Dannenröder Wald: Soziale Bewegungen schlagen Wurzeln

Der Dannenröder Forst bei Homburg soll einem Teilstück der A 49 weichen. Um seine Rodung zu verhindern, halten Aktivist*innen ihn seit einem Jahr besetzt. Die Fotojournalistin Sitara Ambrosio schildert eine Momentaufnahme aus der Besetzung.

Es ist noch ruhig, an diesem kühlen Augusttag im Dannenröder Wald zwischen Dannenrod und Stadtallendorf in Hessen. Der Dannenröder Wald ist ein 300 Jahre alter gesunder Mischwald, unter ihm befindet sich ein Wasserschutzgebiet. Bald jedoch sollen dort die ersten Bäume fallen, geplant ist, dass ein sogenannter Lückenschluss der Autobahn A49 in Zukunft mitten durch den alten Wald führen soll. Dafür sollen alleine im Dannenröder Wald 85 Hektar gerodet werden.

Schon am Waldeingang macht sich bemerkbar, dass mit diesen Plänen nicht alle einverstanden sind. Sofort fällt ein großer Bauwagen ins Auge, einige Transparente wehen im Wind umher, auf einem von ihnen steht groß „Wald statt Asphalt“. Es ist die sogenannte Mahnwache, sie ist wichtiger Bestandteil der Besetzung. Vor allem als Treffpunkt zwischen Anwohner*innen, Unterstützer*innen und Aktivist*innen macht es die Begegnung leichter. Nicht alle der aktiven Personen vor Ort können klettern, aber jeder ist eingeladen, den Widerstand mit zu gestalten.

Im Gespräch mit einer Anwohnerin

„Es ist manchmal gar nicht so einfach, nach außen unseren Widerstand hier zu kommunizieren. Es beschleicht mich das Gefühl, dass vielen Menschen nicht bewusst ist, wie essenziell auch für uns Bürger in der Umgebung dieser Wald ist. Ich persönlich bin mit den Bäumen hier aufgewachsen, sie erinnern mich an meinen Vater. Diese Bäume zu verlieren, ist für mich auch ein Stück Verlust meiner Kindheit. Ja, klar gibt es auch Stimmen aus der Bevölkerung, die sich für die geplante Autobahn aussprechen. Gerade die großen Arbeitgeber hier in der Region, wie Ferrero oder der Autozulieferer Fritz Winter, würden durch einen direkteren Lieferweg davon profitieren. Aber das kann doch wirklich kein gesamtgesellschaftliches Ziel sein, dass die Wirtschaft wieder profitiert, aber alles andere auf der Strecke bleibt, ich bin sauer. Sauer vor allem auf die Politik, die uns größtenteils damit allein lässt. Bei mir trifft das auf Unverständnis, in Zeiten von dürren Sommern und drastisch zunehmender Verschlechterung unserer ökologischen Situation noch alte gesunde Mischwälder gegen eine Autobahn zu tauschen“, erzählt mir eine Anwohnerin.

© Sitara Ambrosio

Leben im Wald

Das von den Aktivist*innen bezeichnete Waldstück „Danni“ ist nur wenig vergleichbar mit anderen Wäldern in Deutschland. Nur noch wenige Wälder sind in der Lage, sich so gut zu versorgen. Viele der Wälder überleben den dürren Sommer nicht mehr in Zeiten des Klimawandels. Der kommende Herbst steht nun dem Wald und seinen Bewohner*innen bevor. Es ist jedoch nicht der erste Herbst, seit mittlerweile über einem Jahr ist der Wald besetzt. Mit Baumhäusern und allerlei selbstgezimmerten Unterschlüpfen leben die Aktivist*innen hier seit letztem Jahr. Doch nicht nur der Herbst steht seinen Bewohnern*innen bevor, auch die kommende Rodungssaison rückt stetig näher.

Eine Aktivistin erzählt: „Rodungsarbeiten bedeuten für uns in der Besetzung ganz klar Räumung. Die Baumhäuser, auf denen wir leben, und mit ihnen die alten Bäume stehen in der geplanten Trasse. Unser Ziel ist natürlich, diese Rodung zu verhindern. Die Bäume, auf denen wir leben, sind mächtig, nicht anders wäre es möglich, sie zu bebauen. Es bereitet mir Sorgen, dass es ein gesellschaftliches, nicht nur ein politisches Problem ist, die Klimakrise nicht ernst zu nehmen. Es ist Wahnsinn, wenn wir bedenken, was gerade alles passiert. Wie stellen wir uns das denn vor, einfach Entscheidungen zu treffen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind, wo doch unsere Lebensgrundlage davon abhängt? Ich habe kein Verständnis dafür, ich persönlich habe Angst vor der Entwicklung der nächsten Jahre. Im Wald gemeinsam zu leben, bedeutet auch stetig damit konfrontiert zu sein, seine Lebensgrundlage schwinden zu sehen. Wenn du in der Stadt lebst, bist du davon viel abgetrennter, hier im Wald lebst du mit den Jahreszeiten, das ist etwas anderes. Noch heute erkenne ich Dinge, die mir im normalen Alltag niemals aufgefallen wären. Deswegen kritisiere ich auch die Entfremdung in unserem Zeitgeist mittlerweile umso mehr, je länger ich hier lebe.“

Soziale Veränderungen entstehen in Bewegungen

Doch nicht nur der Widerstand gegen die Pläne der Landesregierung im Sinne der wirtschaftlichen Interessen kristallisiert sich in diesem alten Wald heraus. Es ist ein eigenes soziales Ökosystem dort entstanden, durch das stetige Zusammenleben der Aktivist*innen im Wald strukturieren sie sich auch im Sozialen miteinander. Verantwortungen sind ganz anders zu tragen an diesem Ort, Selbstbestimmtheit und ein regelmäßiger Austausch sind essenziell für das Zusammenleben. Vieles, was in der normativ strukturierten Gesellschaft verloren gegangen scheint, findet hier wieder einen natürlichen Anklang. Es ist erstaunlich, wie unterschiedlichste Individuen im gemeinsamen Kampf einen Teil ihrer Entfremdung überwinden.

© Sitara Ambrosio

Der Dannenröder Wald ist nicht nur ein altes Ökosystem, das aktuell bedroht ist, es ist auch eine ganz neue soziale Perspektive, ein Symbolbild für Widerstand gegen Ausbeutung und für den Schutz unserer Lebensgrundlage. Ein weitaus größeres Projekt, das gesellschaftliche Bild von Zusammenleben, wird dort auf die Probe gestellt. In Zeiten von Klima- und sozialen Krisen ist es wichtiger denn je, das Gesamtkonzept des Kapitalismus und die daraus resultierende Gesellschaft in Frage zu stellen.

„Wir sind gekommen, um zu bleiben“

Sowohl der Landrat des Vogelsbergkreises, Manfred Görig (SPD), als auch der Giessner Regierungspräsident Christoph Ullrich (CDU) sprachen sich für den Bau der Autobahn aus. Kirsten Pfründe (SPD) äußerte sich ebenfalls zu der Wichtigkeit des Ausbaues. Dieser sei für den Landkreis von großer Bedeutung. Trotz Protest und der Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen den Weiterbau vom BUND, erklärte das hessische Verkehrsministerium: „Mit dem Bau des Teilstücks bei Stadtallendorf soll noch in diesem Jahr begonnen werden.“ Die erforderlichen Rodungen im Waldgebiet seien ab Oktober möglich, erklärte eine Sprecherin in Wiesbaden.

Auch die Aktivist*innen reagieren darauf und bereiten sich auf eine kommende Räumung vor. Klar ist, dass der Protest weitergeht. So steht am Ende einer jahrelangen Diskussion um die nicht dringend notwendige Erweiterung der A49 ein gespaltenes Meinungsbild, eine politische Entscheidung und der Beginn eines Großeinsatzes.


Sitara Ambrosioo ist ein junge, freischaffende Fotojournalistin aus Berlin. Geboren in Bayern, entdeckte sie die Fotografie mit der analogen Kamera ihres Opas und lernte diese lieben. Aktuell arbeitet sie meist an Dokumentarfotografien im Bereich Politik und Gesellschaft, eine große Rolle spielt für sie das persönliche soziale Engagement dabei. Für ihre Arbeit nutzt sie soziale Medien wie Twitter und Instagram, um dem rasenden Zeitgeist gerecht werden zu können.