„Dialog” - Die Geschichte von Besna und eine Reise nach Rojava

Vor zehn Jahren schloss sich der Bruder des Filmemachers Selim Yıldız der kurdischen Guerilla an. Lange Zeit hörte die Familie nichts von ihm, bis Selim Yıldız eines Tages erfährt, dass sein Bruder in Rojava gegen den IS kämpft.

Vor etwa zehn Jahren verließ der Bruder des Dokumentarfilmemachers Selim Yıldız die elterliche Wohnung und kehrte nicht zurück. Nach einiger Zeit erfuhr die Familie, dass sich der verschollene Sohn der kurdischen Guerilla angeschlossen hat und noch lebt. Daraufhin gab Selim seiner Mutter Besna ein Versprechen: Eines Tages werden sich seine Mutter und sein Bruder wiedersehen. Vor ungefähr zwei Jahren erreichte die Familie eine weitere Nachricht: Selims Bruder ist in Rojava und kämpft gegen den Islamischen Staat. So beginnt die Reise nach Rojava.

Wird Besna ihren Sohn wiedersehen?

Obwohl sie wissen, dass die Grenzübergänge nach Rojava geschlossen sind, machen sich Selim und seine Mutter Besna auf den Weg. Vielleicht ist es die letzte Möglichkeit für sie, ihren Sohn und Bruder lebend zu sehen.

Nach einer langen und gefährlichen Reise in Südkurdistan angekommen, beginnt ihr Weg nach Rojava.

Wird es Selim und seiner Mutter gelingen, inmitten eines gnadenlosen Krieges in Rojava anzukommen? Wird Besna nach zehn Jahren der Sehnsucht ihren Sohn in die Arme schließen können?

Die Last des Krieges tragen immer die Mütter

Der Filmemacher Selim Yıldız erzählt, dass die Entscheidung zu diesem Film für ihn sehr schwierig war. Den Entschluss habe er letztendlich gefasst, weil er nicht nur die Geschichte seiner Mutter erzählen wollte, sondern die Geschichte Tausender kurdischer Mütter, die die gleiche Sehnsucht verspürten. Während Besna wenigstens die Chance habe, ihren Sohn wiederzusehen, könnten viele andere Mütter nicht einmal das Grab ihrer Kinder finden.

Dieser Film soll zur Stimme aller Mütter werden, die die Lasten des Krieges tragen

Der Dokumentarfilmemacher Selim Yıldız erzählt in seinem dritten Film mit dem Titel „Dialog“ nicht nur die Geschichte seiner Mutter. Es ist es auch die Geschichte eines Sohnes, eines Bruders und ein Auszug der Reise des Regisseurs selbst.

Nicht nur ein Film: Meine Sehnsucht, mein Kummer, mein Schmerz

Im Gespräch mit der Zeitschrift Gaia sagt Selim Yıldız über seinen neuen Film „Dialog“: „Für die Zuschauer mag ‚Dialog‘ nur eine Reise darstellen. Für mich steht der Film jedoch für meine Sehnsucht, meinen Kummer, mein Leid und meinen Schmerz.”

Weiter erklärt der Regisseur: „Dialog ist nicht einfach ein Film für mich. Sowohl jetzt als auch in der Zukunft ist es eine Geschichte, die mein Leben durcheinanderbringt und mich kaum schlafen lässt. Alle Aufnahmen, die wir gemacht haben, habe ich mir gemerkt. Ich benötige keine Kopie. All das Erlebte ist in meinem Kopf und ich werde es wieder und wieder erleben. Manchmal wünsche ich mir, es gäbe die Möglichkeit, das eigene Gedächtnis zu löschen. Denn ‚Dialog‘ hat mein gesamtes Leben zerstört. Vielleicht ist es für andere nur eine wahre Geschichte, für mich jedoch wird es immer Schmerz bedeuten.“

Im Gegensatz zu den Filmen „29“ und „Bîra Min Tête“ (Ich erinnere mich) sehen wir in „Dialog“ diesmal die persönliche Geschichte von Selim Yıldız, seiner Mutter und vielen anderen Müttern und Familien.

Als Selim seinen Film „29“ drehte, lernte er einen kurdischen Guerillakämpfer kennen, dessen Dorf, als er 13 Jahre alt war, niedergebrannt und zerstört wurde. Der Guerillakämpfer ist bereits seit 22 Jahren in den Bergen und hat während dieser Zeit kein einziges Mal seine Mutter sehen können. Eigentlich hatte Selim vor, die Geschichte dieses Guerillakämpfers zu erzählen, doch die Umstände erlaubten es nicht. Als sich Selims Bruder dann als 18-Jähriger der Guerilla anschließt, entsteht so langsam das Grundgerüst für den jetzigen Film.

„Jahrelang habe ich meiner Mutter versprochen, sie eines Tages zu ihrem Sohn zu bringen. Als ich dann die Geschichte des anderen Guerillakämpfers nicht erzählen konnte, fragte ich meine Mutter, ob wir nicht einen Film aus unserer Geschichte, stellvertretend für viele weitere, machen könnten. Sie willigte sofort ein.

Als sie uns vom Grenzübergang Sêmalka [an der Grenze zwischen Südkurdistan und Rojava] wieder wegschickten, haben wir gar nicht mehr an den Film gedacht. Wir haben einfach nur Wege gesucht, um unserer Sehnsucht ein Ende zu bereiten. Das waren Routen, die andere nicht als Wege bezeichnen würden. Es ist eine Landschaft voller Sümpfe und vielen Schwierigkeiten und Gefahren, es würde nicht enden, wenn ich anfangen würde davon zu erzählen. Ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, denn vor uns lagen Wege, die durchaus zum Tod führen konnten. Doch die Sehnsucht meiner Mutter und auch meine eigene waren einfach zu groß. Wie wahrscheinlich ist es denn, den Bruder, der im Kriegsgebiet lebt, noch einmal zu sehen?“

Die große Angst

Selim erwähnt, dass seine größte Angst war, seine Mutter oder seinen Bruder zu verlieren. Bewusst wurde ihm das, als sie durch Gebiete im Irak fuhren, die von Hashd-al-Shaabi-Milizen und dem Islamischen Staat kontrolliert wurden. Er sagt, er wünsche sich, dass es keine Grenzen gebe und er keine Filme drehen müsse, deren Geschichten inmitten von Grenzen erlebt werden.

Wie bei den meisten kurdischen Filmemacher*innen ist es auch bei Selim eine Kostenfrage, den Film fertigzustellen. Außerdem ist er von Zensur und Repression bedroht. Sein Film „Bîra Min Tête“ (Ich erinnere mich) wurde auf dem 27. Internationalen Filmfestival von Ankara zensiert. Deshalb wird Selim „Dialog“ nicht in Ankara einreichen und sich lieber auf europäische Filmfestivals konzentrieren.