Frage ein. „Die Freilassung von Abdullah Öcalan als legitimer Vertreter der kurdischen Gesellschaft ist unabdingbar, um in Kurdistan und der gesamten Region den Weg für Frieden zu ebnen. Wir wissen aus unserer eigenen Erfahrung im Baskenland, dass die Freilassung der legitimen und glaubwürdigen Führungspersönlichkeiten unumgänglich und eine notwendige Voraussetzung für jeden Friedensprozess ist. Aus diesem Grund wird die gewerkschaftliche Solidarität im Baskenland weiterhin mit dem legitimen Kampf des kurdischen Volkes verbunden bleiben.“