Die Wahlen in der Türkei und in Nordkurdistan schlagen auch in Österreich hohe Wellen. Auf den Straßen von Wien und anderen österreichischen Großstädten feierten in der Nacht auf Montag tausende türkische Nationalist:innen den Wahlsieg von Recep Tayip Erodgan. Und auch die hohen Zustimmungswerte für die regierenden Parteien AKP und MHP sowie andere ultranationalistische und islamistische Parteien sorgen für Irritation – in Österreich haben viele Wahlberechtigte rechts gewählt und in der Stichwahl erhielt Erdogan, ähnlich wie in Deutschland, fast drei Viertel aller Stimmen.
Am Dienstagabend diskutierten Vertreter:innen von Grünen und der sozialdemokratischen SPÖ mit Aktiven vom Rat der kurdischen Gesellschaft in Österreich (FEYKOM) im Wiener Palais Epstein über die Entwicklungen nach den Wahlen. Vertreten waren unter anderem die beiden Nationalratsabgeordneten Ewa Ernst-Dziedzic (Grüne), Robert Laimer (SPÖ) und die Landtagsabgeordnete Heidemarie Sequenz (Grüne). Moderiert wurde die Diskussion vom Aktivisten und Journalisten Anselm Schindler. Die beiden Grünen-Politikerinnen, die zum ersten Wahlgang in die türkisch-kurdische Provinz Agîri (tr. Agri) gereist waren, um gemeinsam mit anderen die Wahlen zu beobachten, berichteten bei der Veranstaltung über die repressive Stimmung, die ihnen vor allem von Seiten von AKP-Vertreter:innen entgegengeschlagen sei. Diese hätten den Parlamentarier:innen unter anderem vorgeworfen, Spione zu sein.
Derart kritisch sind bei den österreichischen Grünen, die das Land gemeinsam mit der rechtskonservativen ÖVP regieren, längst nicht alle. Bundespräsident Van der Bellen, der lange auch Vorsitzender der Grünen war, gratulierte Erdogan kurz nach der Wahl zu dessen Sieg und sprach auf Twitter von „positiven bilateralen Beziehungen“ zwischen Österreich und der Türkei, was ihm jetzt auch aus der eigenen Partei Kritik einbringt. „Das geht gar nicht, er hätte da Kritik formulieren müssen!“, empörte sich Ernst-Dziedzic bei der Podiumsdiskussion, von Moderator Schindler auf die Äußerungen des Bundespräsidenten angesprochen. Aber nicht nur die Grünen, sondern auch Spitzenpolitiker der SPÖ standen bei der Podiumsdiskussion in der Kritik, beispielsweise Wiens Oberbürgermeister Michael Ludwig, der sich erst letzten Sommer persönlich mit Erdogan getroffen hatte.
Fotos: Christopher Glanzl
In den österreichisch-türkischen Beziehungen spielen neben Migrationsfragen und der Rolle der Türkei in den Verhandlungen um die Ukraine vor allem auch ökonomische Fragen eine zunehmend wichtige Rolle. Im letzten Jahr nahmen die Exporte von österreichischen Waren, darunter vor allem Maschinen und Elektronik, um mehr als 20 Prozent auf rund 1,8 Milliarden Euro zu. Auch die Importe stiegen. Es dürfe aber nicht sein, dass Wirtschaftsinteressen wichtiger seien als Menschenrechte, kritisierte der SPÖ-Abgeordnete Robert Laimer. Der Abgeordnete, der auch verteidigungspolitischer Sprecher seiner Partei ist, plädierte in diesem Zusammenhang für eine aktivere Friedenspolitik Österreichs und machte klar, dass Österreich sich der Nato nicht weiter annähern solle.
Im Publikum, in dem auch viele kurdische Migrant:innen saßen, blieben einige den Wortmeldungen der SPÖ- und Grünen-Politiker:innen gegenüber skeptisch. „Wir wissen das alles schon lange, und es wurde schon viel geredet, wir wollen, dass sich endlich etwas ändert!“, erklärte eine junge Frau. Dem stimmte auch FEYKOM zu. Ein Aktivist erklärte, dass Oppositionelle aus der Türkei und aus Kurdistan eine klarere Haltung Österreichs gegenüber dem Erdogan-Regime erwarteten. Das gelte auch für AKP- oder MHP-nahe Vereine wie beispielsweise den türkisch-österreichischen Moscheenverband ATIB, der direkt der türkischen Religionsbehörde Diyanet untersteht. „Das Problem sind nicht die Moscheen und dass Menschen dort beten. Das Problem ist, dass dort zur Unterstützung der AKP und der faschistischen Grauen Wölfe aufgerufen wird.“