Nach längerer Pause startete das „TATORT Kurdistan Café” in Hamburg wieder, diesmal mit einer Veranstaltung über die Situation der Kurd:innen und Belutsch:innen im Iran. Referent:innen waren Salah Rojhilat aus Ostkurdistan und Sama Baluch vom Free Balochistan Movement. Mehr als 50 Interessierte kamen am Mittwochabend ins Centro Sociale.
Die Veranstaltung, die unter dem Motto „Jin Jiyan Azadî“ (Frau Leben Freiheit) stand, wurde von der Ethnologin und Buchautorin Anja Flach eröffnet. Sie erklärte, bei dem Slogan handle es sich um die Philosophie der kurdischen Frauenbewegung, die ein befreites Leben jenseits vom kapitalistischen Patriarchat anstrebe. Die Parole sei am 8. März 2006 das erste Mal überall auf kurdischen Demonstrationen in der Türkei gerufen worden. Es folgte eine Zeit, in der mit verschiedenen Kampagnen patriarchale Denkweisen und frauenfeindliche Praktiken in der kurdischen Gesellschaft in Frage gestellt wurden.
Diese Phase habe vor zehn Jahren am 19. Juli 2012 in der Revolution von Rojava einen Höhepunkt erreicht. Die Rojava-Revolution werde von den Herrschenden als Bedrohung des Status quo wahrgenommen, so auch von der NATO, die Türkei, der Iran, die Bundesrepublik Deutschland. Das sei der Grund, warum in Rojava versucht werde, die Menschen zur Flucht zu zwingen und ihnen die ökonomische Grundlage zu nehmen. Die Garantie für ihr Überleben als Kurd:innen sei die Guerilla, die sogar mit Giftgas angegriffen werde. Umso schlimmer sei es, dass Personen wie die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, die das Unterdrückungssystem als Vertreterin der Bundesregierung unterstütze, sich mit dem Slogan „Jin Jiyan Azadî“ schmücke. Das empfinde man als große Heuchelei.
Anja Flach erklärte, dass die Aufstände, die nach dem Tod von Jina Amini durch die Gewalt der iranischen Sittenpolizei in Teheran begonnen haben, sich auch auf Belutschistan ausgebreitet hätten, nachdem dort Anfang Oktober die 15-jährige Maho Baluch durch einen Polizeichef vergewaltigt worden war.
Geschichte von Belutschistan und Rojhilat
Sama Baluch referierte über die Geschichte Belutschistans und erklärte: „Wir Belutsch:innen sind keine ethnische Gruppe, wir sind eine Nation.“ Die Belutsch:innen hätten eine lange Geschichte von 9000 Jahren. Dieses Land sei in der Geschichte immer wieder angegriffen worden, wie zum Beispiel von den Mongolen, den Safawiden und durch das Britische Empire. Das Konzept von Belutschistan als ein Nationalstaat gehe auf das Jahr 1410 zurück. Vor dem Angriff durch Großbritannien sei Belutschistan ein unabhängiger Staat gewesen und wurde erst durch den britischen Kolonialismus dreigeteilt: Künstliche Grenzen wurden geschaffen, die sogenannte Goldsmith Line 1871 und die Durand Line 1895. Diese Schwächung sei der Türöffner gewesen, dass Persien am 11. November 1928 angreifen und den westlichen Teil Belutschistans besetzen konnte. Der Teil, der heute von Pakistan besetzt sei, blieb hingegen bis 1947 unter britischer Kontrolle. Nachdem das britische Empire am 11. August 1947 nach dem 2. Weltkrieg beschlossen habe, den asiatischen Subkontinent zu verlassen, erkannte es zunächst die Unabhängigkeit von Belutschistan an, teilte jedoch Indien im Namen der Religion in zwei Teile, was zu der Gründung von Pakistan führte. Obwohl es Verträge über ein unabhängiges Belutschistan mit Großbritannien als Schutzmacht gab, ignorierte Großbritannien die Besatzung von Ostbelutschistan acht Monate nach der Gründung Pakistans am 27. März 1948. Dagegen habe das belutschische Volk immer Widerstand geleistet. Afghan:innen und Belutsch:innen hätten immer in gegenseitiger Akzeptanz gelebt. Gemeinsam hatte man sich gegen die Teilung und Besatzung gestellt, so Sama Baluch.
Salah Rojhilat ging auf die Frage nach der Geschichte von Rojhilat (Ostkurdistan) auf die lange Tradition matriarchaler Kulturen ein, was auch erkläre, dass Frauen die Vorkämpferinnen der heutigen Revolution seien. Auch die Ideologie des Islam habe diese Kultur nicht auflösen können. Kurdistan sei auf vier Staaten aufgeteilt. In den Grenzen des Iran lebten 18 Millionen Kurd:innen. Für die Kurd:innen handle es sich um Besatzung. Salah Rojhilat stellte einen Bezug zur Sage der Şahmaran her, auch schon in dieser matriarchalen Phase der Geschichte hätten Frauen gegen patriarchale Unterdrückung aufbegehrt. Dies sei die Grundlage für den heutigen Kampf gegen das Patriarchat. Die Kurd:innen selbst seien als Kultur sehr divers, hätten verschiedene Sprachen und Religionen, dennoch konnten sie, und dies sei ein Zeichen der Demokratie, koexistieren.
Das gemeinsame Schicksal der Unterdrückung
Auf die Frage nach der Unterdrückung der Belutsch:innen im Iran erklärte Sama Baluch, Kurd:innen und Belutsch:innen würden dasselbe Schicksal teilen, beide Nationen würden gewaltsam durch Staaten geteilt und unterdrückt. Der iranische Staat habe Belutschistan 1928 besetzt. Seither lebe man unter rassistischer Unterdrückung durch den Iran. In jeder Hinsicht werde der belutschische Teil des Iran diskriminiert, so gebe es große Rückstände, was zum Beispiel Bildung und Ökonomie betreffe. Die belutschische Bevölkerung sei ohne Rechte. „Wir können die Namen unserer Kinder nicht selbst wählen, wie auch die Kurd:innen. Wir müssen einen Namen akzeptieren, die der Staat für uns auswählt. Ich bin selbst ein gutes Beispiel dafür: Mein kolonialer Name ist nicht Sama Baluch“, beschrieb die Referentin die Lage. In ihren Papieren stehe ein persischer Name, ein Name, den ihre Familie nicht gewählt habe und der ihr aufgezwungen wurde. „Unsere traditionelle Kleidung, die ich heute hier trage, wird im Iran als Zeichen von Gefahr und Terror angesehen. Die Diskriminierung geht so weit, dass wir noch nicht einmal aussuchen können, wie wir uns kleiden“, fuhr Sama Baluch fort. Wie die Kurden müssten auch Belutschen als Lastenträger arbeiten. Für den iranischen Staat seien sie Schmuggler und würden verfolgt. Die Gefängnisse seien voll mit Belutsch:innen. Jeden Tag würden zwei bis drei Menschen hingerichtet, nicht selten sieben bis acht Menschen. Diese Morde müssten als Genozid angesehen werden, betroffen seien Männer, Frauen und Minderjährige.
Das Regime ist ideologisch bereits zerbrochen
Salah Rojhilat erklärte zur Situation der Kurd:innen in Rojhilat, dass diese wie auch Belutsch:innen, Azeris oder Araber:innen schon gesetzlich Bürger:innen zweiter Klasse seien, anders als schiitische Perser:innen. Sie könnten nicht in ihrer Muttersprache unterrichtet werden. Frauen seien doppelt diskriminiert, sie seien aus öffentlichen Ämtern ausgeschlossen. Aufgrund der islamischen Gesetzgebung seien sie auch aus der Lokalpolitik ausgeschlossen. Sunnit:innen seien noch stärkerer Unterdrückung ausgesetzt. Kurdistan sei wirtschaftlich abgehängt, es gebe dort keine Industriearbeitsplätze und somit auch eine wirtschaftliche Dimension der Diskriminierung. Viele seien für den Lebensunterhalt gezwungen, als Lastenträger (Kolbar) zu arbeiten, sie müssten Waren auf ihrem Rücken über die iranisch-irakische Grenze schmuggeln.
Salah Rojhilat berichtete weiter, dass er noch vor zwei Jahren in einem Artikel geschrieben habe, die Menschen seien wegen der schwierigen Lebensbedingungen nicht in der Lage, für ihre Rechte zu kämpfen. Inzwischen sei das Leid aber so angewachsen, dass der Widerstand nicht mehr zu stoppen sei. Über soziale Medien habe sich Einigkeit darüber verbreitet, dass man gegen das Unrechtsregime kämpfen müsse. Heute seien alle Geschäfte geschlossen. 448 Menschen seien bei den Aufständen im Iran getötet worden, allein in Belutschistan 128 Menschen. Tausende seien im Gefängnis. In den Gefängnissen gebe es Vergewaltigungen, von Frauen als auch von Männern. Die Menschen kämpften nicht mit Waffen, sondern mit Steinen gegen eine Diktatur.
Das Regime sei jedoch ideologisch bereits zerbrochen, so Salah Rojhilat. Die Menschen hätten die 53 Jahre der faschistischen Pahlewi-Diktatur überwunden und seit zwei Monaten die 43 Jahre der islamistischen Diktatur in den Köpfen besiegt. Es sei jetzt die Zeit für eine demokratische Republik gekommen.
Wir leben im Kriegszustand
Auf die Frage nach der aktuellen Situation verglich Sama Baluch die Situation in Belutschistan mit der in der Ukraine, es handle sich um einen Kriegszustand. Der Mord an Jina Amini und die Vergewaltigung von Maho Baluch, einem 15-jährigen Mädchen durch einen Polizeichef in der Provinz Sistan-Belutschistan, seien zur Initialzündung für die Proteste gegen das Regime geworden. Damit habe auch eine Welle blutiger Gewalt begonnen. An dem als „blutiger Freitag“ bekannt gewordenen 30. September seien in Zahedan über 100 Menschen erschossen worden. Diese Situation wiederhole sich seither jeden Freitag. Sama Baluch bezeichnete Belutschistan als ein Kriegsgebiet, über das internationale Medien nicht berichteten. Eine weitere Dimension des Genozids sei die Löschung belutschischer Namen aus offiziellen Dokumenten. Dahinter stehe die Absicht: Wenn es kein Belutschistan gibt, dann gibt es auch keine Belutsch:innen. „Wir haben keine Demokratie, keine Meinungsfreiheit, keine Menschenrechte. Es gibt einen Genozid gegen die Belutsch:innen und Pakistan und der Iran profitieren von dem internationalen Schweigen gegenüber diesem Genozid an der belutschischen Nation“, so Sama Baluch.
„Jin Jiyan Azadî" hat die Islamische Republik mitten ins Herz getroffen
Zur aktuellen Situation berichtete Salah Rojhilat, es finde gerade ein Streik in Ostkurdistan statt. Die Menschen wollten, dass das Regime verschwinde. Andernfalls würden weiterhin viele Menschen inhaftiert werden. „Diejenigen, die gegen Bezahlung für das Regime gearbeitet haben, die Kollaborateure, halten sich jetzt zurück und haben Angst. Diese Personen waren wie ein Virus in der kurdischen Gesellschaft, das die Menschen jetzt isoliert haben“, so Salah. Der Staat habe ein großes Aufgebot von Schlägern und Sicherheitskräften nach Kurdistan in die Städte geholt. Verwandte hätten berichtet, dass man nicht durch eine kurdische Stadt laufen könne, ohne von einem dieser Schläger attackiert zu werden. Viele Menschen wären durch diese sogenannten Sicherheitskräfte verletzt worden, man gehe aber nicht in Krankenhäuser, sondern behandle die Verletzungen zuhause. Menschen wären regelrecht durch Schrotkugeln durchlöchert worden, viele seien erblindet. Die Menschen hätten Angst und es herrsche große Trauer, aber sie hätten eine sehr resiliente Seele. Symbol für den Widerstand seien rote Tücher und rote Rosen, die an die Gräber der Gefallenen gebracht würden. Der Wunsch, dass die Revolution glücke, sei sehr groß. „Ich bin sehr hoffnungsvoll, dass diese Welle der Proteste und der Revolution bis zum Frühling andauert. Die Studierenden spielen eine sehr große Rolle, insbesondere die jungen Frauen. Der Slogan ,Jin Jiyan Azadî' hat die Islamische Republik mitten ins Herz getroffen“, fuhr Salah fort. Die Bedeutung des Slogans sei Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit zwischen den Geschlechtern und den Völkern. In gedanklicher und ideeller Hinsicht gebe es eine große Entwicklung. Die Islamische Republik sei wie ein totes Denkmal, das niedergerungen werde. Vorreiterinnen seien die Frauen. „Wir sind eng verbunden mit dem belutschischen Volk, denn wir teilen dasselbe Leid“, so Salah Rojhilat.
Alternative zum kapitalistischen System
Auf die Frage nach der Perspektive für Belutschistan antwortete Sama Baluch: „Wir wollen als belutschische Nation unsere Unabhängigkeit. Dafür brauchen wir dieselbe Unterstützung, wie sie zum Beispiel die Ukrainer:innen erfahren. Wir wollen ein Ende der Diskriminierung unserer Sprache und Kultur.“ Sama Baluch verurteilte „die unterschiedliche Behandlung von blonden, blauäugigen Ukrainer:innen und Geflüchteten aus anderen Teilen der Welt" sowie das internationale Schweigen gegenüber der Unterdrückung in Belutschistan.
Salah Rojhilat bewertete die Perspektive des Kampfes folgendermaßen: „Wir haben nicht nur eine Alternative für den Iran und Kurdistan, sondern für das gesamte kapitalistische System. Wir sind Opfer der kapitalistischen Moderne, der wir eine demokratische Moderne gegenüberstellen. KODAR kämpft in Ostkurdistan für eine demokratische und freie Gesellschaft.“
KODAR sei keine Partei, sondern eine Dachorganisation für das System des demokratischen Konföderalismus, welcher als Vorschlag für den gesamten Iran zu verstehen sei. An diesem System könnten sich alle Völker und gesellschaftlichen Gruppen beteiligen. Zentralismus und religiöse Bevormundung würden abgelehnt, das Modell basiere auf den drei Säulen Basisdemokratie, Geschlechterbefreiung und Ökologie.
Das Pahlewi-System habe 53 Jahre lang die Kopfbedeckungen der Frauen mit Gewalt bekämpft, während das islamische System den Frauen die Kopftücher aufgezwungen habe. Es müsse eine freie Wahl geben. Respekt müsse die Grundlage der Gesellschaft sein. Frauen seien die Vorkämpfer:innen dieser neuen Haltung. Salah ist der Meinung, dass die sozialen Medien im Iran es den Menschen ermöglicht hätten, sich jenseits von staatlicher Propaganda zu informieren. Der demokratische Konföderalismus strebe eine radikale Demokratie an und sei eine Alternative zur kapitalistischen Moderne. Ideengeber sei Abdullah Öcalan, der auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali festgehalten werde. Wenn er jetzt erfahre, dass die von ihm initiierte Parole „Jin Jiyan Azadî" überall zu hören sei, werde ihn das sehr glücklich machen.
Deutschland unterstützt diktatorische Regime
Auf die Frage, was hier in Europa zu tun sei, kritisierte Sama Baluch vor allem die finanzielle Unterstützung Europas für Pakistan. Deutschland gebe Millionen Euro aus, um das Regime dort zu finanzieren, und auch die diplomatischen Beziehungen zum Iran seien eine große Unterstützung für das Regime der Islamischen Republik. Deutschland unterstütze diktatorische Regime. Diese Unterstützung mache es möglich, die Genozide an Kurd:innen, Belutsch:innen und anderen Bevölkerungsgruppen fortzuführen. Sama Baluch forderte die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit gegenüber den Verbrechen, die in Belutschistan geschehen. Die Vertreter des iranischen Regimes könnten überall hin reisen, ohne dass sie daran gehindert würden. Diese Kriminellen seien verantwortlich für Morde an vielen jungen Menschen, sogar von Kindern. 25.000 Belutsch:innen seien auf Befehl dieser Kriminellen „verschwunden“. Es müsse gestoppt werden, dass diese Kriminellen in Europa ein Luxusleben führten, während die Angehörigen der Ermordeten und Verschwundenen trauerten.
Keine Unterstützung für die Monarchisten
Salah Rojhilat wies darauf hin, dass Faschisten sich mit der Flagge der Monarchist:innen, der Diktatur der Pahlewis mit dem Motiv des Löwen und des Schwertes, unter Demonstrant:innen mischten. Diese Faschisten seien diejenigen, die den gewalttätigen Ursprung der Islamischen Republik mit zu verantworten hätten. Auch ihr Löwe sei männlich. Diese Personen könnten nicht Teil einer Frauenrevolution sein. Ihr Schwert sei zum Enthaupten gemacht. Die Pahlewi-Diktatur habe Belutschistan das Wasser abgedreht, Lur:innen hingerichtet, Aserbaidschaner:innen enthauptet, Qazi Mohammed, den Gründer der kurdischen Republik Mahabad, hingerichtet. Die Verantwortlichen hätten sich niemals für ihre Verbrechen entschuldigt. Salah wies ausdrücklich darauf hin, wie wichtig es sei, sich von den Monarchist:innen fernzuhalten und ihre Demonstrationen nicht zu unterstützen. Sie würden versuchen, sich wieder zu etablieren, und hätten immer noch erhebliche Mittel, um ihre Medienpräsenz zu finanzieren. Es sei wichtig sie zu demaskieren.
Weiter erklärte Salah Rojhilat, die Gesetzgebung im Iran lasse sich nicht reformieren. Es sei eine islamische Gesetzgebung, die nicht mit den Bedürfnissen der Bevölkerung konform gehe. Es gebe nur zwei Wege aus dem islamischen Regime: das System zu stürzen oder ein Referendum.
Anja Flach erklärte, dass Deutschland und Europa eigentlich keine Veränderung des Status quo wollten. Deutschland sei der wichtigste europäische Handelspartner der Islamischen Republik, der drittwichtigste Handelspartner des Iran weltweit. Man könne Botschafter ausweisen, diplomatische Beziehungen abbrechen, die Bundesregierung hätte eine Vielzahl von Möglichkeiten Druck auszuüben, aber man wolle dies offensichtlich nicht. Steinmeier habe sogar zum 40. Jahrestag des iranischen Regimes 2019 gratuliert. Annalena Baerbock kritisiere zwar die iranische Regierung, aber sie tue so, als wenn es um die Befolgung einiger Menschenrechte gehe und nicht um einen Systemwechsel. Die Opposition im Iran fordere aber viel radikalere Schritte.
Kämpfer:innen in den Bergen und Städten
Aus dem Publikum kam bei der Veranstaltung die Frage nach bewaffnetem Widerstand. Sama Baluch erklärte, es gebe viele Organisationen und Parteien, die in Belutschistan arbeiteten. Im iranischen Teil gebe es keine bewaffnete Organisation, wohl aber in Pakistan, die sehr aktiv sei.
Salah Rojhilat antwortete auf diese Frage, das Regime ließe sich nicht allein durch Streiks und das Schließen von Geschäften überwinden. Es brauche eine Änderung der Mentalität auf der einen Seite und andererseits auch einen physischen Kampf. Die PJAK habe Kämpfer:innen in den Bergen Kurdistans. Die klassischen kurdischen Parteien hätten immer behauptet, die PJAK kollaboriere mit dem Iran, was ihr sehr geschadet habe. Diese Organisationen hätten ihre Basis in Südkurdistan, wo sie in ihrer Handlungsfähigkeit sowohl von der PDK als auch von der YNK eingeengt würden. Gleichzeitig würden sie auch vom iranischen Regime bombardiert werden.
In den Städten hätten sich inzwischen eigenständige Gruppen gegründet. Viele Menschen seien dazu bereit, bewaffnet zu kämpfen. Viele kurdische Kämpfer:innen seien im Kampf gegen den IS und den Faschismus Erdoğans gefallen. Das sei in einer Phase gewesen, als man wenig Hoffnung für die Befreiung des Iran gesehen habe, nun aber bestünde diese Hoffnung wieder. Zweifellos sei es notwendig, auch bewaffnet zu kämpfen.
Eine Person aus dem Publikum ergänzte, der jetzige Aufstand sei einmalig. 2009 sei es eher die Bourgeoisie gewesen, die auf die Straße gegangen sei, 2019 dagegen die Arbeiter:innenklasse. Der jetzige Aufstand sei ein Umbruch, an dem alle sozialen Schichten beteiligt wären. Er empfahl, die Reportagen von Abdurrahman Gök zu lesen, die auf Deutsch bei ANF erschienen sind.
Die Sittenpolizei hat Angst
Aus dem Publikum kam auch eine Frage zu der angeblichen Auflösung der Sittenpolizei im Iran. Salah Rojhilat antwortete, die Sittenpolizei könne momentan niemanden fragen: „Warum trägst du kein Kopftuch?“ Denn die Mitglieder der Sittenpolizei hätten Angst, dass sie zusammengeschlagen würden, wenn sie danach fragten. Daher sei die Sittenpolizei de facto lahmgelegt. Das sei nicht das Ergebnis des Willens der Regierung, sondern durch den Druck der Bevölkerung geschehen. Die Bevölkerung habe sich durchgesetzt.
Eine weitere Frage wurde zur Situation in Teheran gestellt: Ob es richtig sei, dass es in der 17-Millionen-Stadt sehr still bleibe. Salah Rojhilat erläuterte, dass in Kurdistan auf der Straße gekämpft werde, um das Regime zu vertreiben. In Teheran dagegen sei die Bevölkerung in ihren Wohnblocks geblieben und habe von dort aus Slogans gerufen. Das habe die kurdische Bewegung verurteilt und die Millionen Teheraner:innen aufgefordert, auf die Straße zu kommen. Das sei aber leider nicht geschehen. Nur wenige Menschen seien auf den Straßen und diese seien wiederum überwiegend Kurd:innen. In Teheran lebten etwa 1,5 bis zwei Millionen Kurd:innen. Auch unter den Gefallenen in Teheran seien viele Kurd:innen und auch in Teheran seien sie die Vorreiter:innen der Aufstände. Das sei eine gefährliche Situation.
Einladung zum Mitmachen
Am Ende der Veranstaltung dankte Sama Baluch den Zuhörer:innen und brachte die Hoffnung zum Ausdruck, dass die Teilnehmer:innen die Stimme der Unterdrückten sein werden. Anja Flach wies auf die Chemiewaffenangriffe auf die Guerilla in Südkurdistan und die Angriffe mit Drohnen, Kampfflugzeugen und Artillerie auf Rojava durch die Türkei. Ohne die Revolution in Rojava würde es auch keine Hoffnung für Rojhilat und den Iran geben, die Parole „Jin Jiyan Azadî" habe einen Weckruf im Nahen Osten ausgelöst. Anja Flach forderte die Zuhörer:innen auf, die Revolution in Rojhilat und Rojava zu unterstützen und mit der kurdischen Bewegung auf die Straße zu gehen. Ebenso sei es wichtig, Demonstrationen iranischer Monarchist:innen zu meiden. Alle Anwesenden seien eingeladen, sich mit „Women Defend Rojava“ oder dem Bündnis „Hamburg für Rojava“ zu organisieren.
Das nächste Tatort Kurdistan Café in Hamburg findet am 4. Januar 2023 um 19.00 Uhr im Centro Sociale statt.