Freiheit für alle politischen Gefangenen – Weg mit §129!

Zum internationalen Tag für die Freiheit politischer Gefangener am 18. März haben Solidaritätsaktionen in Kassel, Berlin, Hamburg, Weimar und Heilbronn stattgefunden.

1923 erklärte die Rote Hilfe den 18. März zum „Internationalen Tag der Hilfe für die politischen Gefangenen“. Der 18. März ist dabei kein zufälliges Datum, sondern erinnert an den Aufstand der Pariser Kommune im Jahr 1871. In mehreren Städten in Deutschland haben am Samstag Demonstrationen in diesem Kontext stattgefunden, so auch in Kassel, Berlin, Hamburg, Weimar und Heilbronn.

Demonstration und Newroz-Feuer in Kassel

 

In Kassel gingen zahlreiche Menschen mit der Forderung „Freiheit für alle politischen Gefangenen“ auf die Straße. Auf einem Transparent wurde die Abschaffung des PKK-Verbots gefordert. Die Demonstration begann am Rathaus und führte zum Nordstadtpark, wo mit einem Feuer Newroz gefeiert wurde.

 

Berlin: Freiheit für alle politischen Gefangenen – Weg mit §129!

In Berlin fand eine Bündnisdemonstration statt, auf der Freiheit für alle politischen Gefangenen und die Abschaffung des Paragrafen 129 StGB gefordert wurde. Bei der Aktion wurde auf die Situation von Gefangenen aus verschiedenen Ländern und der antifaschistischen Bewegung in Deutschland aufmerksam gemacht. Die Demonstration führte von Neukölln nach Kreuzberg.

 

Demonstration in Hamburg

In Hamburg gingen etwa 350 Menschen für die Freiheit der politischen Gefangenen auf die Straße. Vom Gängeviertel ging es unter dem Motto „Free them all – Gemeinsam gegen Repression und autoritäre Formierung – „Weg mit §129!“ am Untersuchungsgefängnis Hostenglacis vorbei bis zur Roten Flora. Vor allem Antifagruppen hatten zur Demonstration zum Tag der politischen Gefangenen aufgerufen, ebenso auch die kurdische Bewegung in Hamburg. Sie war mit Flaggen der YPJ und grün-gelb-roten Fahnen vertreten. Die Polizei monierte zunächst die YPJ-Fahnen, ließ die Demonstration jedoch dann ziehen.

In Redebeiträgen wurde auf die Verfahren gegen die Antifaschist:innen Lina, Jo, Dy und Findus hingewiesen. Immer wieder wurde die Parole „Wir sind alle 129a“ gerufen. „Wir sind alle Antifas – Freiheit für Lina, Findus, Jo und Dy!“ forderten die Aktivist:innen und wiesen auf die Repression gegen die antifaschistische Bewegung hin: „In Dresden etwa steht Lina vor Gericht, der vorgeworfen wird, zusammen mit anderen Antifas mehreren Nazis das Leben schwer gemacht zu haben. Jo, Dy und Findus sitzen für ihre antifaschistische Praxis hinter Gittern. Wir lassen niemanden allein und stehen hinter allen, die wegen ihrer antifaschistischen Praxis von der Polizei verprügelt, von Ermittlungsbehörden überwacht oder von Gerichten in den Knast gesperrt werden! Repression soll einschüchtern, doch wir lassen uns nicht abschrecken: Konsequenter Widerstand ist notwendig!“

Nach Paragraf 129b StGB (Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung) befinden sich derzeit zwölf kurdische Aktivist:innen in deutschen Gefängnissen in Untersuchungs- oder Strafhaft. Eine Vertreterin des kurdischen Vereins erklärte die Hintergründe der Verfolgung von Kurd:innen in Deutschland in einem Redebeitrag vor dem Gefängnis: „Der seit über vierzig Jahren andauernde Konflikt zwischen der kurdischen Befreiungsbewegung und dem türkischen Staat wird in Deutschland unter dem Blickwinkel des §129b allein der kurdischen Befreiungsbewegung angelastet. Zwar wird das aggressive Vorgehen des türkischen Staates gegen Kurdinnen und Kurden auch von den Oberlandesgerichten inzwischen kritisiert und das politische Engagement der Angeklagten durchaus anerkannt, doch ändert sich für die Betroffenen dadurch nichts. Sie werden trotzdem zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Diese Haltung ist zynisch.“ Die Rednerin forderte die Abschaffung des seit 1993 bestehenden PKK-Verbots und der Paragrafen 129 und 129a/b StGB.

Von den Zellen des Gefängnisses kamen Rufe wie „Bijî Kurdistan“, die Gefangenen und die Demonstration grüßten sich mit Parolen und Winken. Die Demonstration endete im Hamburger Schanzenviertel an der Roten Flora.

Befremdlich wirkte der Hintergrund der vom ehemals linken Szeneviertel zum „Ausgehviertel“ mutierten Schanze mit unzähligen Cafés und Kneipen, in denen Leute eher erstaunt auf die fast schon anachronistisch wirkende Demonstration blickten. „Vor einem kurdischen Nobelrestaurant zeigten in der Schlange anstehende Menschen das Victory-Zeichen, ohne sich jedoch wirklich solidarisch zu zeigen und sich der Demonstration anzuschließen. Vor dieser gespenstisch wirkenden Szenerie wurde deutlich: Es gibt es noch viel Arbeit, um die Verbindung zu den politischen Gefangenen und der Bevölkerung wieder herzustellen“, kommentierte eine Aktivistin.

Kundgebung in Heilbronn

Auf dem Kiliansplatz in Heilbronn fand eine Kundgebung statt, an der sich die Ortsgruppe Rote Hilfe, das Kurdische Gesellschaftszentrum, Kollektiv 74, Letzte Generation, Heilbronn4Future, iranische Aktivist:innen und DIE LINKE beteiligten. Es nahmen etwa sechzig Menschen teil. Ein Schwerpunkt der Protestaktion war die Kriminalisierung der Klimagerechtigkeitsbewegung. Die Kundgebung begann mit einer Schweigeminute für alle ermordeten politischen Gefangenen, und auch für die sieben Kurd:innen, die am 17. März in Ûrmiye im Iran hingerichtet wurden. Das Bündnis forderte Freiheit für alle politischen Gefangenen und erklärte: „Klimagerechtigkeit, der Kampf für Frieden, Geschlechterbefreiung und Entmilitarisierung sowie die Forderung nach offenen Grenzen ist nicht kriminell!“

Die Ortsgruppe Rote Hilfe ging in einem Redebeitrag auf die Wichtigkeit der Solidarität ein, die Gefangene in Zeiten der Inhaftierung brauchen, und wie diese Solidarität sich über die Gefängnismauern hinweg erstreckt. Im Anschluss an die Rede wurde ein Grußwort von einem langjährigen Inhaftierten aus Freiburg vorgespielt.

In einem Redebeitrag des Kurdischen Gesellschaftszentrums wurde die Repression aus migrantischer Sicht beleuchtet und die zunehmende Kriminalisierung der Kurd:innen zur Sprache gebracht: „Auch die Kriminalisierung der Kurd:innen hierzulande ist ein Paradebeispiel für antidemokratische Bestrebungen. Die Gleichung Kurde = PKK = Terror zeigt eine klare Haltung des deutschen Staates gegenüber den Kurd:innen. Kurd:innen sind nicht existent, und wenn doch, dann nur als Terroristen. Um das offiziell zu legitimieren, braucht es das Bild des bösen Kurden. Diese Vorgehensweise soll signalisieren, dass die deutsche Politik mit ihrem antikurdischen, antidemokratischen Kurs fest an der Seite des faschistischen türkischen Regimes steht. Und es ist klar, dass die Repression gegen die kurdische Befreiungsbewegung und Kurd:innen in Deutschland unabhängig von den Parteikonstellationen der jeweiligen Bundesregierung ist. Auch Nancy Faeser als unsere aktuelle Bundesinnenministerin knüpft nahtlos an die Politik ihres CSU-Amtsvorgängers Horst Seehofer an. Bei Amtsbesuchen spricht man von Verhältnismäßigkeit statt von Kriegsverbrechen des NATO-Partners Türkei. Das gleiche gilt auch für Außenministerin Annalena Baerbock, die mit ihrer selbsternannten feministischen Außenpolitik mit Diktatoren zusammenarbeitet, deren Aufrechterhaltung darauf basiert, eine femizidale Politik zu betreiben, Frauenmördern einen Freifahrtschein zu gewähren und völkerrechtswidrig Kriege zu führen. Auch sehen wir sehr deutlich an der Beitrittsverhandlung von Schweden und Finnland in die NATO, wie Kurd:innen zum Spielball von Machtinteressen gemacht werden.“

Ein Aktivist der Letzten Generation erklärte: „Klimagerechtigkeit ist kein Verbrechen. Der Widerstand und der Kampf der Klimaaktivist:innen ist legitim, denn unsere Regierung fährt unseren Planeten an den Rand. Nicht einmal die minimalsten Ziele des Pariser Abkommens werden hierzulande eingehalten, deswegen ist unser Kampf umso wichtiger. Mit aller Macht wird versucht, unsere Aktionen zu verleumden und als Akt des Terrors abzustempeln. Wir sind nicht kriminell und wir können später unseren Kindern und den Menschen erzählen, dass wir uns für eine bessere und klimagerechte Welt eingesetzt haben.“

Die vierte Rede hielt eine Aktivistin von Kollektiv 74 im Namen iranischer Freund:innen. „Die Parole Jin-Jiyan-Azadî hat Welten verändert!“, erklärte die Rednerin und führte aus: „Seit dem Tod Jina Amini am 16. September gehen die Menschen – allen voran die Frauen – und sogar dreijährige Kinder Hand in Hand ununterbrochen auf die Straßen. Obwohl bereits Hunderte vom iranischen Regime getötet worden sind, 25.000 der Tod durch Hinrichtung droht und obwohl die Gefahr täglich größer wird, gehen sie ununterbrochen und mit einer noch entschlosseneren Haltung und Stimme auf die Straßen. Und warum? Warum all dieser Mut, wenn doch der Tod so nah ist? Weil es um weit mehr geht als nur um die Haare der Frauen. Es ist ein Kampf und Aufbegehren der Frauen gegen die Unterdrückung! Auch ist es ein Kampf der unterdrückten Völker, wie der Kurden, Loren, Turkmenen und Belutschen, um ihre Existenz! Es ist eine feministische Revolution und der Slogan dieser Revolution lautet Jin-Jiyan-Azadî. Das ist Kurdisch und bedeutet Frauen-Leben-Freiheit! Jin-Jiyan-Azadî ist die Grundlage, die Leitidee und die Parole der kurdischen Freiheitsbewegung. Jin und Jiyan, also Frau und Leben, stammen von der gleichen Wortwurzel ab und symbolisieren den engen Zusammenhang zwischen der Bedeutung der Frau und dem Leben. Azadî bedeutet Freiheit. Es heißt, dass eine Gesellschaft nur so frei sein kann, wie es die Frauen in dieser Gesellschaft sind. Zu erwähnen ist auch hier, dass diese Parole in Deutschland kriminalisiert wird. Seit Jahren werden Menschen für diesen Kampf, für diese Parole kriminalisiert, verfolgt und ermordet. Heute sehen wir, wie unseren Bundesinnenministerin und Außenministerin diese Parole benutzten und auf einmal scheint sie nicht kriminell zu sein. Und warum? Weil sie nicht von Migrantinnen gerufen wird!“

Die letzten Reden hielten Heilbronn4Future und die MLDP. Am Rande der Kundgebung wurden Gespräche mit interessierten Passant:innen geführt und es wurden weitere Informationsschriften verteilt.

Demonstration in Weimar

In Weimar versammelten sich etwa hundert Menschen zum internationalen Tag der politischen Gefangenen, um für deren Freiheit zu demonstrieren und Solidarität zum Ausdruck zu bringen. Verschiedene demokratische Bewegungen machten gemeinsam auf die anhaltenden Repressionen des deutschen Staates aufmerksam und forderten die Freilassung derer, die gegen Faschismus und für eine klimagerechte, emanzipatorische, demokratische Welt kämpfen.

Die Initiative Gemeinsam Kämpfen Jena informierte in einem Redebeitrag über die Situation inhaftierter Kurd:innen und erklärte: „Der deutsche Staat wirkt aktiv mit an der systematischen Repression und Kriminalisierungspolitik gegen Kurd:innen. Wir fordern die sofortige Aufhebung des PKK-Verbots und die Freilassung von Abdullah Öcalan, der seit dem 15. Februar 1999 in Isolationshaft auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali inhaftiert ist."

Außerdem wurde auf die Situation von Frauen und Queers in den Gefängnissen aufmerksam gemacht und die strukturelle Gewalt an Frauen und nicht-binären Körpern durch das patriarchale System des Staates als historisch systematisch eingesetzte Waffe benannt. Es wurde dazu aufgerufen, den Widerstand der Gefangenen niemals zu vergessen und in den eigenen Kämpfen jeden Tag weiterzutragen.

Während der Demonstration wurde außerdem von Feminista Thüringen auf die aktuelle Situation und die brutalen Gewalt gegen politisch protestierende Frauen und queere Menschen im Iran und Rojhilat durch das Mullah-Regime aufmerksam gemacht und die strukturelle Unterdrückung von
ethnischen Minderheiten wie den Belutsch:innen und Kurd:innen benannt.

In weiteren Redebeiträgen wurde auf den aktuellen Stand des Antifa-Ost-Verfahrens hingewiesen und damit einhergehend die strukturelle Kriminalisierung von antifaschistischem Widerstand und die Verzahnung polizeilicher Strukturen mit rechtsextremistischer Organisierung kritisiert.