Der globale Krieg in Syrien und die Bedeutung Efrîns
Kolumne: Der globale Krieg in Syrien und die Bedeutung Efrîns für den demokratischen Aufbruch.
Kolumne: Der globale Krieg in Syrien und die Bedeutung Efrîns für den demokratischen Aufbruch.
In den letzten sieben Jahren des syrischen Bürgerkriegs haben die Kurdinnen und Kurden zusammen mit anderen Volksgruppen erfolgreich diverse islamistische Gruppen bekämpfen können. Ob der IS oder die al-Nusra, die militärischen Stellvertreter von Staaten wie der Türkei oder Saudi-Arabien konnten trotz verschiedener Formen der Unterstützung durch ihre Herren in Nordsyrien keinen Fuß fassen. Nun fällt der Vorhang, die Unterstützer-Staaten greifen selbst ein.
Ein grober Umriss der letzten sieben Jahre hinsichtlich der Akteure des Krieges und ihrer Lösungsoptionen für Syrien: In Syrien sind derzeit militärische Einheiten von über 65 Staaten aktiv. Die einen mit eigenen Truppen, wie zum Beispiel die USA oder die Türkei, die anderen mit ihren Geheimdiensten oder einzelnen Militärberatern. Die US-geführte Anti-IS-Koalition allein umfasst 67 Staaten, daneben sind Russland und der Iran zu nennen. Wo der westliche Block sunnitisch-islamistische Gruppen unterstützte, unterstützt der Block um Russland den arabisch-nationalistischen Zentralstaat des Assad.
Der dritte Block: In Nordsyrien haben die Menschen eine von der Gleichberechtigung der Geschlechter ausgehende hierarchiefreie Rätedemokratie aufgebaut, in der alle ethnischen, religiösen, konfessionellen oder sonstigen Identitäten an der Selbstverwaltung der Gesellschaft partizipieren. Nach der Pariser Kommune, den Anfängen der Oktoberrevolution oder der Phase im spanischen Bürgerkrieg ist es den Menschen in Nordsyrien gelungen, eine gesamtgesellschaftliche Direktdemokratie mit der zentralen Rolle der Frau darin aufzubauen. Die historische Chance liegt vor der Weltgemeinschaft, Syrien mit Blick auf den Nahen Osten durch die Selbstermächtigung und Selbstbestimmung der Menschen neu zu gestalten. Es braucht einen Willen, diese Chance zu nutzen. Dieser Wille jedoch scheint nicht der der Regierenden zu sein, sondern es liegt an den Menschen und unabhängigen zivilgesellschaftlichen Gruppen und Organisationen überall auf der Welt, diesen durchzusetzen.
Zusammengefasst: Syrien befindet sich im Krieg und drei Akteure und drei Lösungsmöglichkeiten stehen für die Zukunft bereit: Ein islamistischer Gottesstaat, ein arabisch-nationalistischer Zentralstaat oder eine pluralistische und dezentrale Demokratie der Völker, die dem nahöstlichen Mosaik entspricht.
Der völkerrechtswidrige und rassistische Angriff der Nato-Armee der Türkei auf Efrîn und die Unterstützung der Staatenwelt
Nun greift seit über 50 Tagen die mit westlichen Waffen und westlicher Technologie ausgestattete rassistische türkische Armee den kleinen Kanton Efrîn an. Die Gründe des AKP-Regimes für diesen Angriff sind sowohl innenpolitisch als auch außenpolitisch bedingt. Sie will eine Rätedemokratie, in der auch die Kurden als Kollektiv gleichberechtigt leben, als Unterdrückerin von 20 Millionen Kurden im eigenen Staat nicht dulden. Durch die westliche Kriminalisierung der kurdischen Freiheitsbewegung fühlt sich die Türkei dazu befähigt, jegliche kurdische Selbstbestimmung als „Terrorismus“ zu definieren und anzugreifen. Ein weiterer innenpolitischer Grund ist die nationalistische Stimmungsmache, die der AKP dazu verhelfen soll, im nächsten Jahr alle wichtigen Wahlen zu gewinnen, damit sie ihren türkischen Islamofaschismus gänzlich institutionalisieren kann.
Die AKP hat außenpolitisch das Ziel, den gesamten Norden Syriens bzw. die dortige Selbstverwaltung zu vernichten und eine ethnische Säuberung durchzuführen, um anschließend Türkei-konforme arabische Islamisten dort anzusiedeln, um sowohl die dortige Selbstbestimmtheit der Kurd*innen zu zerstören als auch ihren neo-osmanisch motivierten Einfluss in Syrien zu sichern. Wir haben es hier also mit einer rassistisch-kolonialistischen Politik der Türkei zu tun, die zudem noch alle internationale Abkommen, Gesetze und Standards ignoriert. Sie verfolgt offen das Ziel einer ethnischen Säuberung, eines mindestens kulturellen Genozids – und die Staatengemeinschaft unterstützt sie dabei! Wie? Russland öffnet ihr den Luftraum für Bombardierungen aus der Luft, Deutschland stattet sie mit Waffen aus und verfolgt die kurdische Bewegung durch Repression und Kriminalisierung sowie einer entsprechenden Medienpolitik, die Bundesregierung ist Alliierte der islamistischen AKP-Türkei. Die USA und die EU lassen die Türkei gewähren, weil anscheinend Syrien bereits hinter den Vorhängen in östlich und westlich des Euphrats aufgeteilt worden ist.
Ob in Genf, Sotschi, Astana oder im Geheimen, die mächtigen Staaten treffen und treffen sich, verhandeln und verhandeln über die Kurdinnen und Kurden, über die Rojava-Revolution. Für sie sind die Menschen und die dortigen historischen Errungenschaften nichts anderes als Verhandlungsmasse, Objekt oder Gegenstand der korrupten Interessenpolitik. Es fällt ihnen nicht ein, die Vertrer*innen der Selbstverwaltung mit in die Gespräche einzubeziehen.
Allein die Tatsache, dass die Föderation Nordsyrien aus allen Gesprächen ausgeschlossen wird und der Angriff auf Efrîn von allen direkt oder indirekt unterstützt wird, beweist die Souveränität und Unabhängigkeit der dortigen politischen Ordnung.
Die UN ignorieren die Verbrechen der Türkei und bemalen ihre sogenannte Kritik mit Standardfloskeln. Anstatt bestehende Mechanismen der Sanktionierung einzuleiten, dulden sie den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg und die genozidalen Ziele der Türkei der Säuberung einer ganzen Region. Die anderen von staatlichen Ressourcen abhängigen sogenannten NGO`s verhalten sich ähnlich.
Um auf den Punkt zu kommen: Die feministische Revolution und der basisdemokratische Aufbruch in Nordsyrien und Efrîn hat außer der breiten Unterstützung der Menschen überall auf der Welt sonst nur mächtige staatliche Gegner. Diese Staaten, die ihre Daseinsberechtigung durch die Bezugnahme auf Demokratie und Menschenrechte erlangen, verhalten sich sehr feindlich und heuchlerisch gegenüber der Demokratie und Menschenrechte in Nordsyrien. Dies tun sie zudem noch durch die Duldung und Unterstützung der demokratiefeindlichen Kräfte und Akteure wie die Türkei, al-Qaida oder al-Nusra.
Diese unerträglichen und krisenhaften Zustände gilt es zu beenden, und das geht nur durch eine breite Protestbewegung, die den Verrat der Staatengemeinschaft an menschlichen und demokratischen Grundwerten anprangert. Es kann nicht sein, dass vor aller Augen der Welt eine rassistisch-islamistische Armee der Türkei einen ungleichgewichtigen Krieg gegen eine Region führt, die zum Hoffnungsschimmer für Syrien geworden ist. In den Medien stellen sie den Angriff der Türkei so dar, als würde ein symmetrischer Krieg zwischen gleichstarken Konfliktparteien stattfinden. Doch die Wahrheit ist, dass eine kleine Region mit einer Bürgerwehr von ein paar Tausend Kämpfer*innen von der zweitgrößten Nato-Armee mit allen erdenklichen Waffen aus der Luft und von allen Seiten angegriffen wird. Das ist so, als würde man dabei zusehen, wie eine Horde von Hyänen eine nur mit ihren Hörnern bewaffnete friedliche Gazelle angreift. Wir müssen uns erinnern, dass wir weder im Mittelalter leben, wo das Recht des Stärkeren galt, noch dass wir Wesen ohne Vernunft und Moralität sind.
Das Weiterleben der soziopolitischen Struktur Efrîns, unsere Solidarität für sie, unser Protest gegen die Türkei und die Politik der Staatengemeinschaft, der Erfolg in Efrîn würde nicht nur ihre Existenz sichern, sondern dem moralischen Verfall der interessengeleiteten Staatspolitik einen schweren Schlag versetzen. Menschen und Gesellschaften sind keine Objekte von Staaten und Regierenden! In Efrîn kämpft derzeit die Demokratie gegen den nationalistisch-chauvinistischen und islamistischen staatlichen Zentralismus! Lasst uns mit demokratischen Protestaktionen Efrîn zum Erfolg verhelfen, um auch unsere Zukunft in die richtige Bahn zu lenken.