Petition für Senem Kartal: Ausreisesperre muss aufgehoben werden

Das Bündnis für Frieden in Kurdistan Nürnberg hat eine Onlinepetition für die Nürnbergerin Senem Kartal gestartet. Seit Oktober wird ihr die Ausreise aus der Türkei verweigert.

Das Nürnberger Bündnis für Frieden in Kurdistan hat eine Onlinepetition für Senem Kartal gestartet. Die 57-Jährige lebt seit 47 Jahren in Nürnberg und reiste am 5. Oktober zur Beerdigung eines Familienangehörigen in die Türkei. Bei einer Zwischenlandung in Istanbul wurde sie von türkischen Sicherheitsbeamten festgenommen. Nach fünf Tagen Untersuchungshaft wurde sie zwar entlassen, darf aber bis heute die Türkei nicht verlassen.

Die Vorwürfe der türkischen Justiz gegen sie sind wie in vielen ähnlichen Fällen: Mitgliedschaft in einer „Terror-Organisation“, „Terrorpropaganda“ sowie das Teilen von Erdoğan-kritischen Inhalten auf Facebook. Das Bündnis sowie Freundinnen und Freunde und Angehörige fordern, „dass allein schon aus medizinischen und humanitären Gründen Senem Kartal unverzüglich die Ausreise aus der Türkei erlaubt werden muss. Das Auswärtige Amt muss Druck auf die türkische Regierung ausüben und eine sofortige Aufhebung aller Ausreisesperren zu erwirken“.

Der volle Wortlaut der Petition lautet:

Unsere Freundin Senem Kartal darf seit Anfang Oktober die Türkei nicht verlassen. Wir, Freunde und Angehörige, setzen uns dafür ein, dass die Ausreisesperre aus humanitären und medizinischen Gründen unverzüglich aufgehoben wird.

Wer ist Senem?

Senem Kartal ist 57 Jahre alt und Kurdin. Seit 47 Jahren lebt sie in Nürnberg und besitzt nur die deutsche Staatsbürgerschaft.

Senem ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Sie war lange Zeit aktive Gewerkschafterin bei der IG Metall, Vertrauensfrau und Betriebsrätin. Nach schwerer Krankheit ist sie heute zu 80% schwerbehindert und in Frührente. Durch ihre chronische Krankheit ist sie dringend auf medizinische Behandlung und auch auf ständige Begleitung angewiesen.

Senem engagiert sich seit Jahren für die Rechte von Frauen und ist auch aktiv in der Kommunalpolitik. Sie kandidiert für die Stadtratswahlen in Nürnberg im Frühjahr 2020 auf Listenplatz 8 der Linken Liste. Für eine demokratische Stadtentwicklung liegt ihr insbesondere die Integrationspolitik am Herzen.

Verhaftung in der Türkei

Am 05.10.2019 reiste Senem zur Beerdigung ihres Onkels in die Türkei. Bei der Zwischenlandung in Istanbul wurde sie von türkischen Sicherheitskräften festgenommen. Zwei Tage später brachte man sie in eine Haftanstalt in Ankara. Nach etlichen Verhören wegen angeblicher „Terrorpropaganda“ hat die Staatsanwaltschaft Untersuchungshaft gefordert. Der Haftrichter lehnte dies jedoch ab. Daraufhin wurde sie nach insgesamt fünf Tagen in Gewahrsam entlassen. Allerdings verhängte der Staatsanwalt eine Ausreisesperre verbunden mit einer täglichen Meldepflicht.

Zurzeit lebt Senem bei Verwandten in Antalya. Am 18.12. wurde die Meldepflicht aufgehoben – eine Erleichterung, denn der tägliche Weg zur Polizeistation betrug mehr als eineinhalb Stunden. Gesundheitlich geht es ihr zunehmend schlechter, da in der Türkei keine adäquate medizinische Betreuung gewährleistet werden kann.

Die Vorwürfe

Die Vorwürfe der türkischen Justiz sind pauschal wie in vielen ähnlichen Fällen: Mitgliedschaft in einer „Terror-Organisation“, „Terrorpropaganda“ sowie das Teilen von Erdoğan-kritischen Inhalten auf Facebook.

Die Rolle der deutschen Botschaft

Senems Sohn hat mehrfach Kontakt mit der deutschen Botschaft aufgenommen und um Unterstützung seiner Mutter gebeten. Auch Senem selbst suchte die deutsche Vertretung in Antalya auf und bat um Hilfe. Dort erklärte man ihr, dies sei „Sache der türkischen Behörden“ und man könne sich nicht einmischen.

Kein Einzelfall

Senem Kartal ist kein Einzelfall. Es gibt in Bayern und Baden-Württemberg zurzeit sechs bestätigte ähnliche Fälle, ausschließlich Kurd*innen mit deutschem Pass. Am 17.12.2019 berichtet die Welt: „74 Fälle seien bekannt, in denen gegen deutsche Staatsbürger eine Ausreisesperre in der Türkei vorliege.“ [1]

Nach Beginn der militärischen Offensive auf Rojava (Nordostsyrien) durch den türkischen Staat, häuften sich die Fälle von Einreiseverweigerungen, Inhaftierungen, Ausreisesperren gegenüber Kurd*innen. Schlagzeilen machten Gönül Örs (Köln), Tochter der Sängerin Hozan Canê, Nebahat Yıldırım (Hamburg), die Ehefrau des Vorsitzenden der Kurdischen Gemeinde Deutschland, Bekir Topgider (Köln), Bundesvorstand des Verbands der Vereine aus Kurdistan in Deutschland. Sie alle sind betroffen von willkürlichen Festnahmen mit immer gleich klingenden Beschuldigungen.

Über Deniz Yücel, Meşale Tolu oder Peter Steudtner wurde noch ausführlich berichtet und der öffentliche Druck zeigte Wirkung; alle sind mittlerweile frei und konnten die Türkei verlassen. Das Interesse an der Berichterstattung hat jetzt allerdings spürbar nachgelassen.

Die Verantwortung der Bundesregierung

Senem ist deutsche Staatsbürgerin, und schon deshalb ist die Bundesregierung in der Verantwortung. Zudem hat der jüngst aufgedeckte Datenskandal erheblich zur Gefährdung von Regimegegnern beigetragen. Nach der Verhaftung der Vertrauensanwälte der deutschen Botschaft gelangten Tausende von Akten von Asylsuchenden in die Hände des türkischen Geheimdienstes. Durch die behördliche Kooperation mit einem Staat, dem jede Rechtsstaatlichkeit abhanden gekommen ist, trägt der Bundesregierung eine Mitschuld am Schicksal der Menschen, die in die Fänge der türkischen Administration gerieten.

Der Druck, den die türkische Administration auf Kurden in Deutschland ausübt, wird seitens der deutschen Regierung geduldet. Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung – in der Türkei schon lange abgeschafft – ist auch für in Deutschland lebende Regimegegner eingeschränkt bzw. außer Kraft gesetzt. Mithilfe der Smartphone-App „EGM Mobil“ werden regierungstreue Türken aufgefordert, Erdoğan-Kritiker direkt bei den türkischen Behörden anzuzeigen. [2] Die erhobenen Vorwürfe wie zum Beispiel Präsidentenbeleidigung oder pauschal erhobene „Terrorismus“-Vorwürfe sind meist absurd, können im Einzelfall aber das Leben der Betroffenen beim nächsten Familienbesuch zerstören.

Forderungen

Wir fordern, dass allein schon aus medizinischen und humanitären Gründen Senem Kartal unverzüglich die Ausreise aus der Türkei erlaubt werden muss. Das Auswärtige Amt muss Druck auf die türkische Regierung ausüben und eine sofortige Aufhebung aller Ausreisesperren zu erwirken.