Karayilan: Rojava muss von allen Kurden verteidigt werden

„Mit dem Angriff auf Rojava sind stellvertretend alle Errungenschaften des kurdischen Volkes im Visier. Die Revolution dort ist aber ein Verdienst aller Kurden. Deshalb muss sie auch von uns allen verteidigt werden“, fordert Murat Karayilan von der PKK.

Als Generalkommandant des Hauptquartiers der Volksverteidigungskräfte HPG (Hêzên Parastina Gel) und Mitglied im Exekutivrat der Arbeiterpartei Kurdistans PKK (Partiya Karkerên Kurdistan) hat Murat Karayilan eine Botschaft an die 19. Generalversammlung des Kurdistan Nationalkongresses (KNK) geschickt, die am Freitag und Samstag in Amsterdam stattgefunden hat.

In der Botschaft hieß es: „Wir halten unsere 19. Generalversammlung in einer Phase außergewöhnlicher Entwicklungen in allen vier Teilen Kurdistans und des Mittleren Ostens ab. Ich spreche allen Teilnehmenden der Zusammenkunft, an der ich aufgrund der Umstände, in denen wir uns derzeit befinden, nicht persönlich teilnehmen kann, meinen Respekt aus. Ich bin überzeugt, dass die Generalversammlung diesen heiklen Prozess richtig analysiert und interpretiert und die für den Freiheits- und Demokratiekampf unseres Volkes zu treffenden Entscheidungen einen wichtigen Beitrag zur Demokratisierung des Mittleren Ostens leisten werden.

Rojava-Revolution ist eine nationale Errungenschaft, deren Verteidigung alle Kurden gewährleisten müssen

Während wir uns dieser Tage unserer Generalversammlung widmen, ist der kurdenfeindliche faschistische türkische Staat bestrebt, mit einer Invasion in Rojava alle Errungenschaften der Autonomieverwaltung von Nord- und Ostsyrien zu beseitigen. Mit Rojava sind stellvertretend alle Errungenschaften des kurdischen Volkes im Mittleren Osten im Visier. Die Kurden sollen wieder einmal für zwischenstaatliche Interessen geopfert werden. Aber dieses Mal werden unsere Feinde keinen Erfolg haben. Das gesamte Volk Kurdistans, unsere Freunde und die internationale Gemeinschaft vereinen sich im Kampf für Rojava und geben dem türkischen Faschismus keine Chance zum Erfolg. Wir sind bereit, jeden Preis für die Freiheit unseres Volkes zu zahlen. Unter der Führung der heldenhaften Völker Nord- und Ostsyriens werden wir mit dem Kampf aller in Kurdistan und außerhalb lebenden Menschen eine neue Geschichte schreiben. Ich glaube, dass die KNK-Generalversammlung dazu beitragen wird, den Kampf für die Revolution von Rojava gegen die Invasionsangriffe des türkischen Faschismus zu festigen und zu stärken. Als KNK sind wir in der Pflicht, alles zu mobilisieren, damit sich die internationale Öffentlichkeit gegen die Besatzung erhebt. Die Revolution von Rojava ist eine nationale Errungenschaft, die Würde unser aller und ein universelles Freiheitsprinzip. Ihre Verteidigung ist die nationale Pflicht eines jeden Kurden.

Einzige Strategie des türkischen Staates: Genozid am kurdischen Volk

Als Befreiungsbewegung Kurdistans sehen wir die Einheit der Kurden als grundlegende Strategie für die Problemlösung im Mittleren Osten, wo ein Dritter Weltkrieg andauert. Im Mittleren Osten werden die Karten neu gemischt – inmitten eines komplexen und facettenreichen Krieges verschieben sich Machtverhältnisse und es entstehen neue Balancen. In der aktuellen Phase ist unklar, wie sich die Situation in Syrien, Irak, Iran und der Türkei entwickeln wird. Das Tauziehen und die Konflikte halten an und es gibt kein Anzeichen dafür, dass der Krieg in naher Zukunft enden wird. Für uns Kurdinnen und Kurden birgt dieser Zustand sowohl Chancen als auch Gefahren. Insbesondere der türkische Staat als Repräsentant der Kurdenfeindlichkeit rüstet sich unter den Bedingungen dieses Dritten Weltkrieges mit allen erdenklichen schmutzigen Methoden, um zu verhindern, dass die Kurden Erfolge erzielen. Wir wissen nur zu genau, dass der türkische Staat nur eine einzige Strategie verfolgt; es ist die Strategie des Genozids am kurdischen Volk und die Ausweitung der Grenzen der Türkei. Dieser Plan betrifft auch Südkurdistan (Nordirak, Anm. d. Red.).

Unter diesem Aspekt sollten sich die Kurden im Klaren darüber sein, dass sie unter den derzeitigen Bedingungen nirgends ihre gewünschten Ergebnisse erzielen können. Sie sollten ihre Einheit als Garant für ihre Erfolge in allen Teilen Kurdistans betrachten und überall den Freiheitskampf aktiv unterstützen. In dieser Hinsicht fühlen wir uns aufgrund des Krieges und der politischen Verhältnisse im Mittleren Osten historisch verantwortlich und richten uns mit unserer Perspektive der nationalen Einheit nicht nur an die kurdische Regionalregierung, sondern an alle kurdischen politischen Parteien. Wir haben in diese Richtung weisende Vorschläge bereits unterbreitet. Ich glaube, dass auch der KNK in dieser Angelegenheit eine sehr wichtige Rolle spielen kann.

Wir sind eine Nation, unser Schicksal hängt von uns allen ab

Einige Kreise fordern, dass die PKK den Krieg nicht nach Südkurdistan tragen soll. Wir betrachten die Errungenschaften in Südkurdistan jedoch auch als unsere Gewinne. Von Şemzînan bis Dersim und von Zagros bis Serhad sind wir überall im Krieg mit dem türkischen Kolonialstaat. Es ist ein harter Kampf. Der türkische Staat behauptet, die Quelle dessen entspringe im Nordirak und greift den Süden an. Wir waren nicht die Seite, die den Krieg nach Südkurdistan gebracht hat. Es war der türkische Staat, der dies tat. Andererseits wäre es falsch, die verschiedenen Teile Kurdistans getrennt voneinander zu behandeln. Gleichermaßen ist es verkehrt, alle vier Teile so zu behandeln, als seien sie gleich und wiesen keine Unterschiedlichkeiten auf. Wir als PKK haben das Kapitel des Brudermords zwischen den Kurden für immer geschlossen, damit es nie wieder aufgeschlagen wird. Auch jetzt gilt dieses Wort. Warum? Weil wir eine Nation sind, unser Schicksal hängt von uns allen ab. Wir glauben, dass alle Parteien der südkurdischen Regionalregierung gemäß dessen handeln sollten. Der kurdischen Presse, Intellektuellen, Schriftstellern, Künstlern und der Zivilgesellschaft fallen hier eine besonders wichtige Rolle zu.

Die Gefahr für unser Volk im Irak ist allgegenwärtig. Von Kerkûk (Kirkuk) bis Şengal werden kurdenfeindliche Pläne im Süden geschmiedet. Die Absicht des türkischen Staates in Kerkûk und anderen Regionen Kurdistans ist die Kontrolle über die im Nationalpakt Misak-i Milli (Territorium des zerfallenen Osmanischen Reichs, Anm. d. Red.) benannten Gebiete. Über diese Pläne spricht die Türkei auch ganz offen. Welche Regionen betrifft dieser Nationalpakt? Südkurdistan und Nordsyrien. Im Iran herrschen schwere innen- und außenpolitische Krisen. In Ost- und Nordkurdistan vertieft sich die Verleumdungs- und Vernichtungspolitik gegen unser Volk von Tag zu Tag. Die schmutigen Bestrebungen des türkischen Staates in Syrien sind ein Dauerzustand, um jeden Fußbreit von Rojava zu besetzen greift er mit allen zur Verfügung stehenden Kräften an. Währenddessen setzt Rojava und Nordostsyrien seinen Kampf gegen aktive Schläferzellen des IS fort.

Dass alle Kolonialstaaten unter Federführung der Türkei auf verschiedenen Ebenen miteinander einen Schulterschluss gegen die Kurden eingehen, ist eine ernste Gefahr. Wir brauchen uns nur eines in Erinnerung bringen: Die Türkei, die Syrien derzeit mit ihren dort organisierten Milizen in ein einziges Ruinenfeld verwandelt, ist die selbe Türkei, die mit dem Baath-Regime kooperiert und Efrîn besetzt hat.

Zwei elementare Gefahren für Kurden

In dieser Phase stehen die Kurden zwei Gefahren gegenüber: Zum einen sind die Kurden gespalten, die nicht vorhandene nationale Einheit ist ein großes Handicap. Wir reduzieren die nationale Einheit auf die Einheit von Parteien. Diese Anschaungsweise müssen wir überwinden. Denn eine Nation besteht nicht nur aus politischen Parteien. Alle politischen, sozialen, ethnischen und religiösen Teile und sogar Persönlichkeiten, die eine Gesellschaft ausmachen, sind Bestandteile der Nation. Daher sollten Initiativen für die nationale Einheit alle Gruppen einschließen und darauf abzielen, sie für eine Reihe von gemeinsamen Prinzipien und Werten zusammenzubringen. Ein auf diesem Verständnis beruhender Ansatz sichert nicht nur eine echte nationale Einheit, sondern erleichtert auch die Zusammenkunft politischer Kräfte.

Das zweite Problem ist, dass die Kurden ihre Sache nicht angemessen auf die internationale Ebene tragen und leider nur unzureichend Beziehungen zu demokratischen und politischen Kräften anderer Völker unterhalten. Denn die Entstehung der kurdischen Frage ist im Grunde ein internationales Problem. Die Verursacher des Problems sind nicht nur die Kolonialstaaten. Die globalen Mächte sind gleichermaßen verantwortlich dafür und ein Teil des gegenwärtigen Problems. Das, was gerade vor sich geht, ist im Grunde ein Beweis dafür. Die globalen Mächte haben schon immer ihr ganzes Gewicht zugunsten der Kolonialstaaten in die Waagschale geworfen. Denn genau das verlangten ihre Interessen. Mit dem kurdischen Befreiungskampf hat sich die Situation verändert. Das imperialistische System schafft in vielen Ansätzen Probleme für die Kolonialstaaten. Es ist wichtig, diese Situation gründlich zu analysieren und auf dieser Grundlage die Beziehungen zu den internationalen Kräften auszubauen. Der KNK sollte in der Lage sein, sowohl die Gefahren des Kolonialismus für das Weltsystem darzulegen als auch die positive Rolle der Kurden, die sie bei der Stabilität und Demokratisierung des Mittleren Ostens spielen können. Dies sollte natürlich nicht auf die staatlichen Eliten beschränkt sein. So wie es in Kurdistan Praxis ist, sollten auch im Ausland direkte Beziehungen zu Gesellschaften entwickelt und proaktive öffentliche Diplomatie betrieben werden.

Öcalan ist Repräsentant aller Kurden

Eine der wichtigsten politischen Aufgaben, die angegangen werden muss, ist die Gefangenschaft und Isolation von Rêber Apo (Abdullah Öcalan, Anm. d. Red.). Der Vorsitzende ist sowohl ein erstrangiger Akteur in Bezug auf die kurdische Frage als auch ein nationaler Wert der Kurden. Keine kurdische Partei und kein kurdischer Patriot sollten gleichgültig gegenüber dieser Politik sein, die einem kurdischen Vordenker wie ihm auferlegt wird. Kein Ansatz ist individuell, jede Herangehensweise an Rêber Apo hat politische Interessen und Konsequenzen. Dies steht in direktem Zusammenhang mit der Lösung der kurdischen Frage. Nicht nur für die Problemlösung in Südkurdistan – Rêber Apos Situation betrifft den Kampf um Freiheit und Demokratie des kurdischen Volkes in allen vier Teilen Kurdistans. Daher sollte sich jeder gleichermaßen in dieser Hinsicht verantwortlich fühlen.

Auf Grundlage dieser Überlegungen, Bewertungen und Vorschläge grüße ich ein weiteres Mal die 19. Generalversammlung des KNK und drücke meine Überzeugung aus, dass sie erfolgreich sein wird. Als Mitglied des KNK bekräftige ich mein Versprechen, meine Pflichten zu erfüllen.“