In Berlin hat am Sonntag ein großes Fest anlässlich des zehnten Jahrestages der Revolution in Nord- und Ostsyrien stattgefunden. Eingeleitet wurde die Feier am Oranienplatz in Kreuzberg mit einer Schweigeminute für die Gefallenen der Revolution, ohne welche solche Feste, die dieser Tage überall auf der Welt stattfinden, nicht möglich sind, sagte Xalid Derwiş im Namen des Organisationskomitees. Kritik wurde am Auftreten der Berliner Polizei geäußert, die das Zeigen von Fahnen der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten (YPG/YPJ) untersagte.
„Das Feuer der Rojava-Revolution ist in Gefahr“
Derwiş erklärte: „Vor zehn Jahren wurde ein Feuer der Hoffnung in Rojava entzündet. Von Kobanê breitete sich die Revolution in ganz Nordostsyrien aus, seitdem leuchten diese Flammen hell im Dunkel der Kriege und des Chaos des Mittleren Ostens. Dieses Feuer der Rojava-Revolution nährt sich seit einem Jahrzehnt von Widerstand und Kampf des kurdischen Volkes, dem Widerstand der demokratischen und revolutionären Kräfte im Mittleren Osten, dem Kampf der Frauen und der Jugend für Befreiung. Dieses Feuer war stark genug, um den IS zu besiegen, um tausende Kommunen zu gründen, um die Selbstverwaltung von Nordostsyrien aufzubauen inmitten von Chaos.
Unser Widerstand und Feuer hat viele Menschen inspiriert und angesteckt. Auf der ganzen Welt feiern die Menschen zehn Jahre Rojava-Revolution. Aber das Feuer der Rojava-Revolution ist bedroht, der türkische Staat mit seinen dschihadistischen Söldnern will unser Licht auslöschen, will die Rojava-Revolution und die Selbstverwaltung von Nordostsyrien vernichten. Das werden wir nicht zulassen – wir kämpfen gemeinsam, damit Rojava/Nordostsyrien bestehen bleibt!“
Türkischer Staat „Todfeind" des Zusammenlebens
Das Bühnenprogramm wurde von Mizgîn Ruha und Hekîm Sefkan moderiert und umfasste politische Reden sowie musikalische Beiträge. Der Vorsitzende der Partiya Nûjen û Demokratîk li Sûriyê (Moderne und demokratische Partei Syriens), Fîras Qesas, würdigte das Experiment Rojava als ein lebendiges Beispiel dessen, was unter den scheinbar unmöglichsten Umständen möglich ist. „Wir haben eine demokratische Gesellschaft geschaffen, in der die Geschwisterlichkeit der Völker maßgeblich ist und sich jede Gruppe mit ihren Eigenheiten, ihrer Sprache und ihrer Kultur frei organisieren und Teil des Ganzen sein kann.“ Mit Blick auf die Drohungen einer erneuten Invasion sagte Qesas, dass der türkische Staat ein „Todfeind“ der Idee einer multiethnischen und multireligiösen Alternative sei und das Projekt Rojava zerschlagen wolle. „Wer sich an der Seite dieses Regimes und seiner Führung positioniert, ist weder libertär noch demokratisch, sondern schlicht dasselbe Übel, das in Ankara sitzt.“
Botan: Erdogan übt Rache für den Sieg Rojavas gegen den IS
Der kurdische Exil-Politiker und frühere HDP-Abgeordnete Lezgin Botan bezeichnete die kriegerische Aggression des türkischen Regimes gegen Nord- und Ostsyrien als „Rache“ für den Sieg Rojavas gegen die Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ (IS). Der NATO warf er vor, willenlos dem Kurs von Erdogan zu folgen. „Es waren die YPG und YPJ, die nicht nur Syrien, sondern auch Europa und den Westen vom IS-Terror befreit haben. Der Dank dafür war die Besetzung von Efrîn und anderen Regionen durch den türkischen Staat. Einst die sichersten Regionen Syriens, handelt es sich heute bei diesen Orten um zentrale Aktionsplattformen für den IS und andere islamistische und terroristische Organisationen im Sold der Türkei“, sagte Botan und verwies auf Operationen der Anti-IS-Koalition gegen führende IS-Mitglieder in der türkischen Besatzungszone. „Die Kurden, die gestern den IS besiegten, werden heute von einem NATO-Verbündeten ermordet.“
Mazlum Abdi: Internationale Solidarität mehr denn je gefordert
Für den Höhepunkt des Tages sorgte Mazlum Abdi, Oberkommandierender der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD). Abdi betonte in einer Live-Schalte die außerordentliche Bedeutung der Revolution von Rojava für die Menschen in Nord- und Ostsyrien und die Dringlichkeit der türkischen Invasionsdrohungen. Besonders hob er hervor, inwieweit internationale Solidarität mehr denn je gefordert sei, wenn es um die Frage des Bestehens der Revolution gehe.
Der linke Bundestagsabgeordnete Pascal Meiser war ebenfalls zu Gast. Der gewerkschaftspolitische Sprecher der Linksfraktion sprach das Memorandum zwischen Finnland, Schweden und der Türkei im Zuge der NATO-Norderweiterung an und kritisierte, dass sich der Westen habe erpressen lassen. Außerdem rügte Meiser, dass es kaum Reaktionen hinsichtlich der Invasion in Rojava gebe, wie es sie etwa beim aktuellen Ukraine-Konflikt gibt.
Elke Dangeleit vom Vorstand des Städtepartnerschaftsvereins Friedrichshain-Kreuzberg - Dêrik übermittelte ihre Grüsse und Glückwünsche und wies auf die aktuellen Kriegsdrohungen des Erdogan-Regimes und den türkisch-russisch-iranischen Gipfel am 19. Juli in Teheran hin.
Das musikalische Unterhaltungsprogramm präsentierten die Sänger H. Ibrahim Kurdî, Xelîl Xemgîn, Hozan Dîno und Bilind Ibrahim, die Band Koma Vejîn sowie der Dichter Dimas dem Publikum. Zur Feier des Tages wurde ausgiebig getanzt. Zum Ende wurden die Anwesenden noch zu einer Demonstration am kommenden Dienstag, dem Jahrestag der Revolution, eingeladen, welche um 19.30 Uhr am S-Bahnhof Humboldthain beginnen soll.
Gefeiert wurde gestern auch in Kiel und Hannover.