Fatma Koçyiğit: „Wir haben Hoffnung, wir sind nicht ohne Alternative!“

Die seit sieben Jahren inhaftierte kurdische Politikerin Gültan Kışanak tritt in Ankara als Bürgermeisterkandidatin zur Wahl an. Fatma Koçyiğit vom Frauenrat der DEM-Partei beschreibt die große Hoffnung, die Kışanak im Kampf gegen das Patriarchat weckt.

Kommunalwahlen in der Türkei

Am Sonntag sind Kommunalwahlen in der Türkei. Die seit sieben Jahren inhaftierte kurdische Politikerin Gültan Kışanak tritt als Kandidatin für das Amt der Ko-Bürgermeisterin in Ankara aus dem Gefängnis heraus für die DEM-Partei an. Im ANF-Gespräch gibt Fatma Koçyiğit vom Frauenrat der DEM-Partei eine Perspektive auf die bevorstehenden Wahlen und die Wahlsituation in Ankara.


Zur Kandidatur von Gültan Kışanak erklärte Koçyiğit: „Dass wir in Ankara einer Person wie Gültan Kışanak unsere Stimme geben können, freut uns sehr. Aber gleichzeitig hat uns diese Möglichkeit auch eine große Verantwortung auferlegt. Wir sehen Gültan Kışanak nicht als eine Person oder eine Frau an, die man nur auf die Wahlurne reduzieren kann. Aus diesem Grund haben wir sofort eine Reihe von Treffen mit der Koordination der DEM-Frauenrats und anderen befreundeten Frauen organisiert, um zu besprechen, was zu tun ist.

Vor dem 8. März haben wir eine große Frauenversammlung im Kuğulu-Park in Ankara abgehalten, um die Wahlkampagne für Gültan Kışanak zu starten. Alle Frauen, die dort waren, waren restlos begeistert. Sie haben sich viele Projekte ausgedacht und es gab Debatten, wie wir diesen Prozess angehen. Wir tauschten uns darüber aus, wie die Kampagne heißen soll und der Name Mor Dem [lila DEM] ließ Rosen in unseren Herzen erblühen. Natürlich hatten wir bis zu diesem Punkt viele Versammlungen. In Ankara gab es eine große Pressekonferenz sowie eine Frauenversammlung. Wir sprachen darüber, wie diese Kampagne funktionieren kann, und haben entschieden, dass sie nicht nur auf die Wahl beschränkt werden sollte.“

Die Kandidatur von Gültan Kışanak hat uns begeistert

Koçyiğit misst der Kandidatur von Gültan Kışanak in Ankara eine ganz besondere Bedeutung bei. Sie sagte: „Ankara ist ein Ort für eine Lösung. Mit anderen Worten, es ist das Zentrum des Staates. In diesem Sinne war es sehr wichtig, eine Kandidatin wie Gültan Kışanak in Ankara zu haben. Das ist sowohl eine Antwort auf die Politik der Zwangsverwaltung als auch auf den Charakter dieses Ortes. Am Tag nach der Bekanntgabe der Kandidatur von Gültan Kışanak wurden neun Frauen ermordet. An einem Ort, an dem die Gewalt gegen Frauen so sehr zugenommen hat und die Frauenfrage mit Gewalt beantwortet wird, war es wichtig, dass genau sie dort als Kandidatin für eine Lösung der kurdischen Frage antritt. Wir haben den 8. März so organisiert, dass die Kandidatur von Gültan im Mittelpunkt stand. Die Frauenplattform von Ankara hat Gültans Botschaften bei der Demonstration am 8. März mit Begeisterung verlesen. Auch während des feministischen Nachtmarsches wurden Gültans Parolen gerufen und Fotos von ihr getragen. Das hat uns alle sehr begeistert.“

Koçyiğit machte klar, dass damit die Kommunalwahlen in Ankara keine Wahl zwischen zwei Männern seien, sondern es eine Alternative gebe. Sie führte aus: „Für uns als feministische und sozialistische Frauen gibt es keine Wahl zwischen zwei Männern, die Kopien voneinander sind, zwischen einem größeren und und einem kleineren Übel. Wir stehen zwei rassistischen, patriarchalen Männern gegenüber und für uns gibt es bei keinem von beiden eine Lösung. Die Kandidatur von Gültan hat dazu geführt, dass wir diese Wahlatmosphäre auf eine andere Weise erleben. Die Frauen um uns herum, die Feministinnen, die linkssozialistischen Frauen und die Oppositionsgruppen stehen unter großem Druck. Aufgrund der allgemeinen Konjunkturlage herrscht eine Situation des Rückszugs. Aber die Frauenbewegung ist das dynamischste Element in der Türkei. Das gilt sowohl für die kurdische Frauenbewegung als auch die feministische Bewegung in der Türkei, die Frauenbefreiungsbewegung.

Neun Frauen werden an einem Tag ermordet, die AKP/MHP-Regierung greift ständig die Kleidung und die erworbenen Rechte der Frauen an. Wir befinden uns permanent im Kampf gegen diese Angriffe. Wir kämpfen ständig gegen diesen Abgrund der Gewalt, gegen die Angriffe auf unsere Rechte, gegen die patriarchale Mentalität, die uns permanent auf die Familie beschränken und uns sagen will, was wir zu tun haben, die ständig mit dem Finger auf uns zeigt. Wir sehen die Kandidatur von Gültan als einen Schritt, der es uns ermöglicht, aufeinander aufzupassen, uns gegenseitig Kraft zu geben und uns stark zu fühlen.“

Zusammen sind wir sehr stark

Koçyiğit schloss mit den Worten: „Wir haben Hoffnung, wir sind nicht ohne Optionen. Gültan Kışanak, die seit den 1980er Jahren Widerstand geleistet und gekämpft hat, die uns allen auf die eine oder andere Weise wirklich Kraft gegeben hat, ist unsere Kandidatin in Ankara. Gültan begegnet uns mit all unseren Identitäten als Journalistin, Frau, Feministin, Sozialistin, Kurdin und Alevitin. Lasst uns sagen, es ist Zeit für die DEM-Partei in Ankara und lasst uns den Kampf gemeinsam fortsetzen. Wir heißen alle Freundinnen und alle Frauen in Ankara in unserem Wahlbüro willkommen. Gemeinsam sind wir stark, gemeinsam werden wir diese Zeit überwinden und wir werden siegen.“