Hatimoğulları: „Demokratie wird organisiert – nicht delegiert“

Bei einem Treffen mit Studierenden in Wan betonte die DEM-Vorsitzende Tülay Hatimoğulları die zentrale Rolle der Jugend für den Aufbau einer demokratischen Gesellschaft. Sie rief zu Bildung, Selbstorganisation und internationaler Solidarität auf.

Jugend als Motor für eine neue demokratische Zivilisation

Bei einem Treffen mit Studierenden in der nordkurdischen Stadt Wan (tr. Van) hat Tülay Hatimoğulları, Ko-Vorsitzende der Partei der Völker für Gleichheit und Demokratie (DEM), die Rolle der Jugend als zentrale Kraft gesellschaftlicher Transformation hervorgehoben. In ihrer politischen Grundsatzrede, gehalten im Aziz-Vural-Saal des Gewerkschaftsverbandes KESK, verwies sie auf die wachsenden globalen und regionalen Krisen und betonte, dass junge Menschen nicht nur Träger der Hoffnung, sondern auch Organisator:innen einer demokratischeren Zukunft seien.

Jugend als Kraft gesellschaftlicher Veränderung

„Jede revolutionäre Bewegung, jede demokratische Erneuerung wurde von der Jugend getragen – in der Türkei wie weltweit“, so Hatimoğulları. „Deshalb ist es kein Zufall, dass autoritäre Systeme gerade dann am härtesten reagieren, wenn sich junge Menschen beginnen zu organisieren.“ Nur mit ideologischer Bildung, kollektiver Bewusstseinsarbeit und praktischer Selbstorganisierung könne diesen Angriffen standgehalten werden.

Die alawitische Politikerin erinnerte an Persönlichkeiten wie Deniz Gezmiş, Kemal Kurkut, Aydın Erdem und Şerzan Kurt, die als Symbole einer widerständigen, progressiven Jugendbewegung gelten. Insbesondere der Anführer der 68er-Bewegung Deniz Gezmiş, der am 6. Mai 1972 zusammen mit seinen Weggefährten Yusuf Aslan und Hüseyin Inan hingerichtet wurde, stehe für ein Erbe, das sowohl die kurdische als auch die sozialistische Jugend inspiriere.

Öcalans Analyse und globaler Kontext

Hatimoğulları stellte die jüngsten politischen Botschaften von Abdullah Öcalan in einen globalen Kontext. „Sein Aufruf für Frieden und eine demokratische Gesellschaft ist nicht isoliert zu betrachten, sondern als Reaktion auf weltweite Entwicklungen zu verstehen – auf Krieg, Klimakrise, soziale Verwerfungen und den Zusammenbruch alter Ordnungssysteme.“

Die gegenwärtige Weltlage, so die DEM-Vorsitzende, sei geprägt von einem tiefgreifenden Systemwandel: Der Kapitalismus befinde sich in einer umfassenden Krise, der Nationalstaat verliere an Legitimation, und mit dem Aufstieg Chinas und anderer Akteure erlebe die Welt eine Verschiebung hin zu einer multipolaren Ordnung.

„Wir stehen an einem zivilisatorischen Wendepunkt. Technologische Umbrüche verändern Produktionsverhältnisse, geopolitische Krisen erschüttern bestehende Machtgefüge – in solchen Momenten entscheidet sich, wer den Wandel gestalten wird.“

Demokratischer Konföderalismus als Alternative

In einem früheren Treffen mit Öcalan habe dieser betont, dass das Zeitalter des Nationalstaats seinem Ende entgegengehe. Als Alternative sehe er das Modell eines demokratischen Konföderalismus: eine dezentralisierte, geschlechtergerechte und ökologische Gesellschaftsform, die auf Basis direkter Demokratie aufgebaut ist.

„Doch dieser Übergang“, so Hatimoğulları, „geschieht nicht von selbst. Er muss organisiert werden. Und wer könnte dies besser tun als eine politisch gebildete, vernetzte, entschlossene Jugend?“

Eine neue internationale Perspektive

Besondere Aufmerksamkeit schenkte sie Öcalans Vision eines neuen internationalistischen Projekts: „In einer Welt multipler Krisen braucht es eine internationale politische Struktur – ob Partei, Bewegung oder Netzwerk –, die jenseits von Nationalismus und Kapitalinteressen agiert.“

Ein solcher Schritt erfordere jedoch einen konkreten Friedens- und Entwaffnungsprozess – und klare politische Zielsetzungen: „Öcalan hat mit uns über die Möglichkeit einer internationalen Organisation gesprochen, die Frieden, Gleichheit und demokratische Selbstverwaltung als universelle Prinzipien vertritt.“

Aufruf zur Selbstorganisation, kulturellen Verteidigung und Bildung

Hatimoğulları appellierte an die anwesenden Studierenden, sich nicht nur als Unterstützende, sondern als aktive Gestalter:innen des Wandels zu verstehen. Die Verteidigung der eigenen Sprache, Kultur und Geschichte sei ebenso Teil des politischen Kampfes wie Bildung, Organisierung und Bewusstseinsarbeit.

„Wenn es in der Jugend einen Bruch gibt, ein Vergessen der Kultur, dann bleibt für kommende Generationen nichts mehr. Jede Lücke in der Organisierung der Jugend ist eine Lücke im Aufbau der demokratischen Gesellschaft“, so Hatimoğulları.

Abschließend betonte sie, dass Demokratie nicht von oben verordnet werden könne – sie müsse von unten wachsen: „Demokratie wird nicht delegiert – sie wird organisiert. Und es ist die Jugend, die das Rückgrat dieser Organisation bilden muss.“

Nach ihrer Rede wurde die Veranstaltung unter Ausschluss der Presse fortgesetzt.