Paris: „Staatsgeheimnis lüften, Gerechtigkeit schaffen“

Die Abschlusskundgebung der Demonstration „Die Mörder sind bekannt – Warum schweigt Frankreich?“ zum zwölften Todestag von Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez in Paris war geprägt von Forderungen an die Regierung, das Staatsgeheimnis zu lüften.

„Die Mörder sind bekannt – Warum schweigt Frankreich?“

Die Abschlusskundgebung der Demonstration „Die Mörder sind bekannt – Warum schweigt Frankreich?“ in Paris anlässlich des zwölften Jahrestages der Ermordung von Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez war geprägt von Forderungen an die französische Regierung, den Dreifachmord nicht länger als Staatsgeheimnis zu behandeln und so den Weg freizumachen für eine juristische und politische Aufarbeitung. „Solange die Gerechtigkeit im Dunkeln bleibt, ist Frankreich schuldig“, sagte Ayten Kaplan, Sprecherin der Kurdischen Frauenbewegung in Europa (TJK-E), die zu der Großdemonstration am Sonnabend aufgerufen hatte. Sie mahnte, die kurdische Gesellschaft werde nicht ruhen, bis Gerechtigkeit herrscht.

Am 9. Januar 2025 sind zwölf Jahre vergangen, seitdem die PKK-Mitbegründerin Sakine Cansız, die KNK-Vertreterin Fidan Doğan und die Jugendaktivistin Leyla Şaylemez im Kurdistan-Informationszentrum in der Pariser Rue La Fayette von einem Auftragsmörder des türkischen Geheimdienstes erschossen worden sind. Doch bis heute ist niemand für das Attentat zur Rechenschaft gezogen worden: Der Prozess gegen den Todesschützen wurde eingestellt, nachdem er kurz vor Prozessbeginn unter zweifelhaften Umständen in Haft verstarb. Auf Drängen der Angehörigen der ermordeten Frauen wurden zwar neue Ermittlungen eingeleitet. Die aber stocken auf politischen Druck, da die Akte als Staatsgeheimnis behandelt wird.


Mehrere zehntausend Menschen aus verschiedenen europäischen Ländern hatten sich an der Demonstration beteiligt. Die Veranstalter:innen schätzten die Zahl der Teilnehmenden auf rund 30.000. An der abschließenden Kundgebung fand sich etwa die Hälfte auf dem Platz der Republik ein. Unter ihnen befanden sich neben Aktiven der kurdischen Exil-Community auch Vertreterinnen und Vertreter französischer Parteien, Gewerkschaften und Organisationen, darunter die feministischen, antikapitalistischen und anarchistischen Bewegungen, Mitglieder der armenischen Diaspora sowie türkeistämmige Gruppen aus linken und sozialistischen Strukturen. In Reden unterstützten sie die Forderungen der TJK-E.

Die kommunistische ehemalige Senatorin Laurence Cohen etwa trat zusammen mit dem Sprecher der Parti communiste français, Ian Brossat, auf die Bühne. „Die Mörder von Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez sind bekannt. Die Geheimhaltung hinsichtlich der Ermittlungen muss aufgehoben werden, damit die Verantwortlichen dieses staatlichen Verbrechens endlich Rechenschaft ablegen und jahrelanges Unrecht am kurdischen Volk beendet wird“, forderte Cohen. Brossat ergänzte, dass die Kommunistische Partei Frankreichs sich den Kurdinnen und Kurden verbunden fühle. „Es ist jetzt wichtiger denn je, deutlich zu machen, dass wir zusammenstehen und die kurdische Gesellschaft auch weiterhin in ihrem gerechten Kampf begleiten.“


Die bewegendste Rede kam von Zeynep Kara. Die Aktivistin ist eine Angehörige der KCK-Vertreterin Evîn Goyî (Emine Kara), die zusammen mit dem Musiker Mîr Perwer und dem Aktivisten Abdurrahman Kızıl beim Anschlag auf das Pariser Ahmet-Kaya-Kulturzentrum am 23. Dezember 2022 getötet wurde. „Auch diese Hinrichtungen harren wie jene des 9. Januars 2013 noch ihrer politischen und justiziellen Aufarbeitung“, sagte Kara. Und jeder Tag, an dem es keine Entwicklungen bei der Aufarbeitung gebe, lasse neue Zweifel an der Wirksamkeit der Justiz aufkommen.

„Wir wissen, dass der türkische Geheimdienst hinter diesem politischen Attentat steckt. Eine Ahndung wird jedoch durch die Einstufung als Verschlusssache behindert. Das verhindert, dass wichtige Dokumente, die sich im Besitz des französischen Geheimdienstes befinden, den Justizbehörden übermittelt werden. Wäre der Fall nicht als Staatsgeheimnis eingestuft worden, befänden sich Evîn Goyî, Abdurrahman Kızıl und Mîr Perwer heute unter uns. Deshalb fordern wir: Geheimhaltungsverfügung aufheben und die Straffreiheit für die Mörder beenden – damit es nicht zu einem weiteren Massaker an unserem Volk in Frankreich kommt.“ Kara rief dazu auf, den „Widerstand für Gerechtigkeit“  weiter zu stärken.