Prozessbeginn gegen Attentäter von Halle

Heute beginnt der Prozess gegen den Täter des zweifachen Mordes und versuchten Massakers von Halle im vergangenen Oktober. Die Nebenkläger*innen weisen in einer Erklärung auf die weiße, rassistische Ideologie hinter der Tat hin.

Am 9. Oktober 2019 wollte ein ehemaliger Soldat und bekennender Rassist ein Massaker an der jüdischen Gemeinde von Halle verüben. Er versuchte mit Rohrbomben und selbstgebauten Schusswaffen ausgerüstet, eine zum Feiertag Jom Kippur voll besetzte Synagoge in Halle zu stürmen und die 52 Gottesdienstbesucher*innen zu töten. Eine verschlossene Tür verhinderte das Massaker. Bei dem Versuch in die Synagoge einzudringen, tötete der Täter Jana L. auf der Straße, als sie sich ihm näherte. Der Angeklagte fuhr daraufhin zu einem nahe gelegenen Döner-Restaurant und versuchte, Angestellte, Gäste und Flüchtende zu töten. Dabei wurde Kevin S. ermordet. Weitere Personen wurden teilweise schwer durch Schüsse und Angriffe mit seinem Fahrzeug verletzt.

Doppelmord, versuchter Mord in 68 Fällen und Volksverhetzung

Am Dienstag beginnt der Prozess vor dem Magdeburger Landgericht. In der Anklage der Bundesanwaltschaft heißt es, der Täter habe „aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Gesinnung heraus einen Mordanschlag auf Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens“ verübt. Der Täter ist wegen Doppelmord und versuchtem Mord in 68 Fällen angeklagt. Außerdem werden dem Angeklagten fahrlässige und gefährliche Körperverletzung, versuchte räuberische Erpressung mit Todesfolge, schwere räuberische Erpressung sowie Volksverhetzung nach § 130 des Strafgesetzbuches (StGB) zur Last gelegt.

Nebenkläger*innen sprechen allen, die von rechter Gewalt betroffen sind, ihr Beileid aus

13 Personen, unter ihnen Besucher*innen der Synagoge und Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Halle, zwei Personen, die der Angeklagte auf der Flucht zu töten versuchte, zwei Gäste des Kiez-Döner und dessen Betreiber, die Brüder Ismet und Rifat Tekin, sowie der Vater des Ermordeten Kevin S. schreiben in einer gemeinsamen Erklärung: „Wir möchten den Hinterbliebenen von Jana L. und Kevin S. und allen, die von rechter Gewalt in Deutschland betroffen sind – sei es in Halle, Kassel, Hanau oder durch den NSU – unser tiefes Mitgefühl aussprechen.

Konglomerat aus rassistischer Ideologie, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und Verschwörungstheorien

Der Täter wählte seine Ziele auf der Grundlage einer weißen, rassistischen Ideologie, die Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Rassismus, Homophobie, Sexismus und Fremdenfeindlichkeit mit Verschwörungstheorien verschmilzt, aus. Seine Radikalisierung fand in Online-Communitys statt, die diese Überzeugungen stärkten und förderten. Dort wurde er durch andere Gewalttaten angestachelt, vor allem durch das Massaker von Christchurch im März 2019. Inspiriert von diesem Anschlag sowie von ähnlichen Hassverbrechen in El Paso, Poway und Oslo übertrug der Angeklagte seinen Angriff live im Internet. Er wollte ein öffentliches Spektakel veranstalten und anderen mit ähnlichen Ideologien beweisen, dass Taten wie die seine durchführbar sind, sie eigenen Waffen mit geringem Aufwand herstellen und damit ähnliche Gewalttaten begehen können.

Kein isolierter Einzeltäter Mörder ist in militante Nazistrukturen eingebettet

Wir haben uns der Anklage des Generalbundesanwalts als Nebenkläger*innen angeschlossen, um sicherzustellen, dass die rassistische Ideologie des Angeklagten und seine Integration in militante rechte Strukturen nicht nur im Gerichtssaal, sondern auch von den Strafverfolgungsbehörden und der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Die diesen Ideologien innewohnende Menschenverachtung ist jetzt und über diesen Prozess hinaus Anlass zum Nachdenken. Täter wie der Angeklagte brauchen keine physischen Gemeinschaften mehr, um von Gleichgesinnten Ermutigung und Unterstützung zu erhalten. Es ist wichtig, dass dieser Prozess Politikern, Strafverfolgungsbehörden und der breiten Öffentlichkeit als Erinnerung an unser ständiges Bedürfnis dient, Rassismus, Sexismus, Islamophobie und Antisemitismus, die unsere Gesellschaft durchdringen, aktiv entgegenzutreten und alle rechten Ideologien zu bekämpfen. Wir fordern, dass dieser Prozess dazu dient, den Mythos des ‚isolierten Einzeltäters‘ aufzudecken und eine verantwortungsvolle Politik zur Bekämpfung der zunehmenden Online-Radikalisierung zu entwickeln.

Solidarität mit allen betroffenen rechter Gewalt

Wir stehen in Solidarität mit allen, die von rechter Gewalt betroffen sind. Allein in den letzten Jahren haben die Taten, die wir in Kassel, Halle und Hanau erlebt haben, gezeigt, dass rechte Ideologien tödlich sind und uns alle betreffen. Als Gesellschaft tragen wir die Verantwortung, alle Menschen zu schützen, unabhängig von ihrer Herkunft, Religion, ihrem Geschlecht oder ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Dazu müssen wir den Ideologien, die zu der Barbarei führen, die wir in Halle erlebt haben, und all denen, die solche Gewalt in Deutschland und im Ausland verherrlichen, furchtlos entgegentreten.“