Straßburg: Kurd:innen fordern Kontakt zu Abdullah Öcalan

Vor dem Gebäude des Antifolterkomitees des Europarats (CPT) in Straßburg haben Aktivist:innen und Exilpolitiker:innen sofortige Informationen über den Zustand des kurdischen Vordenkers Abdullah Öcalan gefordert.

Seitdem das Rechtsbüro Asrin Ende November erklärt hat, dass das Antifolterkomitee des Europarats (CPT) bei seinem letzten Türkei-Besuch im September vermutlich keinen persönlichen Kontakt zu Abdullah Öcalan hatte, hat sich die Sorge um das Leben und die Sicherheit des kurdischen Vordenkers verstärkt. Der kurdische Europaverband KCDK-E fordert Aufklärung über den Besuch des CPT auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali und Informationen über den Zustand von Abdullah Öcalan. Vor dem Gebäude des Antifolterkomitees in Straßburg ist heute eine dreitägige Protestaktion gestartet worden. Am ersten Tag der Aktion nahmen kurdische Aktivist:innen aus der Schweiz und in Europa lebende Exilpolitiker:innen aus der Türkei teil.

Wir möchten es hier und jetzt wissen“

Fatoş Göksungur, Ko-Vorsitzende des KCDK-E, sagte in einer Rede, dass es seit März 2021 kein Lebenszeichen von Abdullah Öcalan und seinen drei Mitgefangenen Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş mehr gibt: „Wir möchten hier und jetzt vom CPT wissen, ob es bei seinem Besuch auf Imrali mit Herrn Öcalan gesprochen hat. Es muss sofort eine Erklärung dazu erfolgen.“

Ögmundur Jónasson, ehemaliger Justizminister von Island und Sprecher der internationalen Imrali-Delegation, wies in einer kurzen Erklärung darauf hin, dass Abdullah Öcalan eine Schlüsselfigur für eine Lösung der kurdischen Frage ist und seine Freilassung einen dauerhaften Frieden ermöglichen könne. Der isländische Politiker brachte außerdem seine Solidarität mit den in Rojava gegen die türkischen Angriffe Widerstand leistenden Menschen zum Ausdruck.

Eine außerordentliche Situation“

Remzi Kartal, Ko-Vorsitzender von Kongra-Gel, sprach von einer „außerordentlichen Situation“ und der großen Sorge um Öcalan im kurdischen Volk. Das CPT habe mit seiner Stellungnahme zu seinem Ad-hoc-Besuch auf Imrali den Eindruck erweckt, dass ein Gespräch mit Öcalan und seinen Mitgefangenen stattgefunden habe. Erst durch die Erklärung des Verteidigungsteams vom Rechtsbüro Asrin sei bekannt geworden, dass vermutlich gar kein Kontakt stattgefunden habe. „Das hat beim kurdischen Volk zu großer Besorgnis geführt. Das CPT ist eine internationale Einrichtung des Europarats und weiß, wie sensibel dieses Thema ist. Es muss sich sofort zum Leben von Abdullah Öcalan äußern“, forderte Kartal.

Ein weiterer Redner auf der Kundgebung war Rechtsanwalt Ömer Güneş, einer der Verteidiger:innen der Imrali-Gefangenen. Güneş erläuterte die jüngsten Entwicklungen und sagte, dass der Kontakt zu seinen Mandanten willentlich verhindert wird.

Hintergrund: Kein Kontakt zu Imrali-Gefangenen

Abdullah Öcalan wurde am 15. Februar 1999 mit einem internationalen Coup aus Kenia in die Türkei verschleppt und wird mit seinen drei Mitgefangenen Ömer Hayri Konar, Hamili Yıldırım und Veysi Aktaş seit Jahren isoliert. Seit 2019 gilt auf Imrali wieder ein striktes Anwaltsverbot, der letzte Besuch des Verteidigungsteams von Öcalan fand im August 2019 statt. Konar, Yıldırım und Aktaş haben seit ihrer Verlegung in das Inselgefängnis 2015 noch nie von ihrem Recht auf anwaltliche Vertretung Gebrauch machen können.

CPT-Delegation inspiziert Imrali

Das Antifolterkomitee des Europarates (CPT) hat im September einen Ad-hoc-Besuch in der Türkei absolviert und am 3. Oktober eine Erklärung dazu abgegeben. In der Mitteilung hieß es, es seien die allgemeine Behandlung und Haftbedingungen der Imrali-Gefangenen überprüft worden mit dem Fokus auf Gemeinschaftsaktivitäten und Kontakten zu ihrer Außenwelt.

Erklärung der Anwaltskanzlei Asrin

Die Istanbuler Anwaltskanzlei Asrin, die Öcalan und seine Mitgefangenen juristisch vertritt, gab am 29. November bekannt, dass beim CPT-Besuch auf Imrali gar kein Kontakt mit Öcalan zustande kam. Ein persönliches Gespräch mit Vertretern des Gremiums habe die Bedenken um die Situation auf der Insel dann zusätzlich noch verstärkt, da selbst geringste Informationen über die Bedingungen der Imrali-Gefangenen verweigert wurden.

KCK fordert sofortige Aufklärung

Die Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) hat das Antifolterkomitee am 5. Dezember aufgefordert, Klarheit in Bezug auf die Situation von Abdullah Öcalan zu schaffen. Die KCK wies in ihrer Erklärung erneut darauf hin, dass die Aufhebung der Isolation auf Imrali auch die Kanäle für eine Lösung der kurdischen Frage entsperren und damit eine Demokratisierung der Türkei einleiten könne.

Letztes Lebenszeichen im März 2021

Ein letztes Lebenszeichen aus Imrali gab es in Form eines Telefonats Öcalans mit seinem Bruder im März 2021, das aus unbekannten Gründen nach wenigen Minuten abbrach. Die Anwaltskanzlei Asrin stellt zwar regelmäßig Besuchsanträge, um ihre Mandanten zu sehen. Die türkischen Behörden lehnen diese Ersuchen jedoch ab oder ignorieren sie. Ähnlich verhält es sich bei Besuchsanträgen von Familienangehörigen. Als juristische Ummantelung für das Unrecht auf der Insel im Marmarameer dienen der türkischen Justiz in der Regel willkürlich verhängte „Disziplinarmaßnahmen“ gegen die Imrali-Gefangenen. Lange Zeit zogen die türkischen Behörden als Begründung für das Besuchsverbot des Anwaltsteams sogar die 2009 von Öcalan dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vorgelegte „Roadmap für Verhandlungen“ heran.

Offener Rechtsbruch

Das Verbot von Anwaltsbesuchen im Imrali-Gefängnis verstößt offen gegen die 2015 aktualisierten Standard-Mindestregeln der Vereinten Nationen (UN) für die Behandlung von Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln), gegen die Empfehlungen des Antifolterkomitees des Europarats und gegen das türkische Vollzugsgesetz (Gesetz Nr. 5275). Staaten sind verpflichtet, die Ausübung der Rechte von Gefangenen und Verurteilten ohne Rücksicht auf ihre Identität oder die Qualität ihrer Strafe zu gewährleisten. Doch die türkische Justiz ist nicht gewillt, die menschenverachtenden Haftbedingungen auf Imrali zu korrigieren und hält an einer Behandlung nach Feindstrafrecht fest.