Seit dem 7. August 2019 hat Abdullah Öcalan keinen Kontakt mehr zu seinem Rechtsbeistand. Sein Rechtsanwalt Ibrahim Bilmez vom Istanbuler Rechtsbüro Asrin hat sich im ANF-Interview zu dem jüngsten Türkei-Bericht des Europarats geäußert. Der Ständige Ausschuss hat im Namen der Parlamentarischen Versammlung des Europarates am 23. Oktober 2020 die Resolution des Ausschusses für die Einhaltung der Verpflichtungen und Zusagen der Mitgliedstaaten über die Repression gegen die zivile und politische Opposition in der Türkei bestätigt. Außerdem wurde die Aufhebung der Isolation Abdullah Öcalans und seiner Mitgefangenen auf Imrali und die Umsetzung aller Empfehlungen des Antifolterkomitees CPT gefordert. Der Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) hat im August 2020 zwei Berichte aus 2017 und 2019 veröffentlicht.
Die Parlamentarische Versammlung des Europarats hat dem Türkei-Bericht einen Abschnitt zur Isolation auf der Gefängnisinsel Imrali hinzugefügt. Was bedeutet das?
Diese Ergänzung ist äußerst wichtig und beweist, dass die Rechtlosigkeit der Türkei inzwischen an einem Punkt angelangt ist, an dem sie nicht mehr ignoriert werden kann. Es zeigt auch, dass die Berichte des CPT verfolgt werden und die Diskussion inzwischen auch in Europa auf der Agenda steht.
Ist dieser Bericht für die Türkei verbindlich?
Ja, es besteht eine Verbindlichkeit, denn die Türkei ist Mitglied des Europarats und hat die Gründungserklärung und die Menschenrechtskonvention unterzeichnet. Daher ist der Bericht verbindlich. Die Türkei wird seit 2017 hinsichtlich ihrer Menschenrechtslage beobachtet. In dem am 23. Oktober veröffentlichten und bestätigtem Bericht wird festgehalten, dass es ernste und ständige Rückschritte zum Thema Grundrechte und Freiheiten gibt. Dass ein spezifischer Abschnitt des Berichts auf die Rechtlosigkeit auf Imrali hinweist, zeigt außerdem, dass die Isolation wesentlicher Bestandteil der vollständigen Entfernung von den Grundprinzipien eines Rechtsstaates ist. Die Türkei muss sich an die aus der Resolution hervorgehenden Bestimmungen halten, ansonsten kann sie sogar aus dem Europarat ausgeschlossen werden. Das hätte auch ökonomische und weitere schmerzhafte Folgen.
Unmittelbar nach der Veröffentlichung des CPT-Berichts ist gegen Ihren Mandanten Abdullah Öcalan ein sechsmonatiges Anwaltskontaktverbot ausgesprochen worden. Gibt es Ihrer Meinung nach einen Zusammenhang?
Der CPT-Bericht beinhaltet wichtige Feststellungen und Vorschläge an die Regierung, die Isolation aufzuheben. Dass das Vollzugsgericht in Bursa direkt danach eine solche Verbotsverfügung erlassen hat, ist aus unserer Sicht unfassbar und nicht zu rechtfertigen. Anstatt die Vorschläge umzusetzen, ordnet die Regierung weitere Verbote an und fordert das CPT sozusagen heraus. Das wird die Diskussion um die Position der Türkei im System Europas weiter beschleunigen.
Öcalan kann ohnehin seit Jahren nicht mit seinem Rechtsbeistand und seinen Familienangehörigen kommunizieren. Welchen Sinn hat dieses Besuchsverbot überhaupt?
Vermutlich will die Türkei damit ihre Rechtlosigkeit vertuschen. Seit dem 27. Juli 2011 bis heute haben nur 2019 fünf Anwaltsbesuche stattfinden können. Bekanntlich wurden diese Gespräche durch den von Leyla Güven initiierten Massenhungerstreik in den Gefängnissen durchgesetzt. Seit unserem letzten Mandantengespräch am 7. August 2019 ist keinem unserer wöchentlich gestellten Besuchsanträge stattgegeben worden. Bis September 2020 ist gar keine Entscheidung der Anträge erfolgt, jetzt wird uns das am 23. September angeordnete Anwaltsverbot als Begründung für die Ablehnung präsentiert. Auch damit lässt sich jedoch die unmenschliche Isolation nicht legitimieren oder juristisch rechtfertigen. Wie gesagt, inzwischen bringen das auch europäische Stellen zur Sprache.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat 2014 entschieden, dass die Haft Ihres Mandanten Öcalan 2024 erneut überprüft werden soll. In letzter Zeit ist diese Entscheidung wieder thematisiert worden. Wie bewerten Sie das?
Richtig, mit diesem EGMR-Urteil ist im Grunde genommen offiziell festgehalten worden, dass die auf Imrali angewandte Form des Vollzugs in den Bereich des Misshandlungs- und Folterverbots fällt. Zusammengefasst wird in dem Urteil festgestellt, dass es sich bei einer Gefängnisstrafe bis zum Tod ohne die Hoffnung auf Freilassung um Folter handelt. Wie wir schon immer gesagt haben, bedeutet jeder Tag in der Isolation auf Imrali Folter. Der EGMR unterstreicht, dass diese Strafe nach einer bestimmten Zeit überprüft und befristet werden muss. Das gilt nicht nur für Öcalan, sondern auch für viele weitere Fälle. Die Türkei muss dieses Urteil umsetzen. Bekanntlich ist der Europarat für die Umsetzung der EGMR-Entscheidungen verantwortlich. In diesem Zusammenhang stehen wir seit 2014 in ständigem Kontakt mit dem Ministerrat des Europarats. Die Türkei verschiebt beharrlich die aus dem EGMR-Urteil hervorgehenden gesetzlichen Regelungen. Es ist nichts Neues, dass bestimmte Kreise aufgrund von politischen Erwägungen von Zeit zu Zeit politische Berechnungen hinsichtlich unseres Mandanten anstellen. Eigentlich sind die Diskussionen dieser Kreise über dieses Thema in gewisser Weise Ausdruck dafür, dass nach universellen Rechtsstandards alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind und auch Herr Öcalan keine Ausnahme darstellt. Insofern ist die Umsetzung des EGMR-Urteils unausweichlich. Auf der anderen Seite sind diese Diskussionen fern jeder Ethik, denn diese Kreise versuchen die seit 21 Jahren andauernden Bemühungen unseres Mandanten für eine demokratische Lösung und Frieden zu kriminalisieren. Diese Versuche sind jedoch umsonst. Die Friedensbemühungen von Herrn Öcalan sind in die gesamte Gesellschaft der Türkei eingegangen. Früher oder später werden die rechtlichen Anforderungen erfüllt werden und in der Türkei wird endlich eine Atmosphäre der Demokratie und des Frieden einkehren.