Ayfer Kahraman und Tahir Koçer vom Demokratischen Gesellschaftszentrum der Kurdinnen und Kurden in Hannover e.V. (NAV-DEM) wurde vorgeworfen, gegen das PKK-Betätigungsverbot verstoßen zu haben. Aufhänger für mehrere Ermittlungsverfahren war eine Gedenkveranstaltung, die 2017 in Lehrte für im Kampf gegen die türkische Armee gefallene Guerillakämpfer stattgefunden hatte. Diese Veranstaltung wurde damals von der Polizei observiert und später dafür genutzt, um die Vereinsräume von NAV-DEM Hannover im April 2018 zu durchsuchen. Bei der martialischen Razzia wurden Fahnen, Flyer, Plakate sowie Infomaterialien und Computer beschlagnahmt. In der Öffentlichkeit versuchte die Polizei den Verein zu diskreditieren und den Vorstandsmitgliedern wurde vorgehalten, „verbotene Symbole“ gezeigt und junge Kurdinnen und Kurden für den bewaffneten Kampf angeworben zu haben.
Es folgten dann verschiedene Ermittlungsverfahren und weitere Hausdurchsuchungen, aufgrund derer schon zwei Prozesse in Lüneburg stattfanden.
Angeklagten mussten „nur“ auf sichergestellte Gegenstände verzichten
Guckt mensch auf den großen Aufwand, der hier betrieben wurde, kann die milde Entscheidung, mit dem das Verfahren jetzt beendet wurde, doch etwas erstaunen. Die zuständige Kammer am Landgericht Lüneburg begründete ihre Entscheidung damit, dass sie nach einer so langen Verfahrensdauer keinen Grund mehr für Sanktionen sah. Auch die Staatsanwaltschaft, die für ihren hartnäckigen Ermittlungseifer bekannt und berüchtigt ist, war mit diesem Verfahrensende einverstanden. Die Angeklagten mussten „nur“ auf die sichergestellten Gegenstände verzichten und ihre Auslagen für das Verfahren selbst tragen.
Strategie: Irgendein Vorwurf muss als Grund für eine Razzia herhalten
Doch die Freude und Erleichterung mischt sich mit der bitteren Erkenntnis über die andauernde Verfolgung und Kriminalisierung der kurdischen Bewegung in Deutschland. Veranstaltungsverbote, Hausdurchsuchungen, Festnahmen, Prozesse und ständige Polizeischikanen sind tagtägliche Realität für Kurdinnen und Kurden. Damit soll ihre politische, kulturelle und soziale Teilhabe am Leben in Deutschland verhindert und ihr politisches Engagement gebrochen werden. In der Öffentlichkeit wird dabei ein Bild von einer kriminellen und terroristischen Bewegung konstruiert, welche eine Gefahr darstellen würde. Mit der andauernden Repression soll die Betätigung für Demokratie und Frieden erschwert und kurdischen Organisationen keine Chance gegeben werden, ungehindert und authentisch auftreten zu können. Die dauerhafte Beobachtung von Vereinen und Aktivist:innen, ständige Razzien und Ermittlungsverfahren oder Hausdurchsuchungen und Festnahmen sollen auch Angst verbreiten.
Der heutige Prozess in Lüneburg offenbarte die Strategie, mit der die kurdische Bewegung verfolgt wird: Irgendein Vorwurf muss als Grund für eine Razzia herhalten. Dann werden aus den Funden weitere Vorwürfe konstruiert und es kommt zu weiteren Durchsuchungen. Zahllose Ermittlungsverfahren sind die Folge und können immer zu erweitert und fortgeführt werden.
Kontrolle über Vereine und Organisationen
Im Laufe dieser Verfahren kann die Polizei dann ein Bild zurechtlegen, dass seit Jahren die Kriminalisierung der kurdischen Bewegung am Laufen hält. Die anfänglichen Vorwürfe spielen zum Teil später keine Rolle mehr und auch nicht alle Prozesse enden mit Verurteilungen. Die Behörden haben aber ein umfangreiches Bild über die Menschen der Vereine und Organisationen erhalten und versuchen diese so unter Kontrolle zu haben, sie einzuschüchtern oder letztendlich zu zerschlagen. Die ständigen Inhaftierungen von kurdischen Aktivist:innen zeigt diese traurige Praxis.
Trotz der Verfolgung hier, trotz der Verfolgung in der Türkei und anderswo und dem Krieg durch den türkischen Staat lässt sich die kurdische Freiheitsbewegung nicht aufhalten und hat zum Glück einen langen Atem bewiesen. Sie ist entschlossen genug, ihren Weg fortzusetzen.
Solidaritätskundgebung vor dem Gericht
Unter dem Motto „Solidarität ist das, was uns zusammenhält, und die Sonne, die ihre Repression in den Schatten stellt!“ kamen rund 60 Menschen heute zu einer Solidaritätskundgebung vor dem Landgericht in Lüneburg zusammen. Die beiden Aktivist:innen sollten so bei ihrer Verhandlung solidarisch begleitet werden. Im ersten Redebeitrag der Kundgebung wurden die Beiden herzlich begrüßt und betont, das mensch sich einen schöneren Moment für ein Zusammentreffen in Lüneburg gewünscht hätte. Im Beitrag hieß es dann weiter: „Ihr seid für eine Sache angeklagt, die vor wenigen Wochen ein anderer Freund hier als „Herzensangelegenheit“ bezeichnet hatte. In dieser ,Herzensangelegenheit' sind wir miteinander verbunden und ihr steht stellvertretend für viele andere Menschen hier heute vor Gericht. Ich möchte betonen, dass ihr hier nicht alleine seid und wir euch unterstützen werden. Ich möchte euch meine tiefste Solidarität und Verbundenheit ausdrücken!“
Ende März findet ein weiterer Prozess vor dem Landgericht in Lüneburg statt, indem es ebenfalls um die Kriminalisierungsserie nach den Durchsuchungen 2018 in Hannover geht. Die Endlosschleife läuft weiter.