Tausende Kurdinnen und Kurden aus ganz Deutschland sind am Samstag in Frankfurt zusammengekommen, um das kurdische Neujahrsfest Newroz zu feiern. Das Fest stand im Zeichen des Kampfes zwischen autoritären Regimen im Nahen Osten wie der Türkei oder dem Iran und den widerständigen Völkern, teilte KON-MED als veranstaltende Organisation mit. „Auf welcher Seite wir uns positionieren, steht außer Frage.“
Rund 40.000 Menschen aus dem gesamten Bundesgebiet kamen zur zentralen Newroz-Kundgebung am Rebstockpark nahe der Messe zusammen, um ihr Widerstandsfest zu begehen. Selbst die Polizei, die traditionell wesentlich niedrigere Zahlen nennt, sprach am Nachmittag von rund 30.000 Teilnehmenden. Viele mehr hätten es werden können, wenn gebuchte Busfahrten durch einige Unternehmen in NRW nicht kurzfristig abgesagt worden wären, kritisierte KON-MED.
„Başûr, Bakur, Rojava, Rojhilat – Kurdistan yek welat”
Der Festplatz war geschmückt mit Flaggen in den kurdischen Farben Rot, Gelb und Grün, auf Transparenten stand die Losung „Jin Jiyan Azadî“ (Frau Leben Freiheit) und „Başûr, Bakur, Rojava, Rojhilat – Kurdistan yek welat” (Süden, Norden, Westen, Osten – Kurdistan ist ein Land). Auch wehten zahlreiche Fahnen mit den Porträts von Gefallenen des kurdischen Widerstands, etwa Zeynep Kınacı und Mazlum Doğan. Bilder des Begründers der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, waren ebenfalls zu sehen. Eine der zentralen Forderungen war die Freilassung des kurdischen Vordenkers aus seiner politischen Geiselhaft in der Türkei, um eine friedliche politische Lösung der kurdischen Frage zu unterstützen.
Für einen nachhaltigen und gerechten Frieden: Öcalan freilassen
Die Feier begann mit einer Schweigeminute zur kurdischen Nationalhymne Ey Reqîb (deutsch: „O Feind“). Die Begrüßungsreden wurden von den KON-MED-Vorsitzenden Zübeyde Zümrüt und Engin Sever gehalten. „Öcalan repräsentiert für Millionen Menschen in allen vier Teilen Kurdistans die Hoffnung auf Freiheit und gerechten Frieden“, sagte Zümrüt. „Doch seit dem Abbruch der Friedensverhandlungen durch die türkische Regierung im Jahr 2015 befindet er sich faktisch in Totalisolation – und das gesamte Land mit ihm. Für einen nachhaltigen und gerechten Frieden in Kurdistan muss dieser Zustand enden. Das Tor nach Imrali muss sich öffnen.“
Repression gegen kurdische Community beenden
Engin Sever griff die Repression deutscher Behörden gegen politische aktive Kurdinnen und Kurden in der Bundesrepublik auf und sprach von einer Kriminalisierungspolitik, die ihre Wurzel im Betätigungsverbot der PKK habe. Dieser Umgang schränke nicht nur Grundrechte der kurdischen Community hierzulande ein, sondern verhindere aktiv eine Lösung der kurdischen Frage. „Statt sich an der Seite eines faschistischen Regimes wie der Erdogan-Regierung zu positionieren, sollte Deutschland das Selbstbestimmungsrecht der Kurdinnen und Kurden achten und ihren Kampf gegen Unterdrückung unterstützen“, forderte Sever.
FEDA warnt vor staatlich forciertem Exodus aus alevitischen Regionen
Als weiterer Redner trat unter anderem Demir Çelik von der Föderation der demokratischen Aleviten (FEDA) auf. Der ehemalige Parlamentsabgeordnete der Demokratischen Partei der Völker (HDP), der heute im europäischen Exil lebt, gedachte zunächst den Opfern der verheerenden Erdbeben vom 6. Februar im türkisch-syrischen Grenzgebiet, dessen Epizentrum in Kurdistan lag. „Unsere Gedanken sind bei den Angehörigen der Menschen, die bei dieser schrecklichen Katastrophe ihr Leben gelassen haben“, sagte Çelik. Der Politiker beklagte die systematische Diskriminierung bei Hilfsgütern, Nothilfen und der Bergung von Erdbebenopfern in den alevitischen Gebieten, darunter in der kurdischen Provinz Gurgum (tr. Maraş) und in der arabisch-alawitisch geprägten Region Hatay.
Pyrorauch über einem bunten Fahnenmeer
„Staatliche Behörden haben die alevitischen Dörfer im Erdbebengebiet erst Tage später aufgesucht – wenn überhaupt. Unzählige Ortschaften, in denen Menschen noch in den Trümmern lagen, wurden systematisch ignoriert, zivile Hilfen hat man blockiert. Dieses Vorgehen zeigt beispielhaft, wie das türkische Regime die Katastrophe nutzt, um Minderheiten im Land auszulöschen“, betonte Çelik und sprach von gezielten staatlichen Maßnahmen, die eine Massenauswanderung in den alevitischen Regionen auslösen sollen. „Es ist eine auf Völkermord abzielende Politik, die der türkische Staat diese Tage wieder betreibt, um die jahrhundertealte Politik der forcierten Auswanderung zu vollenden. Wir rufen unsere Bevölkerung auf, sich der Entvölkerung Kurdistans zu widersetzen.” Das diesjährige Newrozfest war dem Gedenken an die Opfer der Erdbebenkatastrophe gewidmet.
PJAK: Revolution kann Grundlage für demokratische Nation werden
Mustafa Abdullah Sultani von der Partei für ein freies Leben in Kurdistan (PJAK) erinnerte an den Kampf der Menschen und besonders der Frauen in Rojhilat (Ostkurdistan) und Iran um ihre Rechte und Freiheiten, und würdigte die Opfer der „Jin, Jiyan, Azadî“-Proteste, die sich am gewaltsamen Tod der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini im vergangenen September in iranischer Polizeihaft entzündet hatten, und dankte allen Menschen, die sich an dieser „von Frauen und der Jugend angeführten Revolution“ beteiligten. „Diese Revolution kann die Grundlage für eine demokratische Nation werden. Es ist von existenzieller Bedeutung, dass die Völker Irans und Rojhilats gemeinsam die Hindernisse, die diesem historischen Widerstand im Weg stehen, auszuräumen.“
Ein buntes Fest mit vielen Begegnungen
Neben weiteren politischen Botschaften, etwa von Mike Josef (Planungsdezernent Frankfurt, OB-Kandidat), Kaweh Mansoori (MdB), Deborah Düring (MdB) und Philipp Jacks (DGB-Vorsitzender Frankfurt-Rhein-Main), gab es auf der Bühne aber auch Musik und kulturelle Beiträge, unter anderem von Mizgîn Tahîr, Lale Koçgün und Kevana Zêrîn. Viele Menschen tanzten auf der nach einem Regenguss schlammigen Erde zu den lebhaften Rhythmen, während von zahlreichen Grillständen Rauch aufstieg. Für die zahlreichen Teilnehmenden war Newroz ein buntes Fest mit Begegnungen mit Landsleuten aus ganz Deutschland.