Kurdische Bevölkerung aus Şehba vertrieben

Nach ihrer Vertreibung aus Efrîn 2018 muss die kurdische Bevölkerung jetzt aus der Şehba-Region vor Massakern durch den türkischen Staat und seine dschihadistischen Söldner fliehen.

Erneut auf der Flucht

Nach dem Kanton Efrîn ist nun auch die Şehba-Region von türkeitreuen Söldnern besetzt worden. Hunderttausende von aus Efrîn vertriebene Kurd:innen müssen erneut fliehen und treffen über einen Fluchtkorridor in den selbstverwalteten Regionen Nord- und Ostsyriens ein, insbesondere in Tabqa. Diese Vertreibungen sind kein Zufall, sondern Teil einer geplanten Demografieveränderung der Region durch „ethnische Säuberung“. Berichten zufolge sank der kurdische Bevölkerungsanteil in Efrîn seit der Besetzung 2018 von 90 Prozent auf bis zu 15 Prozent, mit fallender Tendenz. Hunderttausende Menschen aus Efrîn flohen in die Şehba-Region und hofften dort in 45 Dörfern und Lagern auf baldige Rückkehr nach Efrîn. In der Region Şehba mit etwa 90.000 Einwohner:innen lebten etwa 200.000 Geflüchtete aus Efrîn. Die Region war von der türkischen Besatzungsmacht im Norden und Westen und vom Assad-Regime im Süden abgeriegelt worden. Durch ein Embargo sollten die Menschen aus der trockenen Region vertrieben werden. Doch die Geflüchteten aus Efrîn hielten an ihrem Ziel fest, so nahe an ihrer Heimat wie möglich zu bleiben und den Widerstand gegen Besatzung fortzusetzen. Nun marschierten der Al-Qaida-Ableger HTS (Hayat Tahrir al-Sham) gemeinsam mit protürkischen SNA-Söldnertruppen in der Region ein; mehr als 200.000 Menschen sind erneut auf der Flucht.

Die Befreiungskräfte Efrîns (HRE) hatten nach dem Angriff der Dschihadisten auf Tel Rifat (Tall Rifaat) und Şehba einen Korridor eingerichtet, auf dem sich die Menschen auf den Weg machen. Aufgrund der Angriffe der protürkischen Söldner brach der Korridor am Montagmittag zusammen und unzählige Menschen waren gestrandet. Der Gesellschaftsverband Efrîn hatte am Montagmorgen einen dringenden Warnappell verbreitet. Er berichtete, dass Zehntausende Menschen aus Efrîn aufgrund einer Blockade durch die türkische Armee und ihre Söldner bei eisigen Temperaturen auf der Straße nach Aleppo festsäßen. Der Verband warnte aufgrund der Blockade des Korridors vor einer humanitären Katastrophe. „Dies ist eine weitere Tragödie für die Menschen in Efrîn“, sagte Ibrahim Haftar vom Gesellschaftverband Efrîn gegenüber North Press. „Sie wurden bereits aus ihren Häusern und Dörfern vertrieben, und nun müssen sie eine zweite Vertreibung unter noch schwierigeren Bedingungen ertragen.“

Schließlich gelang es am späten Nachmittag, den Korridor erneut zu etablieren. Hunderttausende versuchen seitdem, die freien Städte Tabqa und Raqqa zu erreichen. Der Volksrat von Efrîn und Şehba war gezwungen, die Flucht aus den vom türkischen Staat und den dschihadistischen Söldnern eingekreisten Gebieten zu organisieren, um die Menschen vor Massakern zu schützen. Mit der Wiederöffnung des Fluchtkorridors begannen insbesondere die Kurd:innen in Lagern in Şehba, die Region zu verlassen.

Elî Îso, Direktor der Organisation der ezidischen Kurd:innen, warnte gestern Morgen auch in Bezug auf die Situation in Aleppo und erklärte: „Es besteht für fast eine halbe Million Kurdinnen und Kurden in den Stadtteilen Şêxmeqsûd und Eşrefiyê in Aleppo und der Region Şehba akute Gefahr. Kurdische Zivilistinnen und Zivilisten sind von schweren Rechtsverletzungen bedroht.“ Îso wies darauf hin, dass es in diesen Regionen fast 5.000 ezidische Kurd:innen gibt und betonte, dass sich die Massaker des IS nicht wiederholen dürften. Die ezidisch-kurdische Bevölkerung ist besonders von den Dschihadisten bedroht und Erinnerungen an den IS-Genozid von 2014 werden wach.

QSD schützen die Bevölkerung

Der Generalkommandant der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD), Mazlum Abdi, erklärte, dass man mit allen relevanten Parteien in Syrien zu kommunizieren versuche, um die Sicherheit der Menschen in Aleppo, Tel Rifat und Şehba zu gewährleisten und sie in sichere Gebiete im Norden und Osten Syriens zu evakuieren. Abdi sagte, dass die QSD aus mehr als einer Richtung angegriffen worden seien, also in einen Mehrfrontenkrieg verwickelt wurden. Das syrische Militär und seine Verbündeten seien vollständig zusammengebrochen, den QSD sei daher allein der Schutz der Bevölkerung zugefallen. Die QSD hätten daher versucht, einen humanitären Korridor zu errichten, um die Flucht vor den Dschihadisten zu ermöglichen. Die Angriffe der von der Türkei unterstützten bewaffneten Gruppen hätten den Korridor jedoch durchtrennt. Abdi führte weiter aus: „Unsere Kräfte haben die Bevölkerung von Aleppo, Tel Rifat und Şehba heldenhaft verteidigt. Wir bemühen uns um einen Dialog mit allen Akteuren in Syrien, um den Schutz unseres Volkes zu gewährleisten und es sicher in unsere sicheren Gebiete zu bringen. Der Widerstand unserer Kräfte zum Schutz der Bevölkerung in den kurdischen Vierteln von Aleppo geht weiter.“

Evakuierungsbeschluss

Der QSD-Sprecher Ferhad Şamî erklärte, dass die Menschen in Aleppo bleiben würden, für Şehba aber die Entscheidung beim Volksrat der Region liege. Am Montagvormittag erklärte der Volksrat von Efrîn und Şehba: „Der türkische Staat und seine Söldnergruppen haben intensive Angriffe auf die Regionen Tel Rifat und Şehba durchgeführt. Während dieser Angriffe leisteten die Befreiungskräfte Efrîns heftigen Widerstand, um unser Volk zu schützen. Um Massaker an der Zivilbevölkerung zu verhindern, haben wir uns entschlossen, die vom türkischen Besatzerstaat und seinen Söldnern belagerten Gebiete zu verlassen. Wir möchten betonen, dass das Verlassen von Şehba nicht bedeutet, dass wir den Kampf für die Befreiung von Efrîn aufgeben. Wir haben in den letzten Jahren alle Schwierigkeiten in den Lagern ertragen und werden unseren Kampf in Zukunft noch energischer fortsetzen. Wir werden uns mit aller Kraft bemühen, unser Land von den Besatzern zu befreien. Wir danken den Befreiungskräften Efrîns dafür, dass sie uns bis zum Schluss beschützt und uns ein sicheres und würdiges Leben ermöglicht haben.“

Exodus aus Şehba

Nach der Erklärung des Volksrats von Efrîn und Şehba begannen die Menschen in den Lagern, die Region zu verlassen. Viele sind mittlerweile in Tabqa und Raqqa eingetroffen.

Quelle: Yeni Özgür Politika