Ezidische Gemeinschaft feiert am Mittwoch Çarşema Sor

Die ezidische Gesellschaft begeht am 14. April ihr Neujahrsfest „Çarşema Sor“. Es erinnert an die Schöpfung der Erde, die nach ezidischer Überlieferung an einem Mittwoch vollendet wurde, und die Einheit des Menschen und der Natur.

Die ezidische Gesellschaft begeht am 14. April den „Çarşema Sor“, der den Jahresbeginn darstellt. Es ist einer der wichtigsten und ältesten Feiertage der Ezidinnen und Eziden und erinnert an die Schöpfung der Erde und die Einheit des Menschen und der Natur. Sobald an diesem Tag die ersten Sonnenstrahlen auf die Erde treffen, beginnt das neue Jahr und das Leben erwacht aus seinem Winterschlaf.

Nach der ezidischen Überlieferung ist die Schöpfung der Erde an einem Mittwoch vollendet worden. Der Legende nach sollen dabei zum ersten Mal Sonnenstrahlen die Erde berührt und diese in ein rötliches Gewand gehüllt haben – daher auch die Namensbezeichnung „Roter Mittwoch“. Ferner glauben die Ezid*innen daran, dass das Oberhaupt der sieben ezidischen Erzengel, Tawisî Melek (dt. „Gottes Engel“), an diesem Tag erstmals auf die Erde hinabgestiegen ist, um mit Gottes Auftrag die Erde für alle Lebewesen bewohnbar zu machen.

Mittwoch bei Eziden Ruhetag

Des Weiteren glauben die Ezidinnen und Eziden daran, dass sich am Çarşema Sor die sieben Erzengel in einem Heiligen Rat mit Gott zusammentreffen, um über das anstehende Jahr zu beraten. Tawisî Meleks Aufgabe als oberster Erzengel ist es, die Beschlüsse des Dîwans, so der Name des Rates, für das kommende Jahr zu vollziehen. Nach ezidischer Vorstellung sind an diesem Tag „die Tore der Glückseligkeit vom Westen bis zum Osten geöffnet“. Da Tawisî Melek an jedem Mittwoch zur Erde kommt, um Segen zu spenden und Glückseligkeit zu verbreiten, gilt die Mitte der Woche der ezidischen Gemeinschaft als Ruhetag, ähnlich dem Sonntag für christliche Gläubige.

Tradition des Eierbemalens

Am Roten Mittwoch stehen die Menschen früh auf und beten der Sonne zugewandt für alle Lebewesen. Die Häuser werden anlässlich des Neujahrsfestes geputzt, die Hauseingänge mit Blumen geschmückt und die Fenster mit bunt bemalten Eiern versehen. Die Tradition des Eierbemalens stammt noch aus der babylonischen Zeit und unterstreicht die alten, vorchristlichen Wurzeln des Ezidentums. Das Ei hat dabei eine besondere Bedeutung: Nach der ezidischen Kosmogonie hat Gott die Welt in der „embryonischen“ Form einer weißen, makellosen Perle erschaffen, die Ähnlichkeiten mit dem Ei hat. Gott lässt die weiße Perle, die den geistigen Urzustand symbolisiert, zerplatzen und formt aus ihren Trümmern die Bestandteile der Welt. Das Ei symbolisiert die Materie, aus der alles Irdische erschaffen ist. Es versinnbildlicht den mit der irdischen Schöpfung einhergehenden Beginn des Lebens. Die Schalen dieser Eier verteilen die Ezidinnen und Eziden noch heute in der Heimat auf ihren Ackerflächen in der Hoffnung, eine ertragreiche Ernte zu erzielen.

Bedeutung

„Çarşema Sor“ ist kurdisch und bedeutet „roter Mittwoch“. „Çarşem“ besteht aus den kurdischen Wörtern „çar“ für vier und „şem“ für Woche, damit ist der „vierte Tag der Woche“ gemeint, der der Mittwoch ist. „Sor“ bedeutet rot. Der Tag wird auch als „Sersal“ (kurdisch „ser“: auf, Kopf und/oder oben; und „sal“: Jahr) begangen, sinngemäß das „Neujahr“.

Neujahrszeit

Das ezidische Neujahr wird am ersten Mittwoch im April gefeiert, was nach ezidischem Kalender stets auch der erste Tag im Monat April und des neuen Jahres ist. Da der ezidische Kalender dem in Deutschland gültigen gregorianischen Kalender um 13 Tage nachgeht, wird das Neujahrsfest am ersten Mittwoch im Monat April gefeiert, der zum oder nach dem 14. April im gregorianischen Kalender anfällt. Im Kurdischen heißt der Monat April „Nîsan“. Der erste Tag im Monat „Nîsan“ ist der „Çarşema Sor“.

Nur Engel heiraten im April

In diesem Monat findet traditionell keine Hochzeit statt, diese Tradition wird bis heute, auch in der Diasproa, weitgehend eingehalten. Nach ezidischer Mythologie ist es nur den Engeln vorbehalten, im April zu heiraten. Der Monat April, Nîsan genannt, wird bei den Ezidinnen und Eziden daher auch als „Bûka salê“ (dt. Braut des Jahres) bezeichnet. Auch soll der Boden, Acker und Weiden, nicht bewirtschaftet werden, damit die Natur sich erholen kann.

Tausende Çira-Lichter in Laliş

Im zentralen Heiligtum Laliş in Êzîdxan entzünden die Angehörigen der ezidischen Gemeinschaft am Abend tausende heilige Lichter, Çira genannt, mit denen sie das Neujahr in Empfang nehmen. Licht beziehungsweise die Sonne ist im Ezidentum eines der heiligsten Symbole. Würdenträger verteilen zuvor die Bazinbar genannten Frühlingsarmbänder, die traditionell in den Farben Rot und Weiß sind. Sie sollen den Träger vor Unglück und Krankheit bewahren und dürfen nicht abgelegt werden. Sobald das Bazinbar von alleine abfällt, darf der Träger sich etwas wünschen.

Çarşema Sor ist von Newroz, dem kurdischen Neujahrs- und Frühlingsfest, das am 21. März eines jeden Jahres von zahlreichen Völkern und religiösen Gruppen im Nahen- und Mittleren Osten und Zentralasien gefeiert wird, auch von Ezid*innen, zu unterscheiden.