1.-Mai-Gedenken auf dem Taksim-Platz in Istanbul

Auf dem Taksim in Istanbul haben Gewerkschaften und Berufsverbände an die Toten vom 1. Mai 1977 erinnert. In der Türkei sind auch heute wieder Hunderte Menschen bei Demonstrationen zum Arbeiterkampftag festgenommen worden.

Trotz massiver Repression haben Gewerkschaften und Berufsverbände auf dem Istanbuler Taksim-Platz an die Toten vom 1. Mai 1977 erinnert. An der Gedenkveranstaltung nahmen Vertreter:innen der Gewerkschaftsverbände DISK und KESK sowie der Ingenieurs- und Architektenkammer TMMOB und der Ärztevereinigung TTB teil. Ebenfalls anwesend waren die HDP-Abgeordneten Serpil Kemalbay, Oya Ersoy und Züleyha Gülüm sowie die TIP-Abgeordneten Barış Atay und Ahmet Şık.

Die Teilnehmenden versammelten sich zunächst vor dem nahegelegenen deutschen Konsulat und zogen mit einem Kranz und roten Nelken in den Händen auf den Taksim-Platz. Dabei riefen sie auf Türkisch und Kurdisch „Es lebe der 1. Mai“ und „Frauen, Leben, Freiheit“. Vor dem Denkmal auf dem Platz wurde gemeinsam der „1.-Mai-Marsch“ gesungen und eine Schweigeminute eingelegt.

Im Anschluss hielt die DISK-Vorsitzende Arzu Çerkezoğlu eine Rede und sagte: „Heute ist der Tag, an dem wir unsere Hoffnung mit der unserer Klassengeschwister weltweit vereinen. Wir begehen den heutigen 1. Mai ein weiteres Mal im Schatten von Verboten. Nicht einmal an einem einzigen Tag im Jahr wird zugelassen, dass Arbeiter und Werktätige zusammenkommen. Der Taksim ist mit Barrikaden abgeriegelt. Diese Barrikaden sprechen für sich. Sie sind das Symbol dessen, was die politische Regierung dieses Landes vorsieht. Sie erzählen von der Entlassung Tausender Arbeiterinnen und Arbeiter. Sie berichten von knapp fünfzig Prozent Frauenarbeitslosigkeit und über vierzig Prozent Jugendarbeitslosigkeit. Diese Barrikaden erzählen von den Frauen, deren Arbeitslast im Haushalt während der Pandemie größer geworden ist und die zu Hause bleiben müssen. Die Barrikaden sagen allen, die für Gleichheit und Freiheit kämpfen, dass die Verbote weitergehen. Sie erzählen von den 16 Millionen Arbeitern, die auf das Virus treffen.“

Çerkezoğlu forderte die Freilassung aller am 1. Mai Festgenommenen. Bereits am frühen Morgen hatten zahlreiche Menschen versucht, auf den Taksim zu gelangen. Dabei kam es zu über hundert Festnahmen. Auch in Ankara und anderen Städten wurden Demonstrant:innen festgenommen. „Der 1. Mai bedeutet Widerstand. Er steht für die Zukunft unserer noch nicht geborenen Enkelkinder. Ich wünsche allen Werktätigen, die auch im Lockdown arbeiten müssen, allen Arbeitslosen, Jugendlichen, Frauen, allen die für Gleichheit und Freiheit kämpfen und allen Geschwistern unserer Klasse, die sich für eine helle Zukunft einsetzen, einen kämpferischen 1. Mai“, so die Gewerkschaftsverbandsvorsitzende Arzu Çerkezoğlu.

Das Massaker vom 1. Mai 1977

Der 1. Mai 1977 markiert einen Wendepunkt in der Historie der Arbeiterbewegung in der Türkei. An diesem Tag hatten sich mehr als 500.000 Menschen auf dem Taksim versammelt, die revolutionäre Bewegung in der Türkei hatte einen Höhepunkt erreicht. Noch bevor alle den riesigen Platz im Zentrum von Istanbul betreten hatten, eröffneten Heckenschützen von umliegenden Dächern das Feuer. Anschließend attackierten die Sicherheitskräfte die Demonstrierenden. Bis heute gibt es keine gesicherte Zahl der Opfer. Offiziell ist die Rede von 37 Toten, 200 Verletzten und 500 Festnahmen.