Protest in Brüssel gegen Kriminalisierung kurdischer Medien

Vor dem Brüsseler Justizpalast ist gegen die Kriminalisierung kurdischer Medien protestiert worden. Hintergrund der Kundgebung war die unlängst erfolgte Durchsuchung der Fernsehsender Stêrk TV und MedyaHaber in Denderleeuw.

Razzia bei Stêrk TV und Medya Haber

In Brüssel haben mehrere hundert Menschen gegen die Kriminalisierung kurdischer Medien protestiert. Hintergrund der Kundgebung auf dem Vorplatz des Brüsseler Justizpalastes war die Durchsuchung der Fernsehsender Stêrk TV und MedyaHaber TV in Denderleeuw. „Für Kurdinnen und Kurden gilt offenbar keine Pressefreiheit“ und „Die freien Medien lassen sich nicht zum Schweigen bringen“ war auf verschiedensprachigen Spruchbändern zu lesen, die gut zu erkennen auf dem Boden platziert wurden.

In der Nacht zum Dienstag hatte sich ein Aufgebot von über 200 Polizisten gewaltsam Zutritt in die Studios von Stêrk TV und MedyaHaber TV verschafft. Die Sender wurden regelrecht sabotiert; die Beamten schlugen Türen ein und brachen Schränke auf, beschlagnahmten Computer sowie Ausrüstung und zerstörten technische Anlagen. Auch wurden Kabel durchtrennt, offensichtlich um weitere Sendungen zu verhindern. Der Belegschaft beider Sender wurde jeglicher Zutritt zum Gebäude verweigert und Sicherheitsleute mussten sich während der vierstündigen Durchsuchungen mit Handschellen gefesselt auf den Boden legen.

NAV-BEL: Piratenangriff auf Geheiß des türkischen Staates

Die belgischen Behörden begründeten die Razzia bei den beiden Sendern mit einem Ersuchen der französischen Antiterrorstaatsanwaltschaft PNAT. Diese führe Ermittlungen wegen des Verdachts der „Finanzierung einer terroristischen Organisation“, namentlich soll es um die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gehen. „Dieser Vorwurf wurde konstruiert, um die kurdische Presse zu kriminalisieren und die Stimme unseres Volkes zum Schweigen zu bringen“, sagte ein Sprecher des Dachverbands kurdischer Vereine in Belgien (NAV-BEL) bei der Kundgebung. „Es handelte sich um einen Piratenangriff auf Geheiß des türkischen Staates.“

98 Schränke und 41 Bürotüren aufgebrochen bzw. eingetreten

Die Stêrk TV-Moderatorin Heval Arslan sprach davon, dass bei den Razzien insgesamt 98 Schränke und 41 Bürotüren von der belgischen Polizei aufgebrochen beziehungsweise eingetreten worden seien. Einige der Türen hatten die Medienschaffenden auf dem Place Poelaert aufgestellt, damit die Öffentlichkeit einen Eindruck davon bekäme, wie „rücksichtslos“ der Umgang der Polizei mit den beiden Sendern der kurdischen Exil-Community war – Kanäle, die in den verschiedenen Dialekten der kurdischen Sprache sowie auf Türkisch senden und mit ihrem Nachrichten- sowie Kulturprogramm via Satellit und Internetstream ein breites Publikum weltweit erreichen.


Stêrk TV und MedyaHaber TV sind zudem die wenigen Sender, die live über das Kriegsgeschehen und die Angriffe der Türkei gegen die kurdischen Regionen im Irak und in Syrien berichten. „Für uns bestehen keine Zweifel, dass die Durchsuchungen unserer Studios in Abstimmung mit dem türkischen Erdoğan-Regime durchgeführt wurden. Der Faschist Erdoğan fürchtet die freie kurdische Presse, da wir die Verbrechen seines Regimes zutage fördern.“ Laut Arslan zeige der Vorgang auch eine gewisse Doppelmoral auf. Man stelle sich vor, Beamte in Kampfmontur hätten zu behördlicher Schlafenszeit einen westlichen Medienbetrieb gestürmt. „Für Kurdinnen und Kurden gilt das Recht auf Presse- und Informationsfreiheit offenbar nicht.“

TJK-E: Schwerer Übergriff auf die Pressefreiheit

An der Kundgebung beteiligten sich auch die KNK-Vertreterin Nilüfer Koç, das politische Urgestein Mihemed Emin Pencewini, Engin Sever vom Europadachverband KCDK-E und Kezban Doğan von der Kurdischen Frauenbewegung in Europa (TJK-E). Letztere verurteilte die Durchsuchungen kurdischer TV-Einrichtungen als „schweren Übergriff auf die Pressefreiheit“ und erinnerte an Vorfälle aus der Vergangenheit. So hatte es schon 2010 eine Großrazzia beim Sender Roj TV – dem Vorgänger von Stêrk TV – sowie verschiedenen in Brüssel ansässigen kurdischen Exilinstitutionen wie dem Nationalkongress Kurdistan (KNK) unter dem Vorwurf der Terrorismusunterstützung gegeben. Doch im Jahr 2020 urteilte das Kassationsgericht in Brüssel, dass das Antiterrorgesetz des Landes nicht auf die PKK angewendet werden könne, da diese keine terroristische Organisation, sondern „Partei in einem bewaffneten Konflikt“ sei. „Als TJK-E sehen wir im Schlag gegen Stêrk TV und MedyaHaber einen Teil der Vorbereitungen für den großen und umfassenden Angriff des türkischen Staates in Südkurdistan. Doch ganz gleich, was noch kommen mag: Niemand wird die Kurdinnen und Kurden vernichten können“, sagte Doğan.

Solidarität von belgischen Sozialisten und Friedensaktivisten

Der Politiker Maxime Ramirez von der belgischen Parti Socialiste und der Friedensaktivist Rishi Singh waren ebenfalls unter den Teilnehmenden der Kundgebung. Sie verurteilten die Razzien bei den kurdischen Medieneinrichtungen als unvereinbar mit den Werten der Demokratie und gefährlichen Angriff auf die Pressefreiheit. Ähnlich äußerte sich auch Maurice Kohn, der ebenfalls in der belgischen Friedensbewegung aktiv ist. „Pressefreiheit ist für jeden Menschen zentral. Deshalb müssen alle die Durchsuchungen bei Stêrk TV und MedyaHaber als das verurteilen, was es ist: Ein Angriff auf die Pressefreiheit.“