Vortrag zu Jineolojî bei feministischen Aktionswochen Bochum

Im Rahmen der feministischen Aktionswochen in Bochum hat auch eine Veranstaltung mit einer Referentin des Jineolojî-Komitees Deutschland stattgefunden.

Seit 2019 gibt es in Bochum die Feministischen Aktionswochen. Ein Bündnis aus feministischen und antifaschistischen Gruppen, migrantischen Organisationen, Künstler:innen und dem Gleichstellungsbüro sowie anderen Gremien der Universität Bochum organisiert seither jedes Jahr nicht nur die Demonstration zum feministischen Kampftag 8. März, sondern nach diesem Tag ein vielfältiges Programm mit Veranstaltungen zu feministischen Themen. Diese umfassen neben Vorträgen und Workshops auch Theater und andere Performances, Ausstellungen, Lesungen und Partys. Dieses Jahr gehörte erstmalig auch ein Vortrag zu Jineolojî zum Programm.

„Mit den feministischen Aktionswochen sollen jedes Jahr aufs Neue feministische Themen raus aus der Nische und rein in die breite Gesellschaft getragen werden. Dabei sollen die Veranstaltungen sowohl Menschen ansprechen, die sich erstmalig mit Feminismus befassen, als auch jene, die bereits über Wissen verfügen.“ So wird das Ziel der Aktionswochen von dem Bochumer Bündnis formuliert. Diese „barrierearme Möglichkeit“ ist auch für die Jineolojî-Veranstaltung durch die Wahl des Ortes – eine Eckkneipe mit Barbetrieb vor und nach dem Vortrag – gut umgesetzt worden.


Die lokale JXK-Gruppe (Studierende Frauen aus Kurdistan) hatte die Initiative ergriffen und eine Referentin des Jineolojî-Komitees Deutschland eingeladen. In den Räumen der Eckkneipe Neuland in der Innenstadt von Bochum waren alle Stühle, Sofas, Hocker und Fensterbänke besetzt und der Raum mit rund 40 Personen gut gefüllt, die dem Vortrag aufmerksam zuhörten und interessierte Fragen stellten.

Im Vortrag wurde einleitend die Bedeutung einer neu definierten Wissenschaft angesichts der umfassenden Krise dieser Zeit verdeutlicht. Nicht nur globale Katastrophen wie unter anderem der Ökologie, des Klimas, Kriege, Flucht, Feminizide, Pandemie, Rassismus sind Teil dieser Krise, sondern auch die Wissenschaft selbst. Sie hat die bestehenden Herrschaftsverhältnisse mit geschaffen und stabilisiert und bietet keine wirklichen Lösungen mehr. Im Vortrag wurde vermittelt, dass die Jineolojî als Wissenschaft, die aus den Erfahrungen der Praxis von vier Jahrzehnten kurdischem Freiheitskampf, aus ihren Reflexionen und Theoriebildungen entstanden ist, auf anderen Grundlagen basiert und eigene Institutionen schafft. Damit wird Jineolojî zu einer neuen Form von gesellschaftlich verankerter Wissenschaft, die Teil aller Bestrebungen zur Verwirklichung der dringend notwendigen radikalen Transformationen gesellschaftlicher Verhältnisse ist.

„Zurückgehen, wo das Problem angefangen hat"

Warum müssen wir die letzten 5000 Jahre anschauen? Der Vortrag erläuterte, was es bedeutet, wenn in der kurdischen Bewegung formuliert wird: „Um eine Lösung zu finden müssen wir dorthin zurückgehen, wo das Problem angefangen hat.“ Aus der Analyse von 5000 Jahren Patriarchat als dem ersten Herrschaftsverhältnis, das mit der Kolonialisierung der Frau den Anfang der Unfreiheit machte, kommt das Grundverständnis, dass die Befreiung der Frau bzw. die Überwindung patriarchaler Geschlechterverhältnisse einer Dominanz der männlichen Mentalität die Grundlage bilden (müssen) für alle gesellschaftlichen Befreiungsprozesse. Sowohl vorpatriarchale, egalitäre, um das Leben und die Fürsorge organisierte, matriarchale, gesellschaftliche Lebensweisen, die etwa 99 Prozent der Menschheitsgeschichte ausmachten, wurden beschrieben, wie auch die Umbrüche der Geschlechterverhältnisse seither. Die verschiedenen historischen Wissensregime – Mythologie, Religion, Philosophie und Wissenschaft – haben zur vertieften Verankerung von Patriarchat und weiteren Herrschaftsformen beigetragen, konnten aber auch jeweils von den gesellschaftlichen Freiheitsbestrebungen gegen Trennungen, Hierarchisierungen und weitere soziale und ökologische Zerstörungen für ihre Anliegen eingesetzt werden.

„Chance für großer Veränderungen“

Abschließend wurde erklärt, warum davon gesprochen werden kann, warum das 21. Jahrhundert auch als das Jahrhundert der Frauenrevolution bezeichnet wird, bzw. dass diese Zeit des Chaos und der Krise auch als Chance für großer Veränderungen begriffen werden kann. Das Publikum konnte mit dieser Formulierung gut mitgehen und brachte verschiedene Fragen auf, die sich auf das Naturverhältnis der Jineolojî, auf Strategien zur Veränderung von Männlichkeit, auf eine Umsetzung von Jineolojî, der es gelingt auch Klassenverhältnisse zu überwinden, auf den Bezug zwischen Jineolojî und bestehenden Universitäten, auf die Auseinandersetzung mit trans* und nicht-binären Identitäten in der Jineolojî und auf das Geschichtsverständnis der Jineolojî bezogen.

Es wurden verschiedene Bücher und Broschüren vorgestellt und an einem Büchertisch angeboten. Am Büchertisch entwickelten sich weiterführende Gespräche.