Am 8. Mai, dem Tag des Widerstands und des Zorns, der Tag, an dem 1945 die deutsche Wehrmacht kapitulierte und der Albtraum des Nationalsozialismus vorbei war, organisierten Aktivist*innen der Kampagne RiseUp4Rojava und der Kiezkommune 44 eine Spurensuche durch Berlin-Neukölln. Sie besuchten Orte, an denen Berliner*innen Widerstand gegen das Naziregime geleistet hatten, um ihrer zu gedenken und ihre Geschichten kennenzulernen. An den einzelnen Stationen wurden Texte über die mutigen Antifaschist*innen vorgelesen, Lieder gesungen, Kerzen angezündet und Blumen niedergelegt.
Kommunistische Jugendinternationale und Anarchisten-Lokal
Die Spurensuche begann in der damaligen Zietenstraße, heute Werbellinstraße, wo im Jahr 1919 die kommunistische Jugendinternationale gegründet wurde: in einem dunklen Hinterzimmer der damaligen Kneipe „Wilhelm Müller“. Wilhelm Müllers Kneipe war Treffpunkt und zweite Heimat der revolutionären Arbeiter*innen Neuköllns.
Zugleich befand sich in derselben Straße das Anarchisten-Lokal Köhler, ein bekannter Treffpunkt in Berlin, der eine wichtige Rolle als Raum der anarchistischen Berliner Arbeiterbewegung spielte.
Wohnungen ermordeter Widerstandskämpfer*innen
Von da aus ging es weiter zu dem Haus, in dem Olga Benario lebte, die durch die Anführung des bewaffneten Überfalls auf den Gerichtssaal im Moabiter Gefängnis und die daraus folgende Befreiung Otto Brauns, der wegen Hochverrat angeklagt war, zum Star der Kommunistischen Jugend in Neukölln wurde.
Weitere Orte waren die ehemaligen Wohnorte von Else Linke, Willy Kolbe, Grete Walter, Irmgard und Benno Heller und die ehemalige KZ-Außenstelle in der Sonnenallee.
Anarchismus in Neukölln
Fritz Scherer, ein Original aus Neukölln, wurde nach der Machtergreifung der Nazis wegen „staatsfeindlicher Flugblätter“ verhaftet. Er überlebte den Nationalsozialismus und mit ihm zusammen seine umfangreiche Sammlung anarchistischer Klassiker von Bakunin, Kropotkin, Mühsam, Rocker und anderen, die er in politisch unverdächtigen Einbänden fasste und die somit die politische Zensur überstanden. Ihm ist es unter anderem zu verdanken, dass wir heute diese wertvollen Schriften noch lesen können. Er wohnte auch nach 1945 noch Jahrzehnte in Berlin-Neukölln.
Reformpädagogik in Neukölln
Das heutige Ernst-Abbe-Gymnasium, welches sich in einem roten Backsteingebäude auf der Sonnenallee befindet, beherbergte in der Weimarer Zeit die Karl-Marx-Schule, eine der bedeutendsten Berliner Reformschulen. Fritz Karsen entwickelte und erprobte neue Lehr- und Lernformen und die Einführung von Abiturkursen für Arbeiter*innen.
Die Schule der werdenden Gesellschaft, wie sie Karsen vorschwebte, sollte eine Arbeits- und Gemeinschaftsschule für die gesamte Bevölkerung sein, deren Lehrplan von Lebensgebieten statt Stoffkomplexen ausgehen sollte. Der Schulleiter Fritz Karsen wurde mitten aus einer mündlichen Abiturprüfung von Nazis abgeholt und bekam ein Arbeitsverbot.
Das neue nationalsozialistische Kollegium sollte „die Ordnung wiederherstellen und die Schüler disziplinieren“. Es gelang jedoch nur sehr begrenzt, aus den ehemaligen Schüler*innen Nationalsozialist*innen zu machen. Viele emigrierten oder wurden aktive Widerstandskämpfer*innen.
Deutsche PKK-Guerillakämpferin
Der Abschluss fand am Gedenkstein für Almuth Sarah Handelmann (Sara Dorşîn) statt, die im vergangenen Jahr ihr Leben in den Bergen Kurdistans im Kampf gegen den türkischen Faschismus und für ein freies Leben verlor.
Die Kampagne RiseUp4Rojava dazu: „Sarah gilt für uns als Vorbild. Sie ging in die Berge Kurdistans, um für die Menschlichkeit zu kämpfen und war dabei so entschlossen, dass sie für die Erlangung eines freien Lebens sogar den Tod in Kauf nahm. Wir werden Sarah nicht vergessen und dafür sorgen, dass aus den Samen, die sie zeitlebens gestreut hat, blühendes Leben wachsen wird und ihre Träume verwirklicht werden.“