Am Freitag beginnt in Istanbul der Prozess gegen die Vorsitzende der türkischen Ärztekammer (TTB), Şebnem Korur Fincancı. Die international renommierte Forensikerin und Menschenrechtsaktivistin befindet sich seit Ende Oktober in Untersuchungshaft, weil sie sich für eine unabhängige Untersuchung der Chemiewaffeneinsätze durch die türkische Armee in Kurdistan ausgesprochen hat. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft der 63-Jährigen „Propaganda für eine terroristische Organisation“ vor, dafür drohen ihr bis zu siebeneinhalb Jahre Haft.
Pressekonferenz der Istanbuler Ärztekammer
Die Istanbuler Ärztekammer ruft zur solidarischen Prozessbeobachtung auf. Auf einer Pressekonferenz in den Räumlichkeiten der Kammer im Stadtteil Cağaloğlu wurde angekündigt, dass vor und nach der Verhandlung am 23. Dezember vor dem Gerichtsgebäude in Çağlayan entsprechende Erklärungen abgegeben werden sollen. Die Verhandlung beginnt um 9.30 Uhr.
TTB-Generalsekretär Dr. Vedat Bulut wies auf der Pressekonferenz auf das in der Verfassung verankerte Recht auf Autonomie von Berufsorganisationen hin. Die Regierung versuche dennoch, Berufsvereinigungen einzuschüchtern, funktionslos zu machen oder auf die eigene Seite zu ziehen.
Die Istanbuler Kammerpräsidentin Nergis Erdoğan führte aus, dass die Ärztekammern in der Türkei die Werte ihres Berufsstandes auf ethisch-wissenschaftlicher Grundlage verteidigen und die Gesundheit der Bevölkerung in den Vordergrund stellen. Dafür sei man auch bereit, Konflikte mit der Regierung in Kauf zu nehmen. Die Verhaftung der TTB-Präsidentin Şebnem Korur Fincancı stelle den bisherigen Höhepunkt der Angriffe auf Berufsorganisationen dar. „Selbst wenn wir bedroht werden, werden wir unsere medizinischen Kenntnisse jedoch niemals dafür benutzen, die Menschenrechte und individuelle Freiheiten zu verletzen“, stellte Nergis Erdoğan klar. Alle Kolleginnen und Kollegen seien aufgerufen, am kommenden Freitag am Prozessauftakt teilzunehmen.
Die Causa Şebnem Korur Fincancı: Zoom-Veranstaltung von KURD-AKAD
Die Verhaftung von Şebnem Korur Fincancı hat weltweit Entrüstung ausgelöst. Das Netzwerk kurdischer Akademiker:innen (KURD-AKAD) und der Aachener Friedenspreis e.V. laden für heute um 19 Uhr zu einer Zoom-Veranstaltung mit dem Titel „Die Türkei und die Causa Prof. Dr. Korur-Fincanci: Menschenrechte hinter Gittern“ ein. Unter der Moderation von Uta Kempen und Denis Dreisbusch diskutieren Rechtsanwältin Eren Keskin, Aachener Friedenspreisträgerin 2004 und Ko-Vorsitzende des Menschenrechtsvereins IHD, Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Weltärztebunds, und die Ärztin Dersim Dagdeviren, Ko-Vorsitzende von KURD-AKAD, über das Thema. Die Veranstaltung kann auf YouTube verfolgt werden.