Tiryaki: Wir werden niemals in Hoffnungslosigkeit erstarren

Der Abgeordnete der Grünen Linkspartei, Mehmet Rüştü Tiryaki, spricht nach den Wahlen von einem Prozess der Kritik und Selbstkritik unter Einbeziehung der Bevölkerung und kündigt an, den Kampf gegen das Erdoğan-Regime noch stärker fortzusetzen.

Die Wahlen in der Türkei und Nordkurdistan brachten nicht den erhofften Wandel. Stattdessen konnte der Diktator Erdoğan sich mit knapper Mehrheit behaupten. Die Gründe dafür sind mannigfaltig und viele sind im Wahlbetrug, der Medienhegemonie des Regimes und der massiven Repression gegen die demokratische Opposition zu suchen. Dennoch beginnt nun für das Bündnis für Arbeit und Freiheit und die Grüne Linkspartei (YSP) auch eine Phase der Kritik und Selbstkritik, um daraus gestärkt hervorzugehen. Der YSP-Abgeordnete Mehmet Rüştü Tiryaki äußert sich im ANF-Gespräch über die Perspektive auf die Wahlen und das weitere Vorgehen.

Ein historischer Durchbruch wäre möglich gewesen“

Tiryaki unterstreicht, dass die YSP den gewählten dritten Weg einer radikaldemokratischen Alternative jenseits der autoritären Blöcke weitergehen werde. Er kommentiert die Wahlen: „Es waren Wahlen von historischer Bedeutung. Es hätte einen für die Geschichte der Türkei historischen Durchbruch geben können, aber das ist aus vielen verschiedenen Gründen nicht geschehen. Über die Gründe dafür sollte ausführlich diskutiert werden. Wir werden mit Sicherheit darüber sprechen.“

Es war ein undemokratischer Wahlprozess“

Der Regierungsblock habe die Wahl aufgrund ungleicher Ressourcenverteilung, einem Presseembargo, dem permanenten Ausnahmezustandsregime und den undemokratischen Wahlkampf gewonnen, betont Tiryaki und fährt fort: „Leider erwartet die Türkei, Kurdistan und den Nahe Osten keine gute Zukunft. Seien Sie sicher, wenn wir diese rassistische, frauenfeindliche und kriegstreiberische Politik nicht bekämpfen, erwarten uns noch mehr Krieg und noch mehr Armut.“

Verbotsverfahren war wichtiges Hindernis

Das größte Hindernis für die demokratische Opposition sei das Schließungsverfahren gegen die HDP gewesen, so Tiryaki. Deswegen habe man unter der Verbotsandrohung mit einer neuen Partei in die Wahl gehen müssen. Daher habe es sowohl einen prozentualen als auch einen quantitativen Rückgang der Stimmen für die demokratische Opposition gegeben.

Sozialer Kampf ist Mittelpunkt unserer Politik

Tiryaki stellt angesichts der Hoffnungslosigkeit nach den Wahlen klar: „In keiner Periode der Geschichte wurde die Demokratisierung eines Landes nur durch alle fünf Jahre stattfindende Wahlen erreicht. Alle Freiheiten und die Schaffung einer demokratischen Gesellschaft sind durch Kampf errungen worden, auch wenn der Preis dafür sehr hoch war. Als Partei sind wir uns dessen bewusst. Natürlich haben wir die Wahlen nie unterschätzt, aber wir haben auch nie geglaubt, dass die andauernden Probleme dieses Landes nur durch Wahlen gelöst werden können. Deshalb stellen wir den gesellschaftlichen Kampf auch außerhalb der Wahlen in den Mittelpunkt unserer Politik.

Wir sind nicht in Hoffnungslosigkeit erstarrt“

Über das weitere Vorgehen des Bündnisses für Arbeit und Freiheit berichtet Tiryaki, dass eine Sitzung der Ko-Vorsitzenden und Ko-Sprecher:innen stattgefunden hat, anschließend seien Vertreter:innen der Parteien des Bündnisses zusammengekommen und schließlich die Mitglieder der Parteiräte. Tiryaki sagt: „Der ganze Prozess und die Debatten werden von unseren Parteiräten bewertet werden. Mit Hinblick auf diese Diskussionen werden wir in allen Provinzen und Kreisen, in denen wir organisiert sind, öffentliche Versammlungen abhalten. Wir werden die Kritik und die Vorschläge unserer Institutionen und Bürger:innen aufnehmen. Die politische Bewegung, die wir vertreten, sieht in Kritik und Selbstkritik eine Lebensweise, und wir werden diesen ganzen Prozess im Sinne dieser politischen Lebensweise umsetzen. Niemand soll daran zweifeln, wir werden weiter für die Demokratie kämpfen. Wir werden diesen Kampf in allen Bereichen führen, insbesondere im Parlament. Wir werden die Zukunft, die unsere Völker verdienen, gemeinsam aufbauen, wir sind nie in Hoffnungslosigkeit erstarrt und werden das niemals tun.“