Für Frieden und Freiheit: „Bijî Serok Apo“ in Amed

In Amed hat ein Großaufgebot der Polizei vergeblich versucht, eine Kundgebung für die Freiheit Abdullah Öcalans und eine Lösung der kurdischen Frage zu verhindern. Trotz Verbots und abgesperrter Straßen kamen tausende Menschen zusammen.

Großkundgebung gegen Krieg

Trotz Verbots und eines massiven Polizeiaufgebots sind tausende Menschen am Sonntag in der kurdischen Metropole Amed (tr. Diyarbakır) zusammengekommen, um an der Kundgebung „Widerstand gegen Komplott – Für die Freiheit nach Amed“ teilzunehmen. Die Plattform der demokratischen Initiativen, die politische Parteien wie die DEM und DBP sowie Organisationen der Zivilgesellschaft vereint, hatte zu der Protestveranstaltung aufgerufen, um ein weiteres Mal die Freilassung von Abdullah Öcalan und eine politische Lösung der kurdischen Frage einzufordern. Aus Anlass des Jahrestags des Beginns des „internationalen Komplotts“, wie die kurdische Gesellschaft die Phase vom 9. Oktober 1998 bis zum 15. Februar 1999 bezeichnet, in deren Verlauf der PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan zunächst in Syrien zur Persona non grata erklärt wurde und anschließend eine Odyssee durch halb Europa durchlebte, um schließlich aus Kenia verschleppt und völkerrechtswidrig an die Türkei übergeben zu werden, wo er bis heute in Isolationshaft gehalten wird, sollte „ein deutliches Zeichen“ gesetzt werden.


Der Platz vor dem Einkaufszentrum AZC Plaza im zentralen Stadtteil Ofis, wo die Kundgebung stattfand, war bereits am frühen Morgen weiträumig durch Barrieren und Gitter abgeriegelt worden. Außerdem hatte man nahezu alle Zugänge in den Nebenstraßen mit Panzerwagen und Wasserwerfern gesichert. Die türkische Polizei war mit einem Großaufgebot im Einsatz, um zu verhindern, dass sich Menschen dem Platz nähern konnten. Am Freitag war die Kundgebung vom Gouverneur, einem Beamten der AKP-Regierung kurzfristig verboten worden. Zur Begründung wurde der „Schutz von Recht und Freiheit und die Prävention von Kriminalität“ genannt.

Sternmarsch aus Rezan nach Amed © MA

Auch in verschiedenen anderen Bezirken hatte die Polizei Absperrungen aufgebaut, um Teilnehmende der Kundgebung aufzuhalten. Daraufhin formierten sich mehrere Sternmärsche mit Fußgänger:innen, die auf verschiedenen Routen den Straßenverkehr blockierten und letztlich die Innenstadt erreichten. Am Kundgebungsplatz gab es keine Bühne, die Redner:innen sprachen inmitten der Menschenmenge. Als erste trat die kurdische Politikerin Çiğdem Kılıçgün Uçar, die Ko-Vorsitzende der DBP ist, ans Mikrofon. „Wir sind hier, um der Öffentlichkeit und politischen Führung der Türkei aufzuzeigen: Die ungelöste kurdische Frage ist die Hauptursache für die Abwesenheit von Demokratie in diesem Land und die aggressive, auf Krieg ausgerichtete Politik des türkischen Staates, der eine ganze Region in ein dauerhaftes Pulverfass verwandelt hat. Imrali ist die richtige Adresse für die Lösung dieser Probleme, denn Abdullah Öcalan ist der einzige Akteur mit einem Lösungsplan. Daher gilt es, die die Menschenrechtslage auf Imrali und überall im Land zu verbessern und in einen Friedensprozess für die Lösung der kurdischen Frage überzugehen. Dafür muss die Isolation auf Imrali aufgehoben werden“, sagte Kılıçgün Uçar.

Rechts im Bild: Der Anwalt Rezan Sarıca, der beim letzten Besuch auf Imrali im August 2019 mit Abdullah Öcalan sprechen konnte. Am Mikrofon ist Çiğdem Kılıçgün Uçar  © MA

„Die von Herrn Öcalan ausgestreckte Hand des Friedens ist die Hoffnung dieses Landes“, sagte der DEM-Ko-Vorsitzende Tuncer Bakırhan. Er mahnte: „Doch solange die absolute Isolation auf Imrali andauert, wird die Türkei nicht in der Lage sein, der wirtschaftlichen, politischen und sozialen Krise zu entkommen, in der sie sich befindet.“ Verantwortlich für diesen Zustand sei die Regierung von Recep Tayyip Erdoğan. Diese versuche den Status quo des Krieges aufrechtzuerhalten, um ihre eigene Existenz zu sichern.


„Doch statt die politische und demokratische Lösung der kurdischen Frage als Hindernis für seine Machtpolitik zu betrachten, muss der Staat seine Schutzpflicht der Bevölkerung gegenüber erfüllen und zum Verhandlungstisch zurückkehren. Die ungelöste kurdische Frage sowie die fortgesetzte Isolation auf Imrali stärken den Teufelskreis aus Konflikten und Gewalt, aus dem wir dieses Land führen wollen. Denn die Leidtragenden dieser Kriegspolitik sind die Völker, denen eine Zukunft in einem Umfeld des sozialen Friedens verwehrt wird. Deshalb appelliere ich an das Parlament: Frieden kann nicht durch Isolation erreicht werden. Öffnet die Tore von Imrali. Die DEM ist bereit, ihren Beitrag für Frieden zu leisten.“

DEM-Abgeordnete protestieren mit einem Sitzstreik gegen Straßensperrungen  © MA

Nach weiteren Ansprachen wurde die Kundgebung mit der Parole „Bijî Serok Apo“ (zu Deutsch in etwa „Es lebe der Vorsitzende Apo“, gemeint ist Öcalan) und „Bê Serok jiyan nabe“ („Kein Leben ohne den Vorsitzenden“) beendet. Die Teilnehmenden verließen den Platz lautstark und kämpferisch in geschlossenen Märschen, an mehreren Punkten stürmte die Polizei in die Menge. Die Übergriffe schienen koordiniert und gezielt. So wurde eine Gruppe, in der sich auch die DEM-Abgeordneten Çiçek Otlu und Zülküf Uçar, die sich früher am Tag an einem Sitzstreik beteiligt hatten, sowie der Präsident der örtlichen Rechtsanwaltskammer, Nahit Eren, und mehrere seiner Berufskolleg:innen mit Tränengas und Schlagstöcken attackiert. Mehrere Menschen wurden verletzt; die Anwältin Özüm Vurgun, die Mitglied der Juristenvereinigung ÖHD ist, brach sich einen Arm. An anderer Stelle stürmte die Polizei in eine Gruppe, in der sich mehrere Journalist:innen und Aktivistinnen der Initiative der Friedensmütter befanden. Diese hatten laut gegen die versuchte Festnahme mehrerer Jugendlicher protestiert. Wie die Nachrichtenagentur Mezopotamya (MA) meldete, wurden ihre Reporterin Ceylan Şahinli und die „Friedensmutter“ Aklime Hanas bei dem Vorfall leicht verletzt.